Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebentes Buch, siebentes Capitel.
durchwischen konnte; und diese ließ eine Veränderung
der Scene besorgen, bey welcher weder ihr Haß ge-
gen mich, noch ihre Sicherheit, ihre Rechnung fan-
den. Man mußte also noch eine andere Mine springen
lassen, durch die mir, wenn ich einmal aus Athen
vertrieben wäre, alle Hoffnung, jemals wieder zurük-
zukommen, abgeschnitten würde. Man mußte bewei-
sen, daß ich kein Bürger von Athen sey; daß meine
Mutter keine Bürgerin, und Stratonicus nicht mein
Vater gewesen; daß er mich, in Ermanglung eines
Erben von seinem eigenen Blute, aus Haß gegen den-
jenigen, der es, den Gesezen nach, gewesen wäre,
angenommen und unterschoben habe; und daß also die
Geseze mir kein Recht an seine Erbschaft zugestühnden.
Da es zu Athen an Leuten niemal fehlt, welche gegen eine
proportionierte Belohnung alles gesehen und gehört
haben, was man will; und da alle diejenigen gestor-
ben waren, welche der Wahrheit das beste Zeugniß
hätten geben können: so war es meinen Gegnern ein Leich-
tes, alles dieses eben so gut zu beweisen, als sie meine
Staats-Verbrechen bewiesen hatten. Es wurde also
eine neue Klage angestellt. Derjenige, der sich zum
Kläger wider mich aufwarf, war ein Neffe von mei-
nem Vater, durch nichts als durch die lüderlichste Le-
bens-Art bekannt, wodurch er sein Erb-Gut schon vor
einigen Jahren verprasset hatte. Seine Unverbesserlich-
keit hatte ihu endlich der Freundschaft meines Vaters,
so wie der Achtung aller rechtschaffenen Leute, beraubt;
und dieses Umstands bediente er sich nun, mich um

eine
Z 4

Siebentes Buch, ſiebentes Capitel.
durchwiſchen konnte; und dieſe ließ eine Veraͤnderung
der Scene beſorgen, bey welcher weder ihr Haß ge-
gen mich, noch ihre Sicherheit, ihre Rechnung fan-
den. Man mußte alſo noch eine andere Mine ſpringen
laſſen, durch die mir, wenn ich einmal aus Athen
vertrieben waͤre, alle Hoffnung, jemals wieder zuruͤk-
zukommen, abgeſchnitten wuͤrde. Man mußte bewei-
ſen, daß ich kein Buͤrger von Athen ſey; daß meine
Mutter keine Buͤrgerin, und Stratonicus nicht mein
Vater geweſen; daß er mich, in Ermanglung eines
Erben von ſeinem eigenen Blute, aus Haß gegen den-
jenigen, der es, den Geſezen nach, geweſen waͤre,
angenommen und unterſchoben habe; und daß alſo die
Geſeze mir kein Recht an ſeine Erbſchaft zugeſtuͤhnden.
Da es zu Athen an Leuten niemal fehlt, welche gegen eine
proportionierte Belohnung alles geſehen und gehoͤrt
haben, was man will; und da alle diejenigen geſtor-
ben waren, welche der Wahrheit das beſte Zeugniß
haͤtten geben koͤnnen: ſo war es meinen Gegnern ein Leich-
tes, alles dieſes eben ſo gut zu beweiſen, als ſie meine
Staats-Verbrechen bewieſen hatten. Es wurde alſo
eine neue Klage angeſtellt. Derjenige, der ſich zum
Klaͤger wider mich aufwarf, war ein Neffe von mei-
nem Vater, durch nichts als durch die luͤderlichſte Le-
bens-Art bekannt, wodurch er ſein Erb-Gut ſchon vor
einigen Jahren verpraſſet hatte. Seine Unverbeſſerlich-
keit hatte ihu endlich der Freundſchaft meines Vaters,
ſo wie der Achtung aller rechtſchaffenen Leute, beraubt;
und dieſes Umſtands bediente er ſich nun, mich um

