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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
Ziel zu seinem Ruhm und zu Beförderung seiner Absich-
ten zu verschwenden. Glaubest du, sagte er, daß
Hieron der wunderthätige Mann, der Held, der Halb-
gott, das Muster aller fürstlichen, bürgerlichen und
häuslichen Tugenden gewesen sey, wofür ihn die Nach-
welt hält? Wir wissen was wir davon denken sollen;
er war was alle Prinzen sind, und lebte wie sie alle
leben; er that was ich und ein jeder andrer thun
würde, wenn wir zu unumschränkten Herren einer so
schönen Jnsel, wie Sicilien ist, gebohren wären ---
Aber er hatte die Klugheit, Simoniden und Pindare an
seinem Hofe zu halten; sie lobten ihn in die Wette,
weil sie wol gefüttert und wol bezahlt wurden; alle
Welt erhob die Freygebigkeit dieses Prinzen, und doch
kostete ihn dieser Ruhm nicht halb soviel, als seine Jagd-
hunde. Wer wollte ein König seyn, wenn ein König
das alles würklich thun müßte, was sich ein müssiger
Sophist auf seinem Faulbethe oder Diogenes in seinem
Fasse einfallen läßt, ihm zu Pflichten zu machen? Wer
wollte regieren, wenn ein Regent allen Forderungen
und Wünschen seiner Unterthanen genug thun müßte?
Das meiste, wo nicht alles, kömmt auf die Meynung
an, die ein grosser Herr von sich erwekt; nicht auf
seine Handlungen selbst, sondern auf die Gestalt und
den Schwung, den er ihnen zu geben weiß. Was er
nicht selbst thun will, oder thun kan, das können wi-
zige Köpfe für ihn thun. Haltet euch einen Philoso-
phen, der alles demonstriren, einen sinnreichen Schwä-
zer, der über alles scherzen, und einen Poeten, der

über

Agathon.
Ziel zu ſeinem Ruhm und zu Befoͤrderung ſeiner Abſich-
ten zu verſchwenden. Glaubeſt du, ſagte er, daß
Hieron der wunderthaͤtige Mann, der Held, der Halb-
gott, das Muſter aller fuͤrſtlichen, buͤrgerlichen und
haͤuslichen Tugenden geweſen ſey, wofuͤr ihn die Nach-
welt haͤlt? Wir wiſſen was wir davon denken ſollen;
er war was alle Prinzen ſind, und lebte wie ſie alle
leben; er that was ich und ein jeder andrer thun
wuͤrde, wenn wir zu unumſchraͤnkten Herren einer ſo
ſchoͤnen Jnſel, wie Sicilien iſt, gebohren waͤren ‒‒‒
Aber er hatte die Klugheit, Simoniden und Pindare an
ſeinem Hofe zu halten; ſie lobten ihn in die Wette,
weil ſie wol gefuͤttert und wol bezahlt wurden; alle
Welt erhob die Freygebigkeit dieſes Prinzen, und doch
koſtete ihn dieſer Ruhm nicht halb ſoviel, als ſeine Jagd-
hunde. Wer wollte ein Koͤnig ſeyn, wenn ein Koͤnig
das alles wuͤrklich thun muͤßte, was ſich ein muͤſſiger
Sophiſt auf ſeinem Faulbethe oder Diogenes in ſeinem
Faſſe einfallen laͤßt, ihm zu Pflichten zu machen? Wer
wollte regieren, wenn ein Regent allen Forderungen
und Wuͤnſchen ſeiner Unterthanen genug thun muͤßte?
Das meiſte, wo nicht alles, koͤmmt auf die Meynung
an, die ein groſſer Herr von ſich erwekt; nicht auf
ſeine Handlungen ſelbſt, ſondern auf die Geſtalt und
den Schwung, den er ihnen zu geben weiß. Was er
nicht ſelbſt thun will, oder thun kan, das koͤnnen wi-
zige Koͤpfe fuͤr ihn thun. Haltet euch einen Philoſo-
phen, der alles demonſtriren, einen ſinnreichen Schwaͤ-
zer, der uͤber alles ſcherzen, und einen Poeten, der

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[148/0150] Agathon. Ziel zu ſeinem Ruhm und zu Befoͤrderung ſeiner Abſich- ten zu verſchwenden. Glaubeſt du, ſagte er, daß Hieron der wunderthaͤtige Mann, der Held, der Halb- gott, das Muſter aller fuͤrſtlichen, buͤrgerlichen und haͤuslichen Tugenden geweſen ſey, wofuͤr ihn die Nach- welt haͤlt? Wir wiſſen was wir davon denken ſollen; er war was alle Prinzen ſind, und lebte wie ſie alle leben; er that was ich und ein jeder andrer thun wuͤrde, wenn wir zu unumſchraͤnkten Herren einer ſo ſchoͤnen Jnſel, wie Sicilien iſt, gebohren waͤren ‒‒‒ Aber er hatte die Klugheit, Simoniden und Pindare an ſeinem Hofe zu halten; ſie lobten ihn in die Wette, weil ſie wol gefuͤttert und wol bezahlt wurden; alle Welt erhob die Freygebigkeit dieſes Prinzen, und doch koſtete ihn dieſer Ruhm nicht halb ſoviel, als ſeine Jagd- hunde. Wer wollte ein Koͤnig ſeyn, wenn ein Koͤnig das alles wuͤrklich thun muͤßte, was ſich ein muͤſſiger Sophiſt auf ſeinem Faulbethe oder Diogenes in ſeinem Faſſe einfallen laͤßt, ihm zu Pflichten zu machen? Wer wollte regieren, wenn ein Regent allen Forderungen und Wuͤnſchen ſeiner Unterthanen genug thun muͤßte? Das meiſte, wo nicht alles, koͤmmt auf die Meynung an, die ein groſſer Herr von ſich erwekt; nicht auf ſeine Handlungen ſelbſt, ſondern auf die Geſtalt und den Schwung, den er ihnen zu geben weiß. Was er nicht ſelbſt thun will, oder thun kan, das koͤnnen wi- zige Koͤpfe fuͤr ihn thun. Haltet euch einen Philoſo- phen, der alles demonſtriren, einen ſinnreichen Schwaͤ- zer, der uͤber alles ſcherzen, und einen Poeten, der uͤber

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/150>, abgerufen am 25.11.2024.