Zufällige Ursachen hatten es so gefüget, daß Hippias sich auf einiche Wochen von Smirna hatte entfer- nen müssen, und daß die Zeit seiner Abwesenheit gerade in diejenige Zeit, worinn die Liebe unsers Hel- den und der schönen Danae den äussersten Punkt ihrer Höhe erreichte. Dieser Umstand hatte sie gänzlich Mei- ster von einer Zeit gelassen, welche sie zum Vortheil der Liebe und des Vergnügens so wohl anzuwenden wußten. Keiner von Danaes ehemaligen Verehrern hatte sich erkühnt, ihre Einsamkeit zu stören; und die Freundinnen, mit denen sie ehmals in Gesellschaft gestan- den war, hatten zu gutem Glük alle mit ihren eignen Angelegenheiten so viel zu thun, daß sie keine Zeit be- hielten, sich um Fremde zu bekümmern. Zudem war ihr Aufenthalt auf dem Lande nichts ungewöhnliches, und der allgemeine Genius der Stadt Smirna war der Freyheit in der Wahl der Vergnügungen allzugün- stig, als daß eine Danae (von der man ohnehin keine
vestali-
Agathon. Sechstes Buch.
Erſtes Capitel. Ein Beſuch des Hippias.
Zufaͤllige Urſachen hatten es ſo gefuͤget, daß Hippias ſich auf einiche Wochen von Smirna hatte entfer- nen muͤſſen, und daß die Zeit ſeiner Abweſenheit gerade in diejenige Zeit, worinn die Liebe unſers Hel- den und der ſchoͤnen Danae den aͤuſſerſten Punkt ihrer Hoͤhe erreichte. Dieſer Umſtand hatte ſie gaͤnzlich Mei- ſter von einer Zeit gelaſſen, welche ſie zum Vortheil der Liebe und des Vergnuͤgens ſo wohl anzuwenden wußten. Keiner von Danaes ehemaligen Verehrern hatte ſich erkuͤhnt, ihre Einſamkeit zu ſtoͤren; und die Freundinnen, mit denen ſie ehmals in Geſellſchaft geſtan- den war, hatten zu gutem Gluͤk alle mit ihren eignen Angelegenheiten ſo viel zu thun, daß ſie keine Zeit be- hielten, ſich um Fremde zu bekuͤmmern. Zudem war ihr Aufenthalt auf dem Lande nichts ungewoͤhnliches, und der allgemeine Genius der Stadt Smirna war der Freyheit in der Wahl der Vergnuͤgungen allzuguͤn- ſtig, als daß eine Danae (von der man ohnehin keine
veſtali-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0243"n="221"/><fwplace="top"type="header"><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/></fw><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Agathon.<lb/>
Sechstes Buch.</hi></hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Erſtes Capitel.</hi><lb/>
Ein Beſuch des Hippias.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">Z</hi>ufaͤllige Urſachen hatten es ſo gefuͤget, daß Hippias<lb/>ſich auf einiche Wochen von Smirna hatte entfer-<lb/>
nen muͤſſen, und daß die Zeit ſeiner Abweſenheit<lb/>
gerade in diejenige Zeit, worinn die Liebe unſers Hel-<lb/>
den und der ſchoͤnen Danae den aͤuſſerſten Punkt ihrer<lb/>
Hoͤhe erreichte. Dieſer Umſtand hatte ſie gaͤnzlich Mei-<lb/>ſter von einer Zeit gelaſſen, welche ſie zum Vortheil<lb/>
der Liebe und des Vergnuͤgens ſo wohl anzuwenden<lb/>
wußten. Keiner von Danaes ehemaligen Verehrern<lb/>
hatte ſich erkuͤhnt, ihre Einſamkeit zu ſtoͤren; und die<lb/>
Freundinnen, mit denen ſie ehmals in Geſellſchaft geſtan-<lb/>
den war, hatten zu gutem Gluͤk alle mit ihren eignen<lb/>
Angelegenheiten ſo viel zu thun, daß ſie keine Zeit be-<lb/>
hielten, ſich um Fremde zu bekuͤmmern. Zudem war<lb/>
ihr Aufenthalt auf dem Lande nichts ungewoͤhnliches,<lb/>
und der allgemeine Genius der Stadt Smirna war<lb/>
der Freyheit in der Wahl der Vergnuͤgungen allzuguͤn-<lb/>ſtig, als daß eine Danae (von der man ohnehin keine<lb/><fwplace="bottom"type="catch">veſtali-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[221/0243]
Agathon.
Sechstes Buch.
Erſtes Capitel.
Ein Beſuch des Hippias.
Zufaͤllige Urſachen hatten es ſo gefuͤget, daß Hippias
ſich auf einiche Wochen von Smirna hatte entfer-
nen muͤſſen, und daß die Zeit ſeiner Abweſenheit
gerade in diejenige Zeit, worinn die Liebe unſers Hel-
den und der ſchoͤnen Danae den aͤuſſerſten Punkt ihrer
Hoͤhe erreichte. Dieſer Umſtand hatte ſie gaͤnzlich Mei-
ſter von einer Zeit gelaſſen, welche ſie zum Vortheil
der Liebe und des Vergnuͤgens ſo wohl anzuwenden
wußten. Keiner von Danaes ehemaligen Verehrern
hatte ſich erkuͤhnt, ihre Einſamkeit zu ſtoͤren; und die
Freundinnen, mit denen ſie ehmals in Geſellſchaft geſtan-
den war, hatten zu gutem Gluͤk alle mit ihren eignen
Angelegenheiten ſo viel zu thun, daß ſie keine Zeit be-
hielten, ſich um Fremde zu bekuͤmmern. Zudem war
ihr Aufenthalt auf dem Lande nichts ungewoͤhnliches,
und der allgemeine Genius der Stadt Smirna war
der Freyheit in der Wahl der Vergnuͤgungen allzuguͤn-
ſtig, als daß eine Danae (von der man ohnehin keine
veſtali-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/243>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.