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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Siebentes Buch, fünftes Capitel.
kender Last ihr Herz sich zu erleichtern suchte. Kurz:
Sie schwuren einander eine ewige Treue, überliessen
sich dem sympathetischen Verlangen ihres Herzens, und
bedienten sich der Gewalt, die ihnen die Liebe gab, ein-
ander glüklich zu machen. Die Glükseligkeit, welche
eines dem andern zu danken hatte, unterhielt und befe-
stigte die zärtliche Vereinigung ihrer Herzen, anstatt sie
zu schwächen oder gar aufzulösen; denn noch niemals ist
der Genuß das Grab der wahren Zärtlichkeit gewesen.
Jch, schöne Danae, war die erste Frucht ihrer Liebe.
Glüklicher Weise fiel meinem Vater eben damals durch
den lezten Willen eines Oheims ein kleines Vorwerk auf
einer von den Jnsuln zu, welche unter der Bottmässig-
keit der Athenienser stehen. Dieses mußte meiner Mut-
ter zur Zuflucht dienen; ich wurde daselbst gebohren,
und genoß drey Jahre lang ihrer eigenen Pflege; bis sie
mir durch eine Schwester entzogen wurde, deren Leben
der liebenswürdigen Musarion das ihrige kostete. Stra-
tonicus hatte inzwischen manchen Versuch gemacht, das
Herz seines Vaters zu erweichen; aber allemal verge-
bens. Es blieb ihm also nichts übrig, als seine Ver-
bindung mit meiner Mutter und die Folgen derselben
geheim zu halten. Jhr frühzeitiger Tod vernichtete die
Entwürfe von Glükseligkeit, die er für die Zukunft ge-
macht hatte, ohne die zärtliche Treue, die er ihrem
Andenken wiedmete, zu schwächen. Die Sorge für das,
was ihm von ihr übrig geblieben war, hielt ihn zurük,
sich einer Traurigkeit völlig zu überlassen, welche ihn
lange Zeit gegen alle Freuden des Lebens gleichgültig,

und
X 3

Siebentes Buch, fuͤnftes Capitel.
kender Laſt ihr Herz ſich zu erleichtern ſuchte. Kurz:
Sie ſchwuren einander eine ewige Treue, uͤberlieſſen
ſich dem ſympathetiſchen Verlangen ihres Herzens, und
bedienten ſich der Gewalt, die ihnen die Liebe gab, ein-
ander gluͤklich zu machen. Die Gluͤkſeligkeit, welche
eines dem andern zu danken hatte, unterhielt und befe-
ſtigte die zaͤrtliche Vereinigung ihrer Herzen, anſtatt ſie
zu ſchwaͤchen oder gar aufzuloͤſen; denn noch niemals iſt
der Genuß das Grab der wahren Zaͤrtlichkeit geweſen.
Jch, ſchoͤne Danae, war die erſte Frucht ihrer Liebe.
Gluͤklicher Weiſe fiel meinem Vater eben damals durch
den lezten Willen eines Oheims ein kleines Vorwerk auf
einer von den Jnſuln zu, welche unter der Bottmaͤſſig-
keit der Athenienſer ſtehen. Dieſes mußte meiner Mut-
ter zur Zuflucht dienen; ich wurde daſelbſt gebohren,
und genoß drey Jahre lang ihrer eigenen Pflege; bis ſie
mir durch eine Schweſter entzogen wurde, deren Leben
der liebenswuͤrdigen Muſarion das ihrige koſtete. Stra-
tonicus hatte inzwiſchen manchen Verſuch gemacht, das
Herz ſeines Vaters zu erweichen; aber allemal verge-
bens. Es blieb ihm alſo nichts uͤbrig, als ſeine Ver-
bindung mit meiner Mutter und die Folgen derſelben
geheim zu halten. Jhr fruͤhzeitiger Tod vernichtete die
Entwuͤrfe von Gluͤkſeligkeit, die er fuͤr die Zukunft ge-
macht hatte, ohne die zaͤrtliche Treue, die er ihrem
Andenken wiedmete, zu ſchwaͤchen. Die Sorge fuͤr das,
was ihm von ihr uͤbrig geblieben war, hielt ihn zuruͤk,
ſich einer Traurigkeit voͤllig zu uͤberlaſſen, welche ihn
lange Zeit gegen alle Freuden des Lebens gleichguͤltig,

und
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[325/0347] Siebentes Buch, fuͤnftes Capitel. kender Laſt ihr Herz ſich zu erleichtern ſuchte. Kurz: Sie ſchwuren einander eine ewige Treue, uͤberlieſſen ſich dem ſympathetiſchen Verlangen ihres Herzens, und bedienten ſich der Gewalt, die ihnen die Liebe gab, ein- ander gluͤklich zu machen. Die Gluͤkſeligkeit, welche eines dem andern zu danken hatte, unterhielt und befe- ſtigte die zaͤrtliche Vereinigung ihrer Herzen, anſtatt ſie zu ſchwaͤchen oder gar aufzuloͤſen; denn noch niemals iſt der Genuß das Grab der wahren Zaͤrtlichkeit geweſen. Jch, ſchoͤne Danae, war die erſte Frucht ihrer Liebe. Gluͤklicher Weiſe fiel meinem Vater eben damals durch den lezten Willen eines Oheims ein kleines Vorwerk auf einer von den Jnſuln zu, welche unter der Bottmaͤſſig- keit der Athenienſer ſtehen. Dieſes mußte meiner Mut- ter zur Zuflucht dienen; ich wurde daſelbſt gebohren, und genoß drey Jahre lang ihrer eigenen Pflege; bis ſie mir durch eine Schweſter entzogen wurde, deren Leben der liebenswuͤrdigen Muſarion das ihrige koſtete. Stra- tonicus hatte inzwiſchen manchen Verſuch gemacht, das Herz ſeines Vaters zu erweichen; aber allemal verge- bens. Es blieb ihm alſo nichts uͤbrig, als ſeine Ver- bindung mit meiner Mutter und die Folgen derſelben geheim zu halten. Jhr fruͤhzeitiger Tod vernichtete die Entwuͤrfe von Gluͤkſeligkeit, die er fuͤr die Zukunft ge- macht hatte, ohne die zaͤrtliche Treue, die er ihrem Andenken wiedmete, zu ſchwaͤchen. Die Sorge fuͤr das, was ihm von ihr uͤbrig geblieben war, hielt ihn zuruͤk, ſich einer Traurigkeit voͤllig zu uͤberlaſſen, welche ihn lange Zeit gegen alle Freuden des Lebens gleichguͤltig, und X 3

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/347>, abgerufen am 23.11.2024.