Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.Fünftes Buch, achtes Capitel. vielleicht weniger intereßirt, eine sich selbst ganz ver-gessende Großmuth und eine Tapferkeit, die von nichts erzittert, zu vergöttern? Je vollkommener andre sind, desto weniger haben wir nöthig es zu seyn; und je hö- her sie ihre Tugend treiben, desto weniger haben wir bey unsern Lastern zu besorgen. Der Himmel verhüte, daß unsre Absicht jemals Wir N 5
Fuͤnftes Buch, achtes Capitel. vielleicht weniger intereßirt, eine ſich ſelbſt ganz ver-geſſende Großmuth und eine Tapferkeit, die von nichts erzittert, zu vergoͤttern? Je vollkommener andre ſind, deſto weniger haben wir noͤthig es zu ſeyn; und je hoͤ- her ſie ihre Tugend treiben, deſto weniger haben wir bey unſern Laſtern zu beſorgen. Der Himmel verhuͤte, daß unſre Abſicht jemals Wir N 5
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Fuͤnftes Buch, achtes Capitel.
vielleicht weniger intereßirt, eine ſich ſelbſt ganz ver-
geſſende Großmuth und eine Tapferkeit, die von nichts
erzittert, zu vergoͤttern? Je vollkommener andre ſind,
deſto weniger haben wir noͤthig es zu ſeyn; und je hoͤ-
her ſie ihre Tugend treiben, deſto weniger haben wir
bey unſern Laſtern zu beſorgen.
Der Himmel verhuͤte, daß unſre Abſicht jemals
ſey, in ſchoͤnen Seelen dieſe liebenswuͤrdige Schwaͤr-
merey fuͤr die Tugend abzuſchreken, welche ihnen ſo na-
tuͤrlich und oͤfters die Quelle der lobenswuͤrdigſten Hand-
lungen iſt. Alles was wir mit dieſen Bemerkungen ab-
zielen, iſt allein, daß die romanhaften Helden, von
denen die Rede iſt, noch weniger in dem Bezirke der
Natur zu ſuchen ſeyen als die gefluͤgelten Loͤwen und
die Fiſche mit Maͤdchenleibern; daß es moraliſche Gro-
tesken ſeyen, welche eine muͤßige Einbildungskraft aus-
bruͤtet, und ein verdorbner moraliſcher Sinn, nach Art
gewiſſer Jndianer, deſtomehr vergoͤttert, je weiter ihre
verhaͤltnißwuͤrdige Mißgeſtalt von der menſchlichen Na-
tur ſich entfernet, welche doch, mit allen ihren Maͤn-
geln, das beſte, liebenswuͤrdigſte und vollkommenſte
Weſen iſt, das wir wuͤrklich kennen — und daß
alſo der Held unſrer Geſchichte, durch die Veraͤnde-
rungen und Schwachheiten, denen wir ihn unterworfen
ſehen, zwar allerdings, wir geſtehen es, weniger ein
Held, aber deſtomehr ein Menſch, und alſo deſto ge-
ſchikter ſey, uns durch ſeine Erfahrungen, und ſelbſt
durch ſeine Fehler zu belehren.
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