Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünftes Buch, eilftes Capitel.
chen Speculation beschäftigen, die Art und Weise aus-
fündig zu machen, wie dasjenige was würklich ist, ohne
Nachtheil ihrer Meynungen und Lehrgebäude, möglich
seyn könne. Für uns ist genug, daß eine durch unzäh-
liche Veyspiele bestätigte Erfahrung ausser allen Zweifel
sezt, daß diejenige Gattung von Liebe, welche Schaf-
tesbury mit bestem Recht zu einer Art des Enthusias-
mus macht, und gegen welche Lucrez aus eben diesem
Grunde sich mit so vielem Eifer erklärt, solche Wür-
kungen hervorbringe, welche nicht besser als durch je-
nen Petronischen Ausdruk abgemahlt werden können.

Agathon und Danae, die uns zu dieser Anmerkung Anlaß
gegeben haben, hatten kaum vierzehn Tage, welche frey-
lich nach dem Calender der Liebe nur vierzehn Augen-
blike waren, in diesem glükseligen Zustande, worinn
wir sie im vorigen Capitel verlassen haben, zugebracht:
als diese Seelenmischung sich in einem solchen Grade bey
ihnen äusserte, daß sie nur von einer einzigen gemein-
schaftlichen Seele belebt und begeistert zu werden schie-
nen. Würklich war die Veränderung und der Absaz
ihrer gegenwärtigen Art zu seyn, mit ihrer vorigen so
groß, daß weder Alcibiades seine Danae, noch die
Priesterin zu Delphi den spröden und unkörperlichen
Agathon wieder erkannt haben würden. Das dieser
aus einem speculativen Platoniker ein practischer Ari-
stipp geworden; daß er eine Philosophie, welche die
reinste Glükseligkeit in Veschauung unsichtbarer Schön-
heiten sezt, gegen eine Philosophie, welche sie in ange-

nehmen
O 5

Fuͤnftes Buch, eilftes Capitel.
chen Speculation beſchaͤftigen, die Art und Weiſe aus-
fuͤndig zu machen, wie dasjenige was wuͤrklich iſt, ohne
Nachtheil ihrer Meynungen und Lehrgebaͤude, moͤglich
ſeyn koͤnne. Fuͤr uns iſt genug, daß eine durch unzaͤh-
liche Veyſpiele beſtaͤtigte Erfahrung auſſer allen Zweifel
ſezt, daß diejenige Gattung von Liebe, welche Schaf-
tesbury mit beſtem Recht zu einer Art des Enthuſias-
mus macht, und gegen welche Lucrez aus eben dieſem
Grunde ſich mit ſo vielem Eifer erklaͤrt, ſolche Wuͤr-
kungen hervorbringe, welche nicht beſſer als durch je-
nen Petroniſchen Ausdruk abgemahlt werden koͤnnen.

Agathon und Danae, die uns zu dieſer Anmerkung Anlaß
gegeben haben, hatten kaum vierzehn Tage, welche frey-
lich nach dem Calender der Liebe nur vierzehn Augen-
blike waren, in dieſem gluͤkſeligen Zuſtande, worinn
wir ſie im vorigen Capitel verlaſſen haben, zugebracht:
als dieſe Seelenmiſchung ſich in einem ſolchen Grade bey
ihnen aͤuſſerte, daß ſie nur von einer einzigen gemein-
ſchaftlichen Seele belebt und begeiſtert zu werden ſchie-
nen. Wuͤrklich war die Veraͤnderung und der Abſaz
ihrer gegenwaͤrtigen Art zu ſeyn, mit ihrer vorigen ſo
groß, daß weder Alcibiades ſeine Danae, noch die
Prieſterin zu Delphi den ſproͤden und unkoͤrperlichen
Agathon wieder erkannt haben wuͤrden. Das dieſer
aus einem ſpeculativen Platoniker ein practiſcher Ari-
ſtipp geworden; daß er eine Philoſophie, welche die
reinſte Gluͤkſeligkeit in Veſchauung unſichtbarer Schoͤn-
heiten ſezt, gegen eine Philoſophie, welche ſie in ange-

