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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
es nicht so weit kommen. Er legte eine neue Probe
ab, daß es nur der Danae gegeben war, die schwache
Seite von seinem Herzen ausfündig zu machen. Cleonissa
hatte bereits die Hälfte ihrer Künste erschöpft, ehe er
nur gewahr wurde, daß ein Anschlag gegen ihn im
Werke sey; und von dem Augenblik, da er es gewahr
wurde, stieg sein Kaltsinn, nach dem Verhältniß wie
ihre Bemühungen sich verdoppelten, auf einen solchen
Grad; oder deutlicher zu reden, der Absaz, den ihre
zulezt bis zur Unanständigkeit getriebene Nachstellungen
mit der affectirten Erhabenheit ihrer Denkungs-Art,
und mit der Majestät ihrer Tugend machten, that eine
so schlimme Würkung bey ihm, daß die schöne Cleonissa
sich genöthiget sah, die Hofnung des Triumphs, wo-
mit sich ihre Eitelkeit geschmeichelt hatte, gänzlich auf-
zugeben. Die Wuth, in welche sie dadurch gesezt
wurde, verwandelte sich nach und nach in den vollständig-
sten Haß, der jemals (mit Shakespear zu reden) die
Milch einer weiblichen Brust in Galle verwandelt hat.
Alles was sie ihrer Tugend in diesen Umständen zu thun
gab, war, die Bewegungen dieser Leidenschaft so geschikt
zu verbergen, daß weder der Hof nach Agathon selbst
gewahr wurde, mit welcher Ungeduld sie sich nach einer
Gelegenheit sehnte, ihn die Würkungen davon empfin-
den zu lassen.

Jn dieser Situation befanden sich die Sachen, als
Dionys, des ruhigen Besizes der immer gefälligen Bacchi-
dion, und ihrer Tänze überdrüssig, sich zum ersten mal

einfallen

Agathon.
es nicht ſo weit kommen. Er legte eine neue Probe
ab, daß es nur der Danae gegeben war, die ſchwache
Seite von ſeinem Herzen ausfuͤndig zu machen. Cleoniſſa
hatte bereits die Haͤlfte ihrer Kuͤnſte erſchoͤpft, ehe er
nur gewahr wurde, daß ein Anſchlag gegen ihn im
Werke ſey; und von dem Augenblik, da er es gewahr
wurde, ſtieg ſein Kaltſinn, nach dem Verhaͤltniß wie
ihre Bemuͤhungen ſich verdoppelten, auf einen ſolchen
Grad; oder deutlicher zu reden, der Abſaz, den ihre
zulezt bis zur Unanſtaͤndigkeit getriebene Nachſtellungen
mit der affectirten Erhabenheit ihrer Denkungs-Art,
und mit der Majeſtaͤt ihrer Tugend machten, that eine
ſo ſchlimme Wuͤrkung bey ihm, daß die ſchoͤne Cleoniſſa
ſich genoͤthiget ſah, die Hofnung des Triumphs, wo-
mit ſich ihre Eitelkeit geſchmeichelt hatte, gaͤnzlich auf-
zugeben. Die Wuth, in welche ſie dadurch geſezt
wurde, verwandelte ſich nach und nach in den vollſtaͤndig-
ſten Haß, der jemals (mit Shakeſpear zu reden) die
Milch einer weiblichen Bruſt in Galle verwandelt hat.
Alles was ſie ihrer Tugend in dieſen Umſtaͤnden zu thun
gab, war, die Bewegungen dieſer Leidenſchaft ſo geſchikt
zu verbergen, daß weder der Hof nach Agathon ſelbſt
gewahr wurde, mit welcher Ungeduld ſie ſich nach einer
Gelegenheit ſehnte, ihn die Wuͤrkungen davon empfin-
den zu laſſen.

Jn dieſer Situation befanden ſich die Sachen, als
Dionys, des ruhigen Beſizes der immer gefaͤlligen Bacchi-
dion, und ihrer Taͤnze uͤberdruͤſſig, ſich zum erſten mal

einfallen
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[228/0230] Agathon. es nicht ſo weit kommen. Er legte eine neue Probe ab, daß es nur der Danae gegeben war, die ſchwache Seite von ſeinem Herzen ausfuͤndig zu machen. Cleoniſſa hatte bereits die Haͤlfte ihrer Kuͤnſte erſchoͤpft, ehe er nur gewahr wurde, daß ein Anſchlag gegen ihn im Werke ſey; und von dem Augenblik, da er es gewahr wurde, ſtieg ſein Kaltſinn, nach dem Verhaͤltniß wie ihre Bemuͤhungen ſich verdoppelten, auf einen ſolchen Grad; oder deutlicher zu reden, der Abſaz, den ihre zulezt bis zur Unanſtaͤndigkeit getriebene Nachſtellungen mit der affectirten Erhabenheit ihrer Denkungs-Art, und mit der Majeſtaͤt ihrer Tugend machten, that eine ſo ſchlimme Wuͤrkung bey ihm, daß die ſchoͤne Cleoniſſa ſich genoͤthiget ſah, die Hofnung des Triumphs, wo- mit ſich ihre Eitelkeit geſchmeichelt hatte, gaͤnzlich auf- zugeben. Die Wuth, in welche ſie dadurch geſezt wurde, verwandelte ſich nach und nach in den vollſtaͤndig- ſten Haß, der jemals (mit Shakeſpear zu reden) die Milch einer weiblichen Bruſt in Galle verwandelt hat. Alles was ſie ihrer Tugend in dieſen Umſtaͤnden zu thun gab, war, die Bewegungen dieſer Leidenſchaft ſo geſchikt zu verbergen, daß weder der Hof nach Agathon ſelbſt gewahr wurde, mit welcher Ungeduld ſie ſich nach einer Gelegenheit ſehnte, ihn die Wuͤrkungen davon empfin- den zu laſſen. Jn dieſer Situation befanden ſich die Sachen, als Dionys, des ruhigen Beſizes der immer gefaͤlligen Bacchi- dion, und ihrer Taͤnze uͤberdruͤſſig, ſich zum erſten mal einfallen

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/230>, abgerufen am 26.04.2024.