Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Zehentes Buch, erstes Capitel.
ihm, oder richtiger zu reden, Agathon schrieb die ge-
fällige Disposition, die er bey ihm fand, dem Eindruk
seiner eignen Vorstellungen zu, ohne wahrzunehmen,
daß sie ihren eigentlichen Grund in der niederträchtigen
Gemüthsart des Prinzen hatte. Er begab sich also inge-
heim (denn es war ihm daran gelegen, daß Timocra-
tes von seinem Vorhaben keinen Wink bekäme) in die-
jenige Städte, welche im Begrif stuhnden, die Parthey
von Carthago zu verstärken. Es gelang ihm, die wid-
rigen Vorurtheile zu zernichten, womit er alle Gemüther
gegen die gefürchtete Tyrannie Dionysens eingenommen
fand; er überzeugte sie so vollkommen davon, daß das
Beste eines jeden besondern Theils von dem Besten des
ganzen Sicilien unzertrennlich sey; machte ihnen ein
so schönes Gemählde von dem glüklichen Zustande dieser
Jnsel, wenn alle Theile derselben durch die Bande des
Vertrauens und der Freundschaft, sich in Syracus als
in dem gemeinschaftlichen Mittelpunct vereinigen wür-
den -- daß er mehr erhielt als er gehoft hatte, und
so gar mehr als er verlangte. Er wollte nur Bunds-
genossen, und es fehlte wenig, so würden sie in einem
Anstoß von überfliessender Zuneigung zu ihm, sich ohne
Bedingung zu Unterthanen eines Prinzen ergeben haben,
von dessen Minister sie so sehr bezaubert waren.

Die Veränderung, welche hiedurch in den öffentlichen
Angelegenheiten gemacht wurde, brachte den Krieg so
schnell zu Ende, daß Timocrates keine Gelegenheit be-
kam, durch ein entscheidendes Treffen (es möchte allen-

falls
O 2

Zehentes Buch, erſtes Capitel.
ihm, oder richtiger zu reden, Agathon ſchrieb die ge-
faͤllige Diſpoſition, die er bey ihm fand, dem Eindruk
ſeiner eignen Vorſtellungen zu, ohne wahrzunehmen,
daß ſie ihren eigentlichen Grund in der niedertraͤchtigen
Gemuͤthsart des Prinzen hatte. Er begab ſich alſo inge-
heim (denn es war ihm daran gelegen, daß Timocra-
tes von ſeinem Vorhaben keinen Wink bekaͤme) in die-
jenige Staͤdte, welche im Begrif ſtuhnden, die Parthey
von Carthago zu verſtaͤrken. Es gelang ihm, die wid-
rigen Vorurtheile zu zernichten, womit er alle Gemuͤther
gegen die gefuͤrchtete Tyrannie Dionyſens eingenommen
fand; er uͤberzeugte ſie ſo vollkommen davon, daß das
Beſte eines jeden beſondern Theils von dem Beſten des
ganzen Sicilien unzertrennlich ſey; machte ihnen ein
ſo ſchoͤnes Gemaͤhlde von dem gluͤklichen Zuſtande dieſer
Jnſel, wenn alle Theile derſelben durch die Bande des
Vertrauens und der Freundſchaft, ſich in Syracus als
in dem gemeinſchaftlichen Mittelpunct vereinigen wuͤr-
den ‒‒ daß er mehr erhielt als er gehoft hatte, und
ſo gar mehr als er verlangte. Er wollte nur Bunds-
genoſſen, und es fehlte wenig, ſo wuͤrden ſie in einem
Anſtoß von uͤberflieſſender Zuneigung zu ihm, ſich ohne
Bedingung zu Unterthanen eines Prinzen ergeben haben,
von deſſen Miniſter ſie ſo ſehr bezaubert waren.

Die Veraͤnderung, welche hiedurch in den oͤffentlichen
Angelegenheiten gemacht wurde, brachte den Krieg ſo
ſchnell zu Ende, daß Timocrates keine Gelegenheit be-
kam, durch ein entſcheidendes Treffen (es moͤchte allen-

