Kopf, den sie ihren Genie nennen, ihnen zum grösse- sten Vergnügen ihres Lebens macht.
Dionys befand diesen Rath seines würdigen Mini- sters vollkommen nach seinem Geschmak. Philistus über- gab ihm eine Liste von mehr als zwanzig Candidaten, aus denen man, wie er sagte, nach Belieben auswäh- len könnte. Dionys glaubte, daß man dieser nüzlichen Leute nicht zuviel haben könne, und wählte alle. Alle schönen Geister Griechenlandes wurden unter blenden- den Verheissungen an seinen Hof eingeladen. Jn kur- zer Zeit wimmelte es in seinen Vorsälen von Philoso- phen und Priestern der Musen. Alle Arten von Dich- tern, Epische, Tragische, Comische, Lyrische, welche ihr Glük zu Athen nicht hatten machen können, zogen nach Syracus, um ihre Leyern und Flöten an den an- muthigen Ufern des Anapus zu stimmen, und -- sich satt zu essen. Sie glaubten, daß es ihnen gar wol er- laubt seyn könne, die Tugenden des Dionys zu besin- gen, nachdem der göttliche Pindar sich nicht geschämt hatte, die Maulesel des Hieron unsterblich zu machen. So gar der cynische Antisthenes ließ sich durch die Hof- nung herbeyloken, daß ihn die Freygebigkeit des Dionys in den Stand sezen würde, die Vortheile der freywil- ligen Armuth und der Enthaltsamkeit mit desto mehr Gemächlichkeit zu studieren; Tugenden, von deren Schön- heit, nach dem stillschweigenden Geständuis ihrer eyf- rigsten Lobredner, sich nach einer guten Mahlzeit am beredtesten sprechen läßt. Kurz, Dionys hatte das Ver-
gnügen,
K 4
Neuntes Buch, viertes Capitel.
Kopf, den ſie ihren Genie nennen, ihnen zum groͤſſe- ſten Vergnuͤgen ihres Lebens macht.
Dionys befand dieſen Rath ſeines wuͤrdigen Mini- ſters vollkommen nach ſeinem Geſchmak. Philiſtus uͤber- gab ihm eine Liſte von mehr als zwanzig Candidaten, aus denen man, wie er ſagte, nach Belieben auswaͤh- len koͤnnte. Dionys glaubte, daß man dieſer nuͤzlichen Leute nicht zuviel haben koͤnne, und waͤhlte alle. Alle ſchoͤnen Geiſter Griechenlandes wurden unter blenden- den Verheiſſungen an ſeinen Hof eingeladen. Jn kur- zer Zeit wimmelte es in ſeinen Vorſaͤlen von Philoſo- phen und Prieſtern der Muſen. Alle Arten von Dich- tern, Epiſche, Tragiſche, Comiſche, Lyriſche, welche ihr Gluͤk zu Athen nicht hatten machen koͤnnen, zogen nach Syracus, um ihre Leyern und Floͤten an den an- muthigen Ufern des Anapus zu ſtimmen, und ‒‒ ſich ſatt zu eſſen. Sie glaubten, daß es ihnen gar wol er- laubt ſeyn koͤnne, die Tugenden des Dionys zu beſin- gen, nachdem der goͤttliche Pindar ſich nicht geſchaͤmt hatte, die Mauleſel des Hieron unſterblich zu machen. So gar der cyniſche Antiſthenes ließ ſich durch die Hof- nung herbeyloken, daß ihn die Freygebigkeit des Dionys in den Stand ſezen wuͤrde, die Vortheile der freywil- ligen Armuth und der Enthaltſamkeit mit deſto mehr Gemaͤchlichkeit zu ſtudieren; Tugenden, von deren Schoͤn- heit, nach dem ſtillſchweigenden Geſtaͤnduis ihrer eyf- rigſten Lobredner, ſich nach einer guten Mahlzeit am beredteſten ſprechen laͤßt. Kurz, Dionys hatte das Ver-
gnuͤgen,
K 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0153"n="151"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Neuntes Buch, viertes Capitel.</hi></fw><lb/>
Kopf, den ſie ihren Genie nennen, ihnen zum groͤſſe-<lb/>ſten Vergnuͤgen ihres Lebens macht.</p><lb/><p>Dionys befand dieſen Rath ſeines wuͤrdigen Mini-<lb/>ſters vollkommen nach ſeinem Geſchmak. Philiſtus uͤber-<lb/>
