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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
Preux und Agathons, welchen es zukömmt, über die
berührte Streitfrage einen entscheidenden Ausspruch zu
thun; sie, welche durch die Feinheit und Lebhaftigkeit
ihres Gefühls eben so geschikt gemacht werden, von den
physicalischen, als durch die Zärtlichkeit ihres Herzens,
oder durch ihren innerlichen Sinn für das sittliche Schöne,
von den moralischen Vergnügungen der Liebe zu urthei-
len. Und wie wahr, wie natürlich werden nicht diese
jene Stelle finden, die den Verehrern der animalischen
Liebe unverständlicher ist als eine Hetruscische Aufschrift
den Gelehrten, -- "O, entziehe mir immer diese be-
rauschenden Entzükungen, für die ich tausend Leben gäbe!
-- Gieb mir nur das alles wieder was nicht sie,
aber tausendmal süsser ist als sie " --

Die schöne Danae war so sinnreich, so unerschöpflich
in der Kunst (wenn man anders dasjenige so nennen
kan, was Natur und Liebe allein, und keine ohne die
andre geben kan) ihre Gunstbezeugungen zu vervielfäl-
tigen, den innerlichen Werth derselben durch die An-
nehmlichkeiten der Verzierung zu erhöhen, ihnen im-
mer die frische Blüthe der Neuheit zu erhalten, und
alles Eintönige, alles was die Bezauberung hätte auflö-
sen, und dem Ueberdruß den Zugang öfuen können,
klüglich zu entfernen; daß sie oder eine andre ihres glei-
chen den Herrn von Büffon selbst dahin gebracht hätte,
seine Gedanken von der Liebe zu ändern, welches viel-
leicht alle Marquisinnen von Paris zusammengenommen
nicht von ihm erhalten würden. Diese glükseligen Lie-

benden

Agathon.
Preux und Agathons, welchen es zukoͤmmt, uͤber die
beruͤhrte Streitfrage einen entſcheidenden Ausſpruch zu
thun; ſie, welche durch die Feinheit und Lebhaftigkeit
ihres Gefuͤhls eben ſo geſchikt gemacht werden, von den
phyſicaliſchen, als durch die Zaͤrtlichkeit ihres Herzens,
oder durch ihren innerlichen Sinn fuͤr das ſittliche Schoͤne,
von den moraliſchen Vergnuͤgungen der Liebe zu urthei-
len. Und wie wahr, wie natuͤrlich werden nicht dieſe
jene Stelle finden, die den Verehrern der animaliſchen
Liebe unverſtaͤndlicher iſt als eine Hetruſciſche Aufſchrift
den Gelehrten, — „O, entziehe mir immer dieſe be-
rauſchenden Entzuͤkungen, fuͤr die ich tauſend Leben gaͤbe!
— Gieb mir nur das alles wieder was nicht ſie,
aber tauſendmal ſuͤſſer iſt als ſie „ —

Die ſchoͤne Danae war ſo ſinnreich, ſo unerſchoͤpflich
in der Kunſt (wenn man anders dasjenige ſo nennen
kan, was Natur und Liebe allein, und keine ohne die
andre geben kan) ihre Gunſtbezeugungen zu vervielfaͤl-
tigen, den innerlichen Werth derſelben durch die An-
nehmlichkeiten der Verzierung zu erhoͤhen, ihnen im-
mer die friſche Bluͤthe der Neuheit zu erhalten, und
alles Eintoͤnige, alles was die Bezauberung haͤtte aufloͤ-
ſen, und dem Ueberdruß den Zugang oͤfuen koͤnnen,
kluͤglich zu entfernen; daß ſie oder eine andre ihres glei-
chen den Herrn von Buͤffon ſelbſt dahin gebracht haͤtte,
ſeine Gedanken von der Liebe zu aͤndern, welches viel-
leicht alle Marquiſinnen von Paris zuſammengenommen
nicht von ihm erhalten wuͤrden. Dieſe gluͤkſeligen Lie-

benden
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[214/0236] Agathon. Preux und Agathons, welchen es zukoͤmmt, uͤber die beruͤhrte Streitfrage einen entſcheidenden Ausſpruch zu thun; ſie, welche durch die Feinheit und Lebhaftigkeit ihres Gefuͤhls eben ſo geſchikt gemacht werden, von den phyſicaliſchen, als durch die Zaͤrtlichkeit ihres Herzens, oder durch ihren innerlichen Sinn fuͤr das ſittliche Schoͤne, von den moraliſchen Vergnuͤgungen der Liebe zu urthei- len. Und wie wahr, wie natuͤrlich werden nicht dieſe jene Stelle finden, die den Verehrern der animaliſchen Liebe unverſtaͤndlicher iſt als eine Hetruſciſche Aufſchrift den Gelehrten, — „O, entziehe mir immer dieſe be- rauſchenden Entzuͤkungen, fuͤr die ich tauſend Leben gaͤbe! — Gieb mir nur das alles wieder was nicht ſie, aber tauſendmal ſuͤſſer iſt als ſie „ — Die ſchoͤne Danae war ſo ſinnreich, ſo unerſchoͤpflich in der Kunſt (wenn man anders dasjenige ſo nennen kan, was Natur und Liebe allein, und keine ohne die andre geben kan) ihre Gunſtbezeugungen zu vervielfaͤl- tigen, den innerlichen Werth derſelben durch die An- nehmlichkeiten der Verzierung zu erhoͤhen, ihnen im- mer die friſche Bluͤthe der Neuheit zu erhalten, und alles Eintoͤnige, alles was die Bezauberung haͤtte aufloͤ- ſen, und dem Ueberdruß den Zugang oͤfuen koͤnnen, kluͤglich zu entfernen; daß ſie oder eine andre ihres glei- chen den Herrn von Buͤffon ſelbſt dahin gebracht haͤtte, ſeine Gedanken von der Liebe zu aͤndern, welches viel- leicht alle Marquiſinnen von Paris zuſammengenommen nicht von ihm erhalten wuͤrden. Dieſe gluͤkſeligen Lie- benden

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/236>, abgerufen am 19.04.2024.