Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Neuntes Buch, fünftes Capitel. dankbarem Lächeln für Beyfall anzunehmen. Die Leb-haftigkeit seines Geistes und die Kenntniß, die er von allen Arten des Schönen besaß, machte daß er wenige seines Gleichen hatte, wo es auf die Erfindung sinnrei- cher Ergözlichkeiten, auf die Anordnung eines Festes, die Auszierung eines Hauses, oder auf das Urtheil über die Werke der Dichter, Tonkünstler, Mahler und Bildhauer ankam. Er liebte das Vergnügen, weil er das Schöne liebte; und aus eben diesem Grunde liebte er auch die Tugend: Aber er mußte das Vergnügen in seinem Wege finden, und die Tugend mußte ihm keine allzubeschwerliche Pflichten auflegen; dem einen oder der andern seine Gemächlichkeit aufzuopfern, so weit gieng seine Liebe nicht. Sein vornehmster Grundsaz, und derjenige, dem er allezeit getreu blieb, war; daß es in unsrer Gewalt sey, in allen Umständen glüklich zu seyn; des Phalaris glühenden Ochsen ausgenom- men; denn wie man in diesem sollte glüklich seyn kön- nen, davon konnte er sich keinen Begriff machen. Er sezte voraus, daß Seele und Leib sich im Stande der Gesundheit befinden müßten, und behauptete, daß es als dann nur darauf ankomme, daß wir uns nach den Umständen richten; anstatt, wie der grosse Hauffe der Sterblichen, zu verlangen, daß sich die Umstände nach uns richten sollen, oder ihnen, zu diesem Ende Gewalt anthun zu wollen. Von dieser sonderbaren Geschmeidig- keit kam es her, daß er das vielbedeutende Lob ver- diente, welches ihm Horaz giebt, "daß ihm alle Far- ben, alle Umstände des günstigen oder widrigen Glükes gleich L 4
Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel. dankbarem Laͤcheln fuͤr Beyfall anzunehmen. Die Leb-haftigkeit ſeines Geiſtes und die Kenntniß, die er von allen Arten des Schoͤnen beſaß, machte daß er wenige ſeines Gleichen hatte, wo es auf die Erfindung ſinnrei- cher Ergoͤzlichkeiten, auf die Anordnung eines Feſtes, die Auszierung eines Hauſes, oder auf das Urtheil uͤber die Werke der Dichter, Tonkuͤnſtler, Mahler und Bildhauer ankam. Er liebte das Vergnuͤgen, weil er das Schoͤne liebte; und aus eben dieſem Grunde liebte er auch die Tugend: Aber er mußte das Vergnuͤgen in ſeinem Wege finden, und die Tugend mußte ihm keine allzubeſchwerliche Pflichten auflegen; dem einen oder der andern ſeine Gemaͤchlichkeit aufzuopfern, ſo weit gieng ſeine Liebe nicht. Sein vornehmſter Grundſaz, und derjenige, dem er allezeit getreu blieb, war; daß es in unſrer Gewalt ſey, in allen Umſtaͤnden gluͤklich zu ſeyn; des Phalaris gluͤhenden Ochſen ausgenom- men; denn wie man in dieſem ſollte gluͤklich ſeyn koͤn- nen, davon konnte er ſich keinen Begriff machen. Er ſezte voraus, daß Seele und Leib ſich im Stande der Geſundheit befinden muͤßten, und behauptete, daß es als dann nur darauf ankomme, daß wir uns nach den Umſtaͤnden richten; anſtatt, wie der groſſe Hauffe der Sterblichen, zu verlangen, daß ſich die Umſtaͤnde nach uns richten ſollen, oder ihnen, zu dieſem Ende Gewalt anthun zu wollen. Von dieſer ſonderbaren Geſchmeidig- keit kam es her, daß er das vielbedeutende Lob ver- diente, welches ihm Horaz giebt, „daß ihm alle Far- ben, alle Umſtaͤnde des guͤnſtigen oder widrigen Gluͤkes gleich L 4
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Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel.
dankbarem Laͤcheln fuͤr Beyfall anzunehmen. Die Leb-
haftigkeit ſeines Geiſtes und die Kenntniß, die er von
allen Arten des Schoͤnen beſaß, machte daß er wenige
ſeines Gleichen hatte, wo es auf die Erfindung ſinnrei-
cher Ergoͤzlichkeiten, auf die Anordnung eines Feſtes,
die Auszierung eines Hauſes, oder auf das Urtheil
uͤber die Werke der Dichter, Tonkuͤnſtler, Mahler und
Bildhauer ankam. Er liebte das Vergnuͤgen, weil er
das Schoͤne liebte; und aus eben dieſem Grunde liebte
er auch die Tugend: Aber er mußte das Vergnuͤgen in
ſeinem Wege finden, und die Tugend mußte ihm keine
allzubeſchwerliche Pflichten auflegen; dem einen oder
der andern ſeine Gemaͤchlichkeit aufzuopfern, ſo weit
gieng ſeine Liebe nicht. Sein vornehmſter Grundſaz,
und derjenige, dem er allezeit getreu blieb, war; daß
es in unſrer Gewalt ſey, in allen Umſtaͤnden gluͤklich
zu ſeyn; des Phalaris gluͤhenden Ochſen ausgenom-
men; denn wie man in dieſem ſollte gluͤklich ſeyn koͤn-
nen, davon konnte er ſich keinen Begriff machen. Er
ſezte voraus, daß Seele und Leib ſich im Stande der
Geſundheit befinden muͤßten, und behauptete, daß es
als dann nur darauf ankomme, daß wir uns nach den
Umſtaͤnden richten; anſtatt, wie der groſſe Hauffe der
Sterblichen, zu verlangen, daß ſich die Umſtaͤnde nach
uns richten ſollen, oder ihnen, zu dieſem Ende Gewalt
anthun zu wollen. Von dieſer ſonderbaren Geſchmeidig-
keit kam es her, daß er das vielbedeutende Lob ver-
diente, welches ihm Horaz giebt, „daß ihm alle Far-
ben, alle Umſtaͤnde des guͤnſtigen oder widrigen Gluͤkes
gleich
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Zitationshilfe: | Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/169>, abgerufen am 16.07.2024. |