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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
vermehren. Der Tod meines Vaters, der um diese
Zeit erfolgte, beraubte mich eines Freundes und Füh-
rers, dessen Klugheit mir in dem gefahrvollen Ocean
des politischen Lebens unentbehrlich war. Jch wurde
dadurch in den Besiz der grossen Reichthümer gesezt,
mit denen er nur dadurch dem Neid entgangen war,
weil er sie mit grosser Bescheidenheit gebrauchte. Jch
war nicht so vorsichtig. Der Gebrauch, den ich davon
machte, war zwar an sich selbst edel und löblich; ich
verschwendete sie, um Gutes zu thun; ich unterstüzte
alle Arten von Bürgern, welche ohne ihre Schuld in
Unglük gerathen waren; mein Haus war der Sammel-
Plaz der Gelehrten, der Künstler und der Fremden;
mein Vermögen stuhnd jedem zu Diensten, der es benö-
thigt war: aber eben dieses war es, was in der Folge
meinen Fall beförderte. Man würde mir eher zu gut ge-
halten haben, wenn ich es mit Gastmälern, mit Buh-
lerinnen und mit einer immerwährenden Abwechßlung
prächtiger und ausschweiffender Lustbarkeiten durchge-
bracht hätte. Jndeß stuhnd es eine geraume Zeit an,
bis die Eifersucht, welche ich durch eine solche Lebens-
Art in den Gemüthern der Angesehensten unter den
Edeln zu Athen erregte, es wagen durfte, in sichtbare
Würkungen auszubrechen. Das Volk, welches mich
vorhin geliebet hatte, fieng nun an, mich zu vergöttern.
Der Ausdruk, den ich hier gebrauche, ist nicht zu stark;
denn da ein gewisser Dichter, der sich meines Tisches zu
bedienen pflegte, sich einst einfallen ließ, in einem gros-
sen und elenden Gedicht mir den Apollo zum Vater zu

geben,

Agathon.
vermehren. Der Tod meines Vaters, der um dieſe
Zeit erfolgte, beraubte mich eines Freundes und Fuͤh-
rers, deſſen Klugheit mir in dem gefahrvollen Ocean
des politiſchen Lebens unentbehrlich war. Jch wurde
dadurch in den Beſiz der groſſen Reichthuͤmer geſezt,
mit denen er nur dadurch dem Neid entgangen war,
weil er ſie mit groſſer Beſcheidenheit gebrauchte. Jch
war nicht ſo vorſichtig. Der Gebrauch, den ich davon
machte, war zwar an ſich ſelbſt edel und loͤblich; ich
verſchwendete ſie, um Gutes zu thun; ich unterſtuͤzte
alle Arten von Buͤrgern, welche ohne ihre Schuld in
Ungluͤk gerathen waren; mein Haus war der Sammel-
Plaz der Gelehrten, der Kuͤnſtler und der Fremden;
mein Vermoͤgen ſtuhnd jedem zu Dienſten, der es benoͤ-
thigt war: aber eben dieſes war es, was in der Folge
meinen Fall befoͤrderte. Man wuͤrde mir eher zu gut ge-
halten haben, wenn ich es mit Gaſtmaͤlern, mit Buh-
lerinnen und mit einer immerwaͤhrenden Abwechßlung
praͤchtiger und ausſchweiffender Luſtbarkeiten durchge-
bracht haͤtte. Jndeß ſtuhnd es eine geraume Zeit an,
bis die Eiferſucht, welche ich durch eine ſolche Lebens-
Art in den Gemuͤthern der Angeſehenſten unter den
Edeln zu Athen erregte, es wagen durfte, in ſichtbare
Wuͤrkungen auszubrechen. Das Volk, welches mich
vorhin geliebet hatte, fieng nun an, mich zu vergoͤttern.
Der Ausdruk, den ich hier gebrauche, iſt nicht zu ſtark;
denn da ein gewiſſer Dichter, der ſich meines Tiſches zu
bedienen pflegte, ſich einſt einfallen ließ, in einem groſ-
ſen und elenden Gedicht mir den Apollo zum Vater zu

geben,
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[338/0360] Agathon. vermehren. Der Tod meines Vaters, der um dieſe Zeit erfolgte, beraubte mich eines Freundes und Fuͤh- rers, deſſen Klugheit mir in dem gefahrvollen Ocean des politiſchen Lebens unentbehrlich war. Jch wurde dadurch in den Beſiz der groſſen Reichthuͤmer geſezt, mit denen er nur dadurch dem Neid entgangen war, weil er ſie mit groſſer Beſcheidenheit gebrauchte. Jch war nicht ſo vorſichtig. Der Gebrauch, den ich davon machte, war zwar an ſich ſelbſt edel und loͤblich; ich verſchwendete ſie, um Gutes zu thun; ich unterſtuͤzte alle Arten von Buͤrgern, welche ohne ihre Schuld in Ungluͤk gerathen waren; mein Haus war der Sammel- Plaz der Gelehrten, der Kuͤnſtler und der Fremden; mein Vermoͤgen ſtuhnd jedem zu Dienſten, der es benoͤ- thigt war: aber eben dieſes war es, was in der Folge meinen Fall befoͤrderte. Man wuͤrde mir eher zu gut ge- halten haben, wenn ich es mit Gaſtmaͤlern, mit Buh- lerinnen und mit einer immerwaͤhrenden Abwechßlung praͤchtiger und ausſchweiffender Luſtbarkeiten durchge- bracht haͤtte. Jndeß ſtuhnd es eine geraume Zeit an, bis die Eiferſucht, welche ich durch eine ſolche Lebens- Art in den Gemuͤthern der Angeſehenſten unter den Edeln zu Athen erregte, es wagen durfte, in ſichtbare Wuͤrkungen auszubrechen. Das Volk, welches mich vorhin geliebet hatte, fieng nun an, mich zu vergoͤttern. Der Ausdruk, den ich hier gebrauche, iſt nicht zu ſtark; denn da ein gewiſſer Dichter, der ſich meines Tiſches zu bedienen pflegte, ſich einſt einfallen ließ, in einem groſ- ſen und elenden Gedicht mir den Apollo zum Vater zu geben,

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/360>, abgerufen am 05.05.2024.