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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Zehentes Buch, drittes Capitel.
Zeit, sich ruhig in seine Tugend und den Glauben einer
bessern Unsterblichkeit einhüllt --- wenn sie ihn gesehen
haben, diesen wahrhaftig grossen Mann, und dieser
Anblik nicht zu wege bringt, was alle Discurse der Pla-
tonen und Seneca nicht vermocht haben -- Nun, so
mögen sie glauben was sie wollen, und thun, was sie
ungestraft thun können; sie verdienen eben so wenig
Widerlegung, als ihre Besserung möglich ist -- Und du,
ruhmvoller und liebenswürdiger alter Mann, empfange
dieses wiewol allzuvergängliche Denkmal von einem,
dessen Feder niemals durch feiles, oder gewinnsüchti-
ges Lob der Grossen dieser Welt entweyht worden ist --
Jch habe keine Belohnung, keinen Vortheil von dir zu
hoffen -- du wirst dieses niemals lesen -- Meine Absicht
ist rein, wie deine Tugend -- empfange dieses schwache
Merkmal einer aufrichtigen Hochachtung von einem,
der wenig Hochachtungswürdiges unter der Sonne
sieht -- diese, und die Dankbarkeit für die stillen Thränen
der Entzükung, die ihm (in einem Alter, wo seine
Augen zu dieser reinsten Wollust der Menschlichkeit noch
nicht versieget waren) das Lesen deiner Tugend-athmen-
den Briefe aus den Augen lokte -- diese Empfindungen
allein haben ihn bey dieser Gelegenheit dahingerissen --
er hat sich nicht entschliessen können, seinem Herzen Ge-
walt anzuthun -- und bittet niemand, der dieses Buch
lesen wird, wegen dieser Abschweiffung um Verzeihung.

Agathon hatte über den Sorgen für die Wolfahrt
Siciliens, und über der Bemühung andre glüklich zu

machen,
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Zehentes Buch, drittes Capitel.
Zeit, ſich ruhig in ſeine Tugend und den Glauben einer
beſſern Unſterblichkeit einhuͤllt ‒‒‒ wenn ſie ihn geſehen
haben, dieſen wahrhaftig groſſen Mann, und dieſer
Anblik nicht zu wege bringt, was alle Diſcurſe der Pla-
tonen und Seneca nicht vermocht haben ‒‒ Nun, ſo
moͤgen ſie glauben was ſie wollen, und thun, was ſie
ungeſtraft thun koͤnnen; ſie verdienen eben ſo wenig
Widerlegung, als ihre Beſſerung moͤglich iſt ‒‒ Und du,
ruhmvoller und liebenswuͤrdiger alter Mann, empfange
dieſes wiewol allzuvergaͤngliche Denkmal von einem,
deſſen Feder niemals durch feiles, oder gewinnſuͤchti-
ges Lob der Groſſen dieſer Welt entweyht worden iſt ‒‒
Jch habe keine Belohnung, keinen Vortheil von dir zu
hoffen ‒‒ du wirſt dieſes niemals leſen ‒‒ Meine Abſicht
iſt rein, wie deine Tugend ‒‒ empfange dieſes ſchwache
Merkmal einer aufrichtigen Hochachtung von einem,
der wenig Hochachtungswuͤrdiges unter der Sonne
ſieht ‒‒ dieſe, und die Dankbarkeit fuͤr die ſtillen Thraͤnen
der Entzuͤkung, die ihm (in einem Alter, wo ſeine
Augen zu dieſer reinſten Wolluſt der Menſchlichkeit noch
nicht verſieget waren) das Leſen deiner Tugend-athmen-
den Briefe aus den Augen lokte ‒‒ dieſe Empfindungen
allein haben ihn bey dieſer Gelegenheit dahingeriſſen ‒‒
er hat ſich nicht entſchlieſſen koͤnnen, ſeinem Herzen Ge-
walt anzuthun ‒‒ und bittet niemand, der dieſes Buch
leſen wird, wegen dieſer Abſchweiffung um Verzeihung.

Agathon hatte uͤber den Sorgen fuͤr die Wolfahrt
Siciliens, und uͤber der Bemuͤhung andre gluͤklich zu

machen,
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[263/0265] Zehentes Buch, drittes Capitel. Zeit, ſich ruhig in ſeine Tugend und den Glauben einer beſſern Unſterblichkeit einhuͤllt ‒‒‒ wenn ſie ihn geſehen haben, dieſen wahrhaftig groſſen Mann, und dieſer Anblik nicht zu wege bringt, was alle Diſcurſe der Pla- tonen und Seneca nicht vermocht haben ‒‒ Nun, ſo moͤgen ſie glauben was ſie wollen, und thun, was ſie ungeſtraft thun koͤnnen; ſie verdienen eben ſo wenig Widerlegung, als ihre Beſſerung moͤglich iſt ‒‒ Und du, ruhmvoller und liebenswuͤrdiger alter Mann, empfange dieſes wiewol allzuvergaͤngliche Denkmal von einem, deſſen Feder niemals durch feiles, oder gewinnſuͤchti- ges Lob der Groſſen dieſer Welt entweyht worden iſt ‒‒ Jch habe keine Belohnung, keinen Vortheil von dir zu hoffen ‒‒ du wirſt dieſes niemals leſen ‒‒ Meine Abſicht iſt rein, wie deine Tugend ‒‒ empfange dieſes ſchwache Merkmal einer aufrichtigen Hochachtung von einem, der wenig Hochachtungswuͤrdiges unter der Sonne ſieht ‒‒ dieſe, und die Dankbarkeit fuͤr die ſtillen Thraͤnen der Entzuͤkung, die ihm (in einem Alter, wo ſeine Augen zu dieſer reinſten Wolluſt der Menſchlichkeit noch nicht verſieget waren) das Leſen deiner Tugend-athmen- den Briefe aus den Augen lokte ‒‒ dieſe Empfindungen allein haben ihn bey dieſer Gelegenheit dahingeriſſen ‒‒ er hat ſich nicht entſchlieſſen koͤnnen, ſeinem Herzen Ge- walt anzuthun ‒‒ und bittet niemand, der dieſes Buch leſen wird, wegen dieſer Abſchweiffung um Verzeihung. Agathon hatte uͤber den Sorgen fuͤr die Wolfahrt Siciliens, und uͤber der Bemuͤhung andre gluͤklich zu machen, R 4

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/265>, abgerufen am 29.03.2024.