Jch war schon achtzehn Jahre alt, eh ich denjenigen kannte, dem ich mein Daseyn zu danken habe. Von der ersien Kindheit an, in den Hallen des delphischen Tempels erzogen, war ich gewöhnt, die Priester des Apollo mit diesen kindlichen Empfindungen anzusehen, welche das erste Alter über alle, die für unsre Erhal- tung Sorge tragen, zu ergiessen pflegt. Jch war noch ein kleiner Knabe, als ich schon mit dem geheiligten Gewand, welches die jungen Diener des Gottes von den Sclaven der Priester unterschied, bekleidet, nnd zum Dienst des Tempels, wozu ich gewiedmet war, zu- bereitet wurde.
Wer Delphi gesehen hat, wird sich nicht ver- wundern, daß ein Knabe von gefühlvoller Art, der beynahe von der Wiegen an daselbst erzogen worden, unvermerkt eine Gemüthsbildung bekommen muß, wel-
che
[Agath.I.Th.] R
Agathon. Siebentes Buch.
Erſtes Capitel. Die erſte Jugend des Agathons.
Jch war ſchon achtzehn Jahre alt, eh ich denjenigen kannte, dem ich mein Daſeyn zu danken habe. Von der erſien Kindheit an, in den Hallen des delphiſchen Tempels erzogen, war ich gewoͤhnt, die Prieſter des Apollo mit dieſen kindlichen Empfindungen anzuſehen, welche das erſte Alter uͤber alle, die fuͤr unſre Erhal- tung Sorge tragen, zu ergieſſen pflegt. Jch war noch ein kleiner Knabe, als ich ſchon mit dem geheiligten Gewand, welches die jungen Diener des Gottes von den Sclaven der Prieſter unterſchied, bekleidet, nnd zum Dienſt des Tempels, wozu ich gewiedmet war, zu- bereitet wurde.
Wer Delphi geſehen hat, wird ſich nicht ver- wundern, daß ein Knabe von gefuͤhlvoller Art, der beynahe von der Wiegen an daſelbſt erzogen worden, unvermerkt eine Gemuͤthsbildung bekommen muß, wel-
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[Agath.I.Th.] R
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Agathon.
Siebentes Buch.
Erſtes Capitel.
Die erſte Jugend des Agathons.
Jch war ſchon achtzehn Jahre alt, eh ich denjenigen
kannte, dem ich mein Daſeyn zu danken habe. Von
der erſien Kindheit an, in den Hallen des delphiſchen
Tempels erzogen, war ich gewoͤhnt, die Prieſter des
Apollo mit dieſen kindlichen Empfindungen anzuſehen,
welche das erſte Alter uͤber alle, die fuͤr unſre Erhal-
tung Sorge tragen, zu ergieſſen pflegt. Jch war noch
ein kleiner Knabe, als ich ſchon mit dem geheiligten
Gewand, welches die jungen Diener des Gottes von
den Sclaven der Prieſter unterſchied, bekleidet, nnd
zum Dienſt des Tempels, wozu ich gewiedmet war, zu-
bereitet wurde.
Wer Delphi geſehen hat, wird ſich nicht ver-
wundern, daß ein Knabe von gefuͤhlvoller Art, der
beynahe von der Wiegen an daſelbſt erzogen worden,
unvermerkt eine Gemuͤthsbildung bekommen muß, wel-
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/279>, abgerufen am 24.11.2024.
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