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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Siebentes Buch, fünftes Capitel.
entnervenden Kleinmuth zu überlassen. -- Mein Da-
seyn ist der Beweiß, daß ich eine Bestimmung habe. --
Hab' ich nicht eine Seele welche denken kan, und Glied-
massen, welche ihr als Sclaven zur Ausrichtung ihrer
Gedanken zugegeben sind? -- Bin ich nicht ein
Grieche? Und wenn mich mein Vaterland nicht erken-
nen will, bin ich nicht ein Mensch? Jst nicht die Er-
de mein Vatterland? Und giebt mir nicht die Natur
ein unverliehrbares Recht an Erhaltung und jedes we-
sentliche Stük der Glükseligkeit, sobald ich meine Kräf-
te anwende die Pflichten zu erfüllen, die mich mit der
Welt verbinden? -- Diese Gedanken beschämten
meine Thränen, und richteten mein Herz wieder auf.
Jch fieng an, die Mittel zu überlegen, die ich in mei-
ner Gewalt hatte, mich in bessere Umstände zu sezen;
als ich einen Mann von mittlerm Alter gegen mich her-
kommen sah, dessen Ansehen und Mine mir beym er-
sten Anblik Zutrauen und Ehrerbietung einflößten. Jch
raffte mich sogleich vom Boden auf, und beschloß mit
mir selbst, ihn anzureden, ihm meine Umstände zu ent-
deken, und mir seinen Rath auszubitten. Er kam mir
zuvor. -- Du scheinest vom Weg ermüdet zu seyn,
junger Fremdling, sagte er zu mir, mit einem Ton,
der ihm sogleich mein Herz entgegen wallen machte;
und da ich dich unter dem wirthschaftlichen Schatten
meines Baumes gefunden habe, so hoffe ich, du wer-
dest mir das Vergnügen nicht versagen, dich diese Nacht
in meinem Hause zu beherbergen. Dieser Mann, den
ich hieraus für den Herrn des Hauses, welches ich vor

mir

Siebentes Buch, fuͤnftes Capitel.
entnervenden Kleinmuth zu uͤberlaſſen. — Mein Da-
ſeyn iſt der Beweiß, daß ich eine Beſtimmung habe. —
Hab’ ich nicht eine Seele welche denken kan, und Glied-
maſſen, welche ihr als Sclaven zur Ausrichtung ihrer
Gedanken zugegeben ſind? — Bin ich nicht ein
Grieche? Und wenn mich mein Vaterland nicht erken-
nen will, bin ich nicht ein Menſch? Jſt nicht die Er-
de mein Vatterland? Und giebt mir nicht die Natur
ein unverliehrbares Recht an Erhaltung und jedes we-
ſentliche Stuͤk der Gluͤkſeligkeit, ſobald ich meine Kraͤf-
te anwende die Pflichten zu erfuͤllen, die mich mit der
Welt verbinden? — Dieſe Gedanken beſchaͤmten
meine Thraͤnen, und richteten mein Herz wieder auf.
Jch fieng an, die Mittel zu uͤberlegen, die ich in mei-
ner Gewalt hatte, mich in beſſere Umſtaͤnde zu ſezen;
als ich einen Mann von mittlerm Alter gegen mich her-
kommen ſah, deſſen Anſehen und Mine mir beym er-
ſten Anblik Zutrauen und Ehrerbietung einfloͤßten. Jch
raffte mich ſogleich vom Boden auf, und beſchloß mit
mir ſelbſt, ihn anzureden, ihm meine Umſtaͤnde zu ent-
deken, und mir ſeinen Rath auszubitten. Er kam mir
zuvor. — Du ſcheineſt vom Weg ermuͤdet zu ſeyn,
junger Fremdling, ſagte er zu mir, mit einem Ton,
der ihm ſogleich mein Herz entgegen wallen machte;
und da ich dich unter dem wirthſchaftlichen Schatten
meines Baumes gefunden habe, ſo hoffe ich, du wer-
deſt mir das Vergnuͤgen nicht verſagen, dich dieſe Nacht
in meinem Hauſe zu beherbergen. Dieſer Mann, den
ich hieraus fuͤr den Herrn des Hauſes, welches ich vor

mir
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[315/0337] Siebentes Buch, fuͤnftes Capitel. entnervenden Kleinmuth zu uͤberlaſſen. — Mein Da- ſeyn iſt der Beweiß, daß ich eine Beſtimmung habe. — Hab’ ich nicht eine Seele welche denken kan, und Glied- maſſen, welche ihr als Sclaven zur Ausrichtung ihrer Gedanken zugegeben ſind? — Bin ich nicht ein Grieche? Und wenn mich mein Vaterland nicht erken- nen will, bin ich nicht ein Menſch? Jſt nicht die Er- de mein Vatterland? Und giebt mir nicht die Natur ein unverliehrbares Recht an Erhaltung und jedes we- ſentliche Stuͤk der Gluͤkſeligkeit, ſobald ich meine Kraͤf- te anwende die Pflichten zu erfuͤllen, die mich mit der Welt verbinden? — Dieſe Gedanken beſchaͤmten meine Thraͤnen, und richteten mein Herz wieder auf. Jch fieng an, die Mittel zu uͤberlegen, die ich in mei- ner Gewalt hatte, mich in beſſere Umſtaͤnde zu ſezen; als ich einen Mann von mittlerm Alter gegen mich her- kommen ſah, deſſen Anſehen und Mine mir beym er- ſten Anblik Zutrauen und Ehrerbietung einfloͤßten. Jch raffte mich ſogleich vom Boden auf, und beſchloß mit mir ſelbſt, ihn anzureden, ihm meine Umſtaͤnde zu ent- deken, und mir ſeinen Rath auszubitten. Er kam mir zuvor. — Du ſcheineſt vom Weg ermuͤdet zu ſeyn, junger Fremdling, ſagte er zu mir, mit einem Ton, der ihm ſogleich mein Herz entgegen wallen machte; und da ich dich unter dem wirthſchaftlichen Schatten meines Baumes gefunden habe, ſo hoffe ich, du wer- deſt mir das Vergnuͤgen nicht verſagen, dich dieſe Nacht in meinem Hauſe zu beherbergen. Dieſer Mann, den ich hieraus fuͤr den Herrn des Hauſes, welches ich vor mir

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/337>, abgerufen am 25.08.2024.