falls
O 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0213" n="211"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zehentes Buch, er&#x017F;tes Capitel.</hi></fw><lb/>
ihm, oder richtiger zu reden, Agathon &#x017F;chrieb die ge-<lb/>
fa&#x0364;llige Di&#x017F;po&#x017F;ition, die er bey ihm fand, dem Eindruk<lb/>
&#x017F;einer eignen Vor&#x017F;tellungen zu, ohne wahrzunehmen,<lb/>
daß &#x017F;ie ihren eigentlichen Grund in der niedertra&#x0364;chtigen<lb/>
Gemu&#x0364;thsart des Prinzen hatte. Er begab &#x017F;ich al&#x017F;o inge-<lb/>
heim (denn es war ihm daran gelegen, daß Timocra-<lb/>
tes von &#x017F;einem Vorhaben keinen Wink beka&#x0364;me) in die-<lb/>
jenige Sta&#x0364;dte, welche im Begrif &#x017F;tuhnden, die Parthey<lb/>
von Carthago zu ver&#x017F;ta&#x0364;rken. Es gelang ihm, die wid-<lb/>
rigen Vorurtheile zu zernichten, womit er alle Gemu&#x0364;ther<lb/>
gegen die gefu&#x0364;rchtete Tyrannie Diony&#x017F;ens eingenommen<lb/>
fand; er u&#x0364;berzeugte &#x017F;ie &#x017F;o vollkommen davon, daß das<lb/>
Be&#x017F;te eines jeden be&#x017F;ondern Theils von dem Be&#x017F;ten des<lb/>
ganzen Sicilien unzertrennlich &#x017F;ey; machte ihnen ein<lb/>
&#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;nes Gema&#x0364;hlde von dem glu&#x0364;klichen Zu&#x017F;tande die&#x017F;er<lb/>
Jn&#x017F;el, wenn alle Theile der&#x017F;elben durch die Bande des<lb/>
Vertrauens und der Freund&#x017F;chaft, &#x017F;ich in Syracus als<lb/>
in dem gemein&#x017F;chaftlichen Mittelpunct vereinigen wu&#x0364;r-<lb/>
den &#x2012;&#x2012; daß er mehr erhielt als er gehoft hatte, und<lb/>
&#x017F;o gar mehr als er verlangte. Er wollte nur Bunds-<lb/>
geno&#x017F;&#x017F;en, und es fehlte wenig, &#x017F;o wu&#x0364;rden &#x017F;ie in einem<lb/>
An&#x017F;toß von u&#x0364;berflie&#x017F;&#x017F;ender Zuneigung zu ihm, &#x017F;ich ohne<lb/>
Bedingung zu Unterthanen eines Prinzen ergeben haben,<lb/>
von de&#x017F;&#x017F;en Mini&#x017F;ter &#x017F;ie &#x017F;o &#x017F;ehr bezaubert waren.</p><lb/>
            <p>Die Vera&#x0364;nderung, welche hiedurch in den o&#x0364;ffentlichen<lb/>
Angelegenheiten gemacht wurde, brachte den Krieg &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chnell zu Ende, daß Timocrates keine Gelegenheit be-<lb/>
kam, durch ein ent&#x017F;cheidendes Treffen (es mo&#x0364;chte allen-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 2</fw><fw place="bottom" type="catch">falls</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0213] Zehentes Buch, erſtes Capitel. ihm, oder richtiger zu reden, Agathon ſchrieb die ge- faͤllige Diſpoſition, die er bey ihm fand, dem Eindruk ſeiner eignen Vorſtellungen zu, ohne wahrzunehmen, daß ſie ihren eigentlichen Grund in der niedertraͤchtigen Gemuͤthsart des Prinzen hatte. Er begab ſich alſo inge- heim (denn es war ihm daran gelegen, daß Timocra- tes von ſeinem Vorhaben keinen Wink bekaͤme) in die- jenige Staͤdte, welche im Begrif ſtuhnden, die Parthey von Carthago zu verſtaͤrken. Es gelang ihm, die wid- rigen Vorurtheile zu zernichten, womit er alle Gemuͤther gegen die gefuͤrchtete Tyrannie Dionyſens eingenommen fand; er uͤberzeugte ſie ſo vollkommen davon, daß das Beſte eines jeden beſondern Theils von dem Beſten des ganzen Sicilien unzertrennlich ſey; machte ihnen ein ſo ſchoͤnes Gemaͤhlde von dem gluͤklichen Zuſtande dieſer Jnſel, wenn alle Theile derſelben durch die Bande des Vertrauens und der Freundſchaft, ſich in Syracus als in dem gemeinſchaftlichen Mittelpunct vereinigen wuͤr- den ‒‒ daß er mehr erhielt als er gehoft hatte, und ſo gar mehr als er verlangte. Er wollte nur Bunds- genoſſen, und es fehlte wenig, ſo wuͤrden ſie in einem Anſtoß von uͤberflieſſender Zuneigung zu ihm, ſich ohne Bedingung zu Unterthanen eines Prinzen ergeben haben, von deſſen Miniſter ſie ſo ſehr bezaubert waren. Die Veraͤnderung, welche hiedurch in den oͤffentlichen Angelegenheiten gemacht wurde, brachte den Krieg ſo ſchnell zu Ende, daß Timocrates keine Gelegenheit be- kam, durch ein entſcheidendes Treffen (es moͤchte allen- falls O 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/213
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/213>, abgerufen am 21.11.2024.