Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünftes Buch, achtes Capitel.
aufzuschieben, welche sie einer so vollkommenen Liebe
schuldig zu seyn glaubte. Endlich endigte sich ihr Lied;
die begleitende Symphonie hörte auf; die beschämten
Sirenen flohen in ihre Grotten; die Musen verschwan-
den; und der staunende Agathon blieb in trauriger Ent-
zükung allein.

Achtes Capitel.
Eine Abschweiffung, wodurch der Leser zum
Folgenden vorbereitet wird.

Wir können die Verlegenheit nicht verbergen, in
welche wir uns durch die Umstände gesezt sinden, wo-
rinn wir unsern Helden zu Ende des vorigen Capitels
verlassen haben. Sie drohen dem erhabnen Charakter,
den er bißher mit einer so rühmlichen Standhaftigkeit
behauptet, und wodurch er sich zweifelsohne in eine
nicht gemeine Hochachtung bey unsern Lesern gesezt hat,
einen Abfall, der denenjenigen, welche von einem Hel-
den eine vollkommene Tugend fordern, eben so anstös-
sig seyn wird, als ob sie, nach allem was bereits mit
ihm vorgegangen, natürlicher Weise etwas bessers hät-
ten erwarten können.

Wie groß ist in diesem Stüke der Bortheil eines
Romanendichters vor demjenigen, welcher sich anhei-
schig gemacht hat, ohne Vorurtheil oder Partheylichkeit,

mit
N 2

Fuͤnftes Buch, achtes Capitel.
aufzuſchieben, welche ſie einer ſo vollkommenen Liebe
ſchuldig zu ſeyn glaubte. Endlich endigte ſich ihr Lied;
die begleitende Symphonie hoͤrte auf; die beſchaͤmten
Sirenen flohen in ihre Grotten; die Muſen verſchwan-
den; und der ſtaunende Agathon blieb in trauriger Ent-
zuͤkung allein.

Achtes Capitel.
Eine Abſchweiffung, wodurch der Leſer zum
Folgenden vorbereitet wird.

Wir koͤnnen die Verlegenheit nicht verbergen, in
welche wir uns durch die Umſtaͤnde geſezt ſinden, wo-
rinn wir unſern Helden zu Ende des vorigen Capitels
verlaſſen haben. Sie drohen dem erhabnen Charakter,
den er bißher mit einer ſo ruͤhmlichen Standhaftigkeit
behauptet, und wodurch er ſich zweifelsohne in eine
nicht gemeine Hochachtung bey unſern Leſern geſezt hat,
einen Abfall, der denenjenigen, welche von einem Hel-
den eine vollkommene Tugend fordern, eben ſo anſtoͤſ-
ſig ſeyn wird, als ob ſie, nach allem was bereits mit
ihm vorgegangen, natuͤrlicher Weiſe etwas beſſers haͤt-
ten erwarten koͤnnen.

Wie groß iſt in dieſem Stuͤke der Bortheil eines
Romanendichters vor demjenigen, welcher ſich anhei-
ſchig gemacht hat, ohne Vorurtheil oder Partheylichkeit,

mit
N 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0217" n="195"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Fu&#x0364;nftes Buch, achtes Capitel.</hi></fw><lb/>
aufzu&#x017F;chieben, welche &#x017F;ie einer &#x017F;o vollkommenen Liebe<lb/>
&#x017F;chuldig zu &#x017F;eyn glaubte. Endlich endigte &#x017F;ich ihr Lied;<lb/>
die begleitende Symphonie ho&#x0364;rte auf; die be&#x017F;cha&#x0364;mten<lb/>
Sirenen flohen in ihre Grotten; die Mu&#x017F;en ver&#x017F;chwan-<lb/>
den; und der &#x017F;taunende Agathon blieb in trauriger Ent-<lb/>
zu&#x0364;kung allein.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Achtes Capitel.</hi><lb/>
Eine Ab&#x017F;chweiffung, wodurch der Le&#x017F;er zum<lb/>
Folgenden vorbereitet wird.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">W</hi>ir ko&#x0364;nnen die Verlegenheit nicht verbergen, in<lb/>
welche wir uns durch die Um&#x017F;ta&#x0364;nde ge&#x017F;ezt &#x017F;inden, wo-<lb/>
rinn wir un&#x017F;ern Helden zu Ende des vorigen Capitels<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en haben. Sie drohen dem erhabnen Charakter,<lb/>
den er bißher mit einer &#x017F;o ru&#x0364;hmlichen Standhaftigkeit<lb/>
behauptet, und wodurch er &#x017F;ich zweifelsohne in eine<lb/>
nicht gemeine Hochachtung bey un&#x017F;ern Le&#x017F;ern ge&#x017F;ezt hat,<lb/>
einen Abfall, der denenjenigen, welche von einem Hel-<lb/>
den eine vollkommene Tugend fordern, eben &#x017F;o an&#x017F;to&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ig &#x017F;eyn wird, als ob &#x017F;ie, nach allem was bereits mit<lb/>
ihm vorgegangen, natu&#x0364;rlicher Wei&#x017F;e etwas be&#x017F;&#x017F;ers ha&#x0364;t-<lb/>
ten erwarten ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
            <p>Wie groß i&#x017F;t in die&#x017F;em Stu&#x0364;ke der Bortheil eines<lb/>
Romanendichters vor demjenigen, welcher &#x017F;ich anhei-<lb/>
&#x017F;chig gemacht hat, ohne Vorurtheil oder Partheylichkeit,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N 2</fw><fw place="bottom" type="catch">mit</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[195/0217] Fuͤnftes Buch, achtes Capitel. aufzuſchieben, welche ſie einer ſo vollkommenen Liebe ſchuldig zu ſeyn glaubte. Endlich endigte ſich ihr Lied; die begleitende Symphonie hoͤrte auf; die beſchaͤmten Sirenen flohen in ihre Grotten; die Muſen verſchwan- den; und der ſtaunende Agathon blieb in trauriger Ent- zuͤkung allein. Achtes Capitel. Eine Abſchweiffung, wodurch der Leſer zum Folgenden vorbereitet wird. Wir koͤnnen die Verlegenheit nicht verbergen, in welche wir uns durch die Umſtaͤnde geſezt ſinden, wo- rinn wir unſern Helden zu Ende des vorigen Capitels verlaſſen haben. Sie drohen dem erhabnen Charakter, den er bißher mit einer ſo ruͤhmlichen Standhaftigkeit behauptet, und wodurch er ſich zweifelsohne in eine nicht gemeine Hochachtung bey unſern Leſern geſezt hat, einen Abfall, der denenjenigen, welche von einem Hel- den eine vollkommene Tugend fordern, eben ſo anſtoͤſ- ſig ſeyn wird, als ob ſie, nach allem was bereits mit ihm vorgegangen, natuͤrlicher Weiſe etwas beſſers haͤt- ten erwarten koͤnnen. Wie groß iſt in dieſem Stuͤke der Bortheil eines Romanendichters vor demjenigen, welcher ſich anhei- ſchig gemacht hat, ohne Vorurtheil oder Partheylichkeit, mit N 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/217
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/217>, abgerufen am 03.12.2024.