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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Fünftes Buch, siedentes Capitel.
len entdekten. Allein kleine Tritonen, bliesen, um sie her
schwimmend, aus krummen Hörnern, und nekten sie
durch muthwillige Spiele; indeß daß Danae mitten un-
ter den Musen, an den Rand der kleinen Halbinsel
herabstieg, und, wie Venus unter den Gratien, oder
Diana unter ihren Nymphen hervorglänzend, dem
Auge keine Freyheit ließ, auf einem andern Gegen-
stande zu verweilen. Ein langes schneeweisses Gewand
floß, unter dem halbentