Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Agathon. gerührte Seele gegen die seinige gezogen werde, fähigwerden könnte, die Hofnungen dereinst zu erfüllen, welche sie ihm weder erlaubte noch gänzlich verwehrte. Von dieser Zeit an nahm seine Leidenschaft und das Ansehen dieser Dame von Tag zu Tag zu; die schöne Bacchidion wurde förmlich abgedankt; und Agathon würde in den Augen seines Herren gelesen haben, wenn er es nicht aus seinem eignen Munde vernommen hätte, daß er gute Hofnung habe, in wenigen Tagen den lez- ten Seufzer der sterbenden Tugend von den Lippen der zärtlichen, und nur noch schwach widerstehenden Cleo- nissa aufzufassen. Jzo glaubte er, daß es die höchste Zeit sey einen Schritt zu thun, der nur durch die äus- serste Nothwendigkeit gerechtfertiget werden konnte, aber seiner Meynung nach, das unfehlbarste Mittel war, dieser gefährlichen Jntrigue noch in Zeiten ein Ende zu machen. Er ließ also den Philistus zu sich ruffen, und entdekte ihm mit der ganzen Vertraulichkeit eines ehr- lichen Mannes, der mit einem ehrlichen Manne zu re- den glaubt, die nahe Gefahr, worinn seine Ehre und die Tugend seiner Gemalin schwebe. Freylich entdekte er dem edeln Philistus nichts, als was dieser in der That schon lange wußte; aber Philistus machte nichts desto weniger den Erstaunten; indessen dankte er ihm mit der lebhaftesten Empfindung für ein so unzweifelhaftes Merk- mals seiner Freundschaft, und versicherte, daß er auf ein schikliches Mittel bedacht seyn wollte, seine Gema- lin, von welcher er übrigens die beste Meynung von der Welt habe, gegen alle Nachstellungen der Liebes- götter sicher zu stellen. Man
Agathon. geruͤhrte Seele gegen die ſeinige gezogen werde, faͤhigwerden koͤnnte, die Hofnungen dereinſt zu erfuͤllen, welche ſie ihm weder erlaubte noch gaͤnzlich verwehrte. Von dieſer Zeit an nahm ſeine Leidenſchaft und das Anſehen dieſer Dame von Tag zu Tag zu; die ſchoͤne Bacchidion wurde foͤrmlich abgedankt; und Agathon wuͤrde in den Augen ſeines Herren geleſen haben, wenn er es nicht aus ſeinem eignen Munde vernommen haͤtte, daß er gute Hofnung habe, in wenigen Tagen den lez- ten Seufzer der ſterbenden Tugend von den Lippen der zaͤrtlichen, und nur noch ſchwach widerſtehenden Cleo- niſſa aufzufaſſen. Jzo glaubte er, daß es die hoͤchſte Zeit ſey einen Schritt zu thun, der nur durch die aͤuſ- ſerſte Nothwendigkeit gerechtfertiget werden konnte, aber ſeiner Meynung nach, das unfehlbarſte Mittel war, dieſer gefaͤhrlichen Jntrigue noch in Zeiten ein Ende zu machen. Er ließ alſo den Philiſtus zu ſich ruffen, und entdekte ihm mit der ganzen Vertraulichkeit eines ehr- lichen Mannes, der mit einem ehrlichen Manne zu re- den glaubt, die nahe Gefahr, worinn ſeine Ehre und die Tugend ſeiner Gemalin ſchwebe. Freylich entdekte er dem edeln Philiſtus nichts, als was dieſer in der That ſchon lange wußte; aber Philiſtus machte nichts deſto weniger den Erſtaunten; indeſſen dankte er ihm mit der lebhafteſten Empfindung fuͤr ein ſo unzweifelhaftes Merk- mals ſeiner Freundſchaft, und verſicherte, daß er auf ein ſchikliches Mittel bedacht ſeyn wollte, ſeine Gema- lin, von welcher er uͤbrigens die beſte Meynung von der Welt habe, gegen alle Nachſtellungen der Liebes- goͤtter ſicher zu ſtellen. Man
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Agathon.
geruͤhrte Seele gegen die ſeinige gezogen werde, faͤhig
werden koͤnnte, die Hofnungen dereinſt zu erfuͤllen,
welche ſie ihm weder erlaubte noch gaͤnzlich verwehrte.
Von dieſer Zeit an nahm ſeine Leidenſchaft und das
Anſehen dieſer Dame von Tag zu Tag zu; die ſchoͤne
Bacchidion wurde foͤrmlich abgedankt; und Agathon
wuͤrde in den Augen ſeines Herren geleſen haben, wenn
er es nicht aus ſeinem eignen Munde vernommen haͤtte,
daß er gute Hofnung habe, in wenigen Tagen den lez-
ten Seufzer der ſterbenden Tugend von den Lippen der
zaͤrtlichen, und nur noch ſchwach widerſtehenden Cleo-
niſſa aufzufaſſen. Jzo glaubte er, daß es die hoͤchſte
Zeit ſey einen Schritt zu thun, der nur durch die aͤuſ-
ſerſte Nothwendigkeit gerechtfertiget werden konnte, aber
ſeiner Meynung nach, das unfehlbarſte Mittel war,
dieſer gefaͤhrlichen Jntrigue noch in Zeiten ein Ende zu
machen. Er ließ alſo den Philiſtus zu ſich ruffen, und
entdekte ihm mit der ganzen Vertraulichkeit eines ehr-
lichen Mannes, der mit einem ehrlichen Manne zu re-
den glaubt, die nahe Gefahr, worinn ſeine Ehre und
die Tugend ſeiner Gemalin ſchwebe. Freylich entdekte
er dem edeln Philiſtus nichts, als was dieſer in der That
ſchon lange wußte; aber Philiſtus machte nichts deſto
weniger den Erſtaunten; indeſſen dankte er ihm mit der
lebhafteſten Empfindung fuͤr ein ſo unzweifelhaftes Merk-
mals ſeiner Freundſchaft, und verſicherte, daß er auf
ein ſchikliches Mittel bedacht ſeyn wollte, ſeine Gema-
lin, von welcher er uͤbrigens die beſte Meynung von
der Welt habe, gegen alle Nachſtellungen der Liebes-
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