gab ihm eine Liſte von mehr als zwanzig Candidaten,<lb/>
aus denen man, wie er ſagte, nach Belieben auswaͤh-<lb/>
len koͤnnte. Dionys glaubte, daß man dieſer nuͤzlichen<lb/>
Leute nicht zuviel haben koͤnne, und waͤhlte alle. Alle<lb/>ſchoͤnen Geiſter Griechenlandes wurden unter blenden-<lb/>
den Verheiſſungen an ſeinen Hof eingeladen. Jn kur-<lb/>
zer Zeit wimmelte es in ſeinen Vorſaͤlen von Philoſo-<lb/>
phen und Prieſtern der Muſen. Alle Arten von Dich-<lb/>
tern, Epiſche, Tragiſche, Comiſche, Lyriſche, welche<lb/>
ihr Gluͤk zu Athen nicht hatten machen koͤnnen, zogen<lb/>
nach Syracus, um ihre Leyern und Floͤten an den an-<lb/>
muthigen Ufern des Anapus zu ſtimmen, und ‒‒ſich<lb/>ſatt zu eſſen. Sie glaubten, daß es ihnen gar wol er-<lb/>
laubt ſeyn koͤnne, die Tugenden des Dionys zu beſin-<lb/>
gen, nachdem der goͤttliche Pindar ſich nicht geſchaͤmt<lb/>
hatte, die Mauleſel des Hieron unſterblich zu machen.<lb/>
So gar der cyniſche Antiſthenes ließ ſich durch die Hof-<lb/>
nung herbeyloken, daß ihn die Freygebigkeit des Dionys<lb/>
in den Stand ſezen wuͤrde, die Vortheile der freywil-<lb/>
ligen Armuth und der Enthaltſamkeit mit deſto mehr<lb/>
Gemaͤchlichkeit zu ſtudieren; Tugenden, von deren Schoͤn-<lb/>
heit, nach dem ſtillſchweigenden Geſtaͤnduis ihrer eyf-<lb/>
rigſten Lobredner, ſich nach einer guten Mahlzeit am<lb/>
beredteſten ſprechen laͤßt. Kurz, Dionys hatte das Ver-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">K 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">gnuͤgen,</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[151/0153]
Neuntes Buch, viertes Capitel.
Kopf, den ſie ihren Genie nennen, ihnen zum groͤſſe-
ſten Vergnuͤgen ihres Lebens macht.
Dionys befand dieſen Rath ſeines wuͤrdigen Mini-
ſters vollkommen nach ſeinem Geſchmak. Philiſtus uͤber-
gab ihm eine Liſte von mehr als zwanzig Candidaten,
aus denen man, wie er ſagte, nach Belieben auswaͤh-
len koͤnnte. Dionys glaubte, daß man dieſer nuͤzlichen
Leute nicht zuviel haben koͤnne, und waͤhlte alle. Alle
ſchoͤnen Geiſter Griechenlandes wurden unter blenden-
den Verheiſſungen an ſeinen Hof eingeladen. Jn kur-
zer Zeit wimmelte es in ſeinen Vorſaͤlen von Philoſo-
phen und Prieſtern der Muſen. Alle Arten von Dich-
tern, Epiſche, Tragiſche, Comiſche, Lyriſche, welche
ihr Gluͤk zu Athen nicht hatten machen koͤnnen, zogen
nach Syracus, um ihre Leyern und Floͤten an den an-
muthigen Ufern des Anapus zu ſtimmen, und ‒‒ ſich
ſatt zu eſſen. Sie glaubten, daß es ihnen gar wol er-
laubt ſeyn koͤnne, die Tugenden des Dionys zu beſin-
gen, nachdem der goͤttliche Pindar ſich nicht geſchaͤmt
hatte, die Mauleſel des Hieron unſterblich zu machen.
So gar der cyniſche Antiſthenes ließ ſich durch die Hof-
nung herbeyloken, daß ihn die Freygebigkeit des Dionys
in den Stand ſezen wuͤrde, die Vortheile der freywil-
ligen Armuth und der Enthaltſamkeit mit deſto mehr
Gemaͤchlichkeit zu ſtudieren; Tugenden, von deren Schoͤn-
heit, nach dem ſtillſchweigenden Geſtaͤnduis ihrer eyf-
rigſten Lobredner, ſich nach einer guten Mahlzeit am
beredteſten ſprechen laͤßt. Kurz, Dionys hatte das Ver-
gnuͤgen,
K 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/153>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.