eine
Z 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0381" n="359"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Siebentes Buch, &#x017F;iebentes Capitel.</hi></fw><lb/>
durchwi&#x017F;chen konnte; und die&#x017F;e ließ eine Vera&#x0364;nderung<lb/>
der Scene be&#x017F;orgen, bey welcher weder ihr Haß ge-<lb/>
gen mich, noch ihre Sicherheit, ihre Rechnung fan-<lb/>
den. Man mußte al&#x017F;o noch eine andere Mine &#x017F;pringen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, durch die mir, wenn ich einmal aus Athen<lb/>
vertrieben wa&#x0364;re, alle Hoffnung, jemals wieder zuru&#x0364;k-<lb/>
zukommen, abge&#x017F;chnitten wu&#x0364;rde. Man mußte bewei-<lb/>
&#x017F;en, daß ich kein Bu&#x0364;rger von Athen &#x017F;ey; daß meine<lb/>
Mutter keine Bu&#x0364;rgerin, und Stratonicus nicht mein<lb/>
Vater gewe&#x017F;en; daß er mich, in Ermanglung eines<lb/>
Erben von &#x017F;einem eigenen Blute, aus Haß gegen den-<lb/>
jenigen, der es, den Ge&#x017F;ezen nach, gewe&#x017F;en wa&#x0364;re,<lb/>
angenommen und unter&#x017F;choben habe; und daß al&#x017F;o die<lb/>
Ge&#x017F;eze mir kein Recht an &#x017F;eine Erb&#x017F;chaft zuge&#x017F;tu&#x0364;hnden.<lb/>
Da es zu Athen an Leuten niemal fehlt, welche gegen eine<lb/>
proportionierte Belohnung alles ge&#x017F;ehen und geho&#x0364;rt<lb/>
haben, was man will; und da alle diejenigen ge&#x017F;tor-<lb/>
ben waren, welche der Wahrheit das be&#x017F;te Zeugniß<lb/>
ha&#x0364;tten geben ko&#x0364;nnen: &#x017F;o war es meinen Gegnern ein Leich-<lb/>
tes, alles die&#x017F;es eben &#x017F;o gut zu bewei&#x017F;en, als &#x017F;ie meine<lb/>
Staats-Verbrechen bewie&#x017F;en hatten. Es wurde al&#x017F;o<lb/>
eine neue Klage ange&#x017F;tellt. Derjenige, der &#x017F;ich zum<lb/>
Kla&#x0364;ger wider mich aufwarf, war ein Neffe von mei-<lb/>
nem Vater, durch nichts als durch die lu&#x0364;derlich&#x017F;te Le-<lb/>
bens-Art bekannt, wodurch er &#x017F;ein Erb-Gut &#x017F;chon vor<lb/>
einigen Jahren verpra&#x017F;&#x017F;et hatte. Seine Unverbe&#x017F;&#x017F;erlich-<lb/>
keit hatte ihu endlich der Freund&#x017F;chaft meines Vaters,<lb/>
&#x017F;o wie der Achtung aller recht&#x017F;chaffenen Leute, beraubt;<lb/>
und die&#x017F;es Um&#x017F;tands bediente er &#x017F;ich nun, mich um<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Z 4</fw><fw place="bottom" type="catch">eine</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[359/0381] Siebentes Buch, ſiebentes Capitel. durchwiſchen konnte; und dieſe ließ eine Veraͤnderung der Scene beſorgen, bey welcher weder ihr Haß ge- gen mich, noch ihre Sicherheit, ihre Rechnung fan- den. Man mußte alſo noch eine andere Mine ſpringen laſſen, durch die mir, wenn ich einmal aus Athen vertrieben waͤre, alle Hoffnung, jemals wieder zuruͤk- zukommen, abgeſchnitten wuͤrde. Man mußte bewei- ſen, daß ich kein Buͤrger von Athen ſey; daß meine Mutter keine Buͤrgerin, und Stratonicus nicht mein Vater geweſen; daß er mich, in Ermanglung eines Erben von ſeinem eigenen Blute, aus Haß gegen den- jenigen, der es, den Geſezen nach, geweſen waͤre, angenommen und unterſchoben habe; und daß alſo die Geſeze mir kein Recht an ſeine Erbſchaft zugeſtuͤhnden. Da es zu Athen an Leuten niemal fehlt, welche gegen eine proportionierte Belohnung alles geſehen und gehoͤrt haben, was man will; und da alle diejenigen geſtor- ben waren, welche der Wahrheit das beſte Zeugniß haͤtten geben koͤnnen: ſo war es meinen Gegnern ein Leich- tes, alles dieſes eben ſo gut zu beweiſen, als ſie meine Staats-Verbrechen bewieſen hatten. Es wurde alſo eine neue Klage angeſtellt. Derjenige, der ſich zum Klaͤger wider mich aufwarf, war ein Neffe von mei- nem Vater, durch nichts als durch die luͤderlichſte Le- bens-Art bekannt, wodurch er ſein Erb-Gut ſchon vor einigen Jahren verpraſſet hatte. Seine Unverbeſſerlich- keit hatte ihu endlich der Freundſchaft meines Vaters, ſo wie der Achtung aller rechtſchaffenen Leute, beraubt; und dieſes Umſtands bediente er ſich nun, mich um eine Z 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/381
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/381>, abgerufen am 04.05.2024.