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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
vor dem Gedanken, deine Liebe jemals verlieren zu
können, wie vor der Vernichtung meines ganzen We-
sens, erzittre? -- Laß mich, laß mich die Gewiß-
heit, daß es nie geschehen werde, daß es unmöglich
sey, immer in deinen Augen lesen, immer von deinen
Lippen hören, und in deinen Armen fühlen; und wenn
diese vergötternde Bezauberung jemals aufhören soll,
so nihm, im lezten Augenblik, alle deine Macht zusam-
men, und laß mich vor Entzükung und Liebe zu dei-
nen Füssen sterben. --

Von der Antwort, womit Danae diese Ergiessungen
einer glühenden Zärtlichkeit erwiederte, läßt sich das
Wenigste mit Worten ausdrüken; und dieses kan sich, nach
allem, was wir bereits von ihren Gesinnungen für un-
sern Helden gesagt haben, der kaltsinnigste von unsern
Lesern so gut vorstellen, als wir es ihm sagen könn-
ten -- oder sich's auch nicht vorstellen, wenn es
ihm beliebt. Daß sie ihm übrigens sehr höflich für die
Erzählung seiner Geschichte gedankt, und eine unge-
meine Freude darüber empfunden habe, in diesem Scla-
ven, der die Alcibiaden und den liebenswürdigen Cy-
rus selbst aus ihrem Herzen ausgelöscht hatte, den
ruhmvollen Agathon, den Mann, den das Gerüchte
zum Wunder seiner Zeit gemacht hatte, zu finden;
und daß sie ihm hierüber viel schönes gesagt haben
werde -- verstehet sich von selbst. Dieses und
alles, was eine jede andere, die keine Danae gewesen
wäre, in den vorliegenden Umständen auch gesagt

hätte,

Agathon.
vor dem Gedanken, deine Liebe jemals verlieren zu
koͤnnen, wie vor der Vernichtung meines ganzen We-
ſens, erzittre? — Laß mich, laß mich die Gewiß-
heit, daß es nie geſchehen werde, daß es unmoͤglich
ſey, immer in deinen Augen leſen, immer von deinen
Lippen hoͤren, und in deinen Armen fuͤhlen; und wenn
dieſe vergoͤtternde Bezauberung jemals aufhoͤren ſoll,
ſo nihm, im lezten Augenblik, alle deine Macht zuſam-
men, und laß mich vor Entzuͤkung und Liebe zu dei-
nen Fuͤſſen ſterben. —

Von der Antwort, womit Danae dieſe Ergieſſungen
einer gluͤhenden Zaͤrtlichkeit erwiederte, laͤßt ſich das
Wenigſte mit Worten ausdruͤken; und dieſes kan ſich, nach
allem, was wir bereits von ihren Geſinnungen fuͤr un-
ſern Helden geſagt haben, der kaltſinnigſte von unſern
Leſern ſo gut vorſtellen, als wir es ihm ſagen koͤnn-
ten — oder ſich’s auch nicht vorſtellen, wenn es
ihm beliebt. Daß ſie ihm uͤbrigens ſehr hoͤflich fuͤr die
Erzaͤhlung ſeiner Geſchichte gedankt, und eine unge-
meine Freude daruͤber empfunden habe, in dieſem Scla-
ven, der die Alcibiaden und den liebenswuͤrdigen Cy-
rus ſelbſt aus ihrem Herzen ausgeloͤſcht hatte, den
ruhmvollen Agathon, den Mann, den das Geruͤchte
zum Wunder ſeiner Zeit gemacht hatte, zu finden;
und daß ſie ihm hieruͤber viel ſchoͤnes geſagt haben
werde — verſtehet ſich von ſelbſt. Dieſes und
alles, was eine jede andere, die keine Danae geweſen
waͤre, in den vorliegenden Umſtaͤnden auch geſagt

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[380/0402] Agathon. vor dem Gedanken, deine Liebe jemals verlieren zu koͤnnen, wie vor der Vernichtung meines ganzen We- ſens, erzittre? — Laß mich, laß mich die Gewiß- heit, daß es nie geſchehen werde, daß es unmoͤglich ſey, immer in deinen Augen leſen, immer von deinen Lippen hoͤren, und in deinen Armen fuͤhlen; und wenn dieſe vergoͤtternde Bezauberung jemals aufhoͤren ſoll, ſo nihm, im lezten Augenblik, alle deine Macht zuſam- men, und laß mich vor Entzuͤkung und Liebe zu dei- nen Fuͤſſen ſterben. — Von der Antwort, womit Danae dieſe Ergieſſungen einer gluͤhenden Zaͤrtlichkeit erwiederte, laͤßt ſich das Wenigſte mit Worten ausdruͤken; und dieſes kan ſich, nach allem, was wir bereits von ihren Geſinnungen fuͤr un- ſern Helden geſagt haben, der kaltſinnigſte von unſern Leſern ſo gut vorſtellen, als wir es ihm ſagen koͤnn- ten — oder ſich’s auch nicht vorſtellen, wenn es ihm beliebt. Daß ſie ihm uͤbrigens ſehr hoͤflich fuͤr die Erzaͤhlung ſeiner Geſchichte gedankt, und eine unge- meine Freude daruͤber empfunden habe, in dieſem Scla- ven, der die Alcibiaden und den liebenswuͤrdigen Cy- rus ſelbſt aus ihrem Herzen ausgeloͤſcht hatte, den ruhmvollen Agathon, den Mann, den das Geruͤchte zum Wunder ſeiner Zeit gemacht hatte, zu finden; und daß ſie ihm hieruͤber viel ſchoͤnes geſagt haben werde — verſtehet ſich von ſelbſt. Dieſes und alles, was eine jede andere, die keine Danae geweſen waͤre, in den vorliegenden Umſtaͤnden auch geſagt haͤtte,

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/402>, abgerufen am 19.04.2024.