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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
Jxion dieser Juno abzugeben. Die Mittelmässigkeit
ihrer Herkunft, und sowol der Stand als die Vorsicht
eines eyfersüchtigen Ehmannes, hatten sie während ihrer
ersten Jugend in einer so grossen Entfernung von der
Welt gehalten, daß sie eine ganz neue Erscheinung war,
als Philistus (der sie, wir wissen nicht wie, aufge-
spürt, und Mittel gefunden hatte, sie mit guter Art zur
Wittwe zu machen) sie in Qualität seiner Gemahlin an
den Hof der Princessinnen brachte; unter welchen Namen
die Mutter, die Gemahlin, und die Schwestern des
Dionys begriffen wurden. Nicht viel geneigter als sein
Vorgänger, eine Frau von so besondern Vorzügen mit
einem andern, und wenn es Juplter selbst gewesen
wäre, zu theilen, hatte er anfangs alle Behutsamkeit
gebraucht, welche der geizige Besizer eines kostbaren
Schazes nur immer anwenden kan, um ihn vor der
schlauesten Nachstellung zu verwahren. Aber die Tugend
der Dame, und die herrschende Neigung, welche Dionys
in den ersten Jahren seiner Regierung für diejenige Classe
von Schönen zeigte, welche nicht so viel Schwierig-
keiten machen; vielleicht auch eine gewisse Laulichkeit,
welche die Eigenthümer dieser wunderthätigen Schön-
heiten gemeiniglich nach Verfluß zweyer oder dreyer
Jahre, oft auch viel früher, unvermerkt zu überschlei-
chen pflegt; hatten seine Eifersucht so zahm gemacht,
daß er in der Folge kein Bedenken trug, sie den Princes-
sinnen so oft sie wollten zur Gesellschaft zu überlassen.
Wir wollen nicht untersuchen, ob Cleonissa damals würk-
lich so tugendhaft war, als die Sprödigkeit ihres Be-

tragens

Agathon.
Jxion dieſer Juno abzugeben. Die Mittelmaͤſſigkeit
ihrer Herkunft, und ſowol der Stand als die Vorſicht
eines eyferſuͤchtigen Ehmannes, hatten ſie waͤhrend ihrer
erſten Jugend in einer ſo groſſen Entfernung von der
Welt gehalten, daß ſie eine ganz neue Erſcheinung war,
als Philiſtus (der ſie, wir wiſſen nicht wie, aufge-
ſpuͤrt, und Mittel gefunden hatte, ſie mit guter Art zur
Wittwe zu machen) ſie in Qualitaͤt ſeiner Gemahlin an
den Hof der Princeſſinnen brachte; unter welchen Namen
die Mutter, die Gemahlin, und die Schweſtern des
Dionys begriffen wurden. Nicht viel geneigter als ſein
Vorgaͤnger, eine Frau von ſo beſondern Vorzuͤgen mit
einem andern, und wenn es Juplter ſelbſt geweſen
waͤre, zu theilen, hatte er anfangs alle Behutſamkeit
gebraucht, welche der geizige Beſizer eines koſtbaren
Schazes nur immer anwenden kan, um ihn vor der
ſchlaueſten Nachſtellung zu verwahren. Aber die Tugend
der Dame, und die herrſchende Neigung, welche Dionys
in den erſten Jahren ſeiner Regierung fuͤr diejenige Claſſe
von Schoͤnen zeigte, welche nicht ſo viel Schwierig-
keiten machen; vielleicht auch eine gewiſſe Laulichkeit,
welche die Eigenthuͤmer dieſer wunderthaͤtigen Schoͤn-
heiten gemeiniglich nach Verfluß zweyer oder dreyer
Jahre, oft auch viel fruͤher, unvermerkt zu uͤberſchlei-
chen pflegt; hatten ſeine Eiferſucht ſo zahm gemacht,
daß er in der Folge kein Bedenken trug, ſie den Princeſ-
ſinnen ſo oft ſie wollten zur Geſellſchaft zu uͤberlaſſen.
Wir wollen nicht unterſuchen, ob Cleoniſſa damals wuͤrk-
lich ſo tugendhaft war, als die Sproͤdigkeit ihres Be-

tragens
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[222/0224] Agathon. Jxion dieſer Juno abzugeben. Die Mittelmaͤſſigkeit ihrer Herkunft, und ſowol der Stand als die Vorſicht eines eyferſuͤchtigen Ehmannes, hatten ſie waͤhrend ihrer erſten Jugend in einer ſo groſſen Entfernung von der Welt gehalten, daß ſie eine ganz neue Erſcheinung war, als Philiſtus (der ſie, wir wiſſen nicht wie, aufge- ſpuͤrt, und Mittel gefunden hatte, ſie mit guter Art zur Wittwe zu machen) ſie in Qualitaͤt ſeiner Gemahlin an den Hof der Princeſſinnen brachte; unter welchen Namen die Mutter, die Gemahlin, und die Schweſtern des Dionys begriffen wurden. Nicht viel geneigter als ſein Vorgaͤnger, eine Frau von ſo beſondern Vorzuͤgen mit einem andern, und wenn es Juplter ſelbſt geweſen waͤre, zu theilen, hatte er anfangs alle Behutſamkeit gebraucht, welche der geizige Beſizer eines koſtbaren Schazes nur immer anwenden kan, um ihn vor der ſchlaueſten Nachſtellung zu verwahren. Aber die Tugend der Dame, und die herrſchende Neigung, welche Dionys in den erſten Jahren ſeiner Regierung fuͤr diejenige Claſſe von Schoͤnen zeigte, welche nicht ſo viel Schwierig- keiten machen; vielleicht auch eine gewiſſe Laulichkeit, welche die Eigenthuͤmer dieſer wunderthaͤtigen Schoͤn- heiten gemeiniglich nach Verfluß zweyer oder dreyer Jahre, oft auch viel fruͤher, unvermerkt zu uͤberſchlei- chen pflegt; hatten ſeine Eiferſucht ſo zahm gemacht, daß er in der Folge kein Bedenken trug, ſie den Princeſ- ſinnen ſo oft ſie wollten zur Geſellſchaft zu uͤberlaſſen. Wir wollen nicht unterſuchen, ob Cleoniſſa damals wuͤrk- lich ſo tugendhaft war, als die Sproͤdigkeit ihres Be- tragens

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/224>, abgerufen am 29.03.2024.