Herzens den Namen eines Weisen verdient, wenn ihn ein Sterblicher verdienen kan, ungeachtet seines Stan- des den Muth gehabt hat, in seiner critischen Geschichte der Philosophie diesem würdigen Schüler des Socrates Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen.
Ohne uns also um Aristipps Lehrsäze zu bekümmern, begnügen wir uns, von seinem persönlichen Character so viel zu sagen als man wissen muß, um die Person, die er an Dionysens Hofe vorstellte, richtiger beurthei- len zu können. Unter allen den vorgeblichen Weisen, welche sich damals an diesem Hofe befanden, war er der einzige, der keine heimliche Absichten auf die Frey- gebigkeit des Prinzen hatte; ob er sich gleich kein Be- denken machte, Geschenke von ihm anzunehmen, die er nicht durch parasitische Niederträchtigkeiten erkauffte. Durch seine natürliche Denkungs-Art eben so sehr als durch seine, in der That ziemlich gemächliche Philo- sophie, von Ambition und Geldgierigkeit gleich entfernt, bediente er sich eines zulänglichen Erbguts, (welches er bey Gelegenheit durch den erlaubten Vortheil, den er von seinen Talenten zog, zu vermehren wußte) um, nach seiner Neigung, mehr einen Zuschauer als einen Acteur auf dem Schauplaz der Welt vorzustellen. Da er einer der besten Köpfe seiner Zeit war, so gab ihm diese Freyheit, worinn er sich sein ganzes Leben durch erhielt, Gelegenheit sich einen Grad von Einsicht zu er- werben, der ihn zu einem scharfen und sichern Beurthei- ler aller Gegenstände des menschlichen Lebens machte.
Meister
L 3
Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel.
Herzens den Namen eines Weiſen verdient, wenn ihn ein Sterblicher verdienen kan, ungeachtet ſeines Stan- des den Muth gehabt hat, in ſeiner critiſchen Geſchichte der Philoſophie dieſem wuͤrdigen Schuͤler des Socrates Gerechtigkeit wiederfahren zu laſſen.
Ohne uns alſo um Ariſtipps Lehrſaͤze zu bekuͤmmern, begnuͤgen wir uns, von ſeinem perſoͤnlichen Character ſo viel zu ſagen als man wiſſen muß, um die Perſon, die er an Dionyſens Hofe vorſtellte, richtiger beurthei- len zu koͤnnen. Unter allen den vorgeblichen Weiſen, welche ſich damals an dieſem Hofe befanden, war er der einzige, der keine heimliche Abſichten auf die Frey- gebigkeit des Prinzen hatte; ob er ſich gleich kein Be- denken machte, Geſchenke von ihm anzunehmen, die er nicht durch paraſitiſche Niedertraͤchtigkeiten erkauffte. Durch ſeine natuͤrliche Denkungs-Art eben ſo ſehr als durch ſeine, in der That ziemlich gemaͤchliche Philo- ſophie, von Ambition und Geldgierigkeit gleich entfernt, bediente er ſich eines zulaͤnglichen Erbguts, (welches er bey Gelegenheit durch den erlaubten Vortheil, den er von ſeinen Talenten zog, zu vermehren wußte) um, nach ſeiner Neigung, mehr einen Zuſchauer als einen Acteur auf dem Schauplaz der Welt vorzuſtellen. Da er einer der beſten Koͤpfe ſeiner Zeit war, ſo gab ihm dieſe Freyheit, worinn er ſich ſein ganzes Leben durch erhielt, Gelegenheit ſich einen Grad von Einſicht zu er- werben, der ihn zu einem ſcharfen und ſichern Beurthei- ler aller Gegenſtaͤnde des menſchlichen Lebens machte.
Meiſter
L 3
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Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel.
Herzens den Namen eines Weiſen verdient, wenn ihn
ein Sterblicher verdienen kan, ungeachtet ſeines Stan-
des den Muth gehabt hat, in ſeiner critiſchen Geſchichte
der Philoſophie dieſem wuͤrdigen Schuͤler des Socrates
Gerechtigkeit wiederfahren zu laſſen.
Ohne uns alſo um Ariſtipps Lehrſaͤze zu bekuͤmmern,
begnuͤgen wir uns, von ſeinem perſoͤnlichen Character
ſo viel zu ſagen als man wiſſen muß, um die Perſon,
die er an Dionyſens Hofe vorſtellte, richtiger beurthei-
len zu koͤnnen. Unter allen den vorgeblichen Weiſen,
welche ſich damals an dieſem Hofe befanden, war er
der einzige, der keine heimliche Abſichten auf die Frey-
gebigkeit des Prinzen hatte; ob er ſich gleich kein Be-
denken machte, Geſchenke von ihm anzunehmen, die
er nicht durch paraſitiſche Niedertraͤchtigkeiten erkauffte.
Durch ſeine natuͤrliche Denkungs-Art eben ſo ſehr als
durch ſeine, in der That ziemlich gemaͤchliche Philo-
ſophie, von Ambition und Geldgierigkeit gleich entfernt,
bediente er ſich eines zulaͤnglichen Erbguts, (welches er
bey Gelegenheit durch den erlaubten Vortheil, den er
von ſeinen Talenten zog, zu vermehren wußte) um,
nach ſeiner Neigung, mehr einen Zuſchauer als einen
Acteur auf dem Schauplaz der Welt vorzuſtellen. Da
er einer der beſten Koͤpfe ſeiner Zeit war, ſo gab ihm
dieſe Freyheit, worinn er ſich ſein ganzes Leben durch
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/167>, abgerufen am 16.07.2024.
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