nehmen
O 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0239" n="217"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Fu&#x0364;nftes Buch, eilftes Capitel.</hi></fw><lb/>
chen Speculation be&#x017F;cha&#x0364;ftigen, die Art und Wei&#x017F;e aus-<lb/>
fu&#x0364;ndig zu machen, wie dasjenige was wu&#x0364;rklich i&#x017F;t, ohne<lb/>
Nachtheil ihrer Meynungen und Lehrgeba&#x0364;ude, mo&#x0364;glich<lb/>
&#x017F;eyn ko&#x0364;nne. Fu&#x0364;r uns i&#x017F;t genug, daß eine durch unza&#x0364;h-<lb/>
liche Vey&#x017F;piele be&#x017F;ta&#x0364;tigte Erfahrung au&#x017F;&#x017F;er allen Zweifel<lb/>
&#x017F;ezt, daß diejenige Gattung von Liebe, welche Schaf-<lb/>
tesbury mit be&#x017F;tem Recht zu einer Art des Enthu&#x017F;ias-<lb/>
mus macht, und gegen welche Lucrez aus eben die&#x017F;em<lb/>
Grunde &#x017F;ich mit &#x017F;o vielem Eifer erkla&#x0364;rt, &#x017F;olche Wu&#x0364;r-<lb/>
kungen hervorbringe, welche nicht be&#x017F;&#x017F;er als durch je-<lb/>
nen Petroni&#x017F;chen Ausdruk abgemahlt werden ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
            <p>Agathon und Danae, die uns zu die&#x017F;er Anmerkung Anlaß<lb/>
gegeben haben, hatten kaum vierzehn Tage, welche frey-<lb/>
lich nach dem Calender der Liebe nur vierzehn Augen-<lb/>
blike waren, in die&#x017F;em glu&#x0364;k&#x017F;eligen Zu&#x017F;tande, worinn<lb/>
wir &#x017F;ie im vorigen Capitel verla&#x017F;&#x017F;en haben, zugebracht:<lb/>
als die&#x017F;e Seelenmi&#x017F;chung &#x017F;ich in einem &#x017F;olchen Grade bey<lb/>
ihnen a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erte, daß &#x017F;ie nur von einer einzigen gemein-<lb/>
&#x017F;chaftlichen Seele belebt und begei&#x017F;tert zu werden &#x017F;chie-<lb/>
nen. Wu&#x0364;rklich war die Vera&#x0364;nderung und der Ab&#x017F;az<lb/>
ihrer gegenwa&#x0364;rtigen Art zu &#x017F;eyn, mit ihrer vorigen &#x017F;o<lb/>
groß, daß weder Alcibiades &#x017F;eine Danae, noch die<lb/>
Prie&#x017F;terin zu Delphi den &#x017F;pro&#x0364;den und unko&#x0364;rperlichen<lb/>
Agathon wieder erkannt haben wu&#x0364;rden. Das die&#x017F;er<lb/>
aus einem &#x017F;peculativen Platoniker ein practi&#x017F;cher Ari-<lb/>
&#x017F;tipp geworden; daß er eine Philo&#x017F;ophie, welche die<lb/>
rein&#x017F;te Glu&#x0364;k&#x017F;eligkeit in Ve&#x017F;chauung un&#x017F;ichtbarer Scho&#x0364;n-<lb/>
heiten &#x017F;ezt, gegen eine Philo&#x017F;ophie, welche &#x017F;ie in ange-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 5</fw><fw place="bottom" type="catch">nehmen</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0239] Fuͤnftes Buch, eilftes Capitel. chen Speculation beſchaͤftigen, die Art und Weiſe aus- fuͤndig zu machen, wie dasjenige was wuͤrklich iſt, ohne Nachtheil ihrer Meynungen und Lehrgebaͤude, moͤglich ſeyn koͤnne. Fuͤr uns iſt genug, daß eine durch unzaͤh- liche Veyſpiele beſtaͤtigte Erfahrung auſſer allen Zweifel ſezt, daß diejenige Gattung von Liebe, welche Schaf- tesbury mit beſtem Recht zu einer Art des Enthuſias- mus macht, und gegen welche Lucrez aus eben dieſem Grunde ſich mit ſo vielem Eifer erklaͤrt, ſolche Wuͤr- kungen hervorbringe, welche nicht beſſer als durch je- nen Petroniſchen Ausdruk abgemahlt werden koͤnnen. Agathon und Danae, die uns zu dieſer Anmerkung Anlaß gegeben haben, hatten kaum vierzehn Tage, welche frey- lich nach dem Calender der Liebe nur vierzehn Augen- blike waren, in dieſem gluͤkſeligen Zuſtande, worinn wir ſie im vorigen Capitel verlaſſen haben, zugebracht: als dieſe Seelenmiſchung ſich in einem ſolchen Grade bey ihnen aͤuſſerte, daß ſie nur von einer einzigen gemein- ſchaftlichen Seele belebt und begeiſtert zu werden ſchie- nen. Wuͤrklich war die Veraͤnderung und der Abſaz ihrer gegenwaͤrtigen Art zu ſeyn, mit ihrer vorigen ſo groß, daß weder Alcibiades ſeine Danae, noch die Prieſterin zu Delphi den ſproͤden und unkoͤrperlichen Agathon wieder erkannt haben wuͤrden. Das dieſer aus einem ſpeculativen Platoniker ein practiſcher Ari- ſtipp geworden; daß er eine Philoſophie, welche die reinſte Gluͤkſeligkeit in Veſchauung unſichtbarer Schoͤn- heiten ſezt, gegen eine Philoſophie, welche ſie in ange- nehmen O 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/239
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/239>, abgerufen am 19.04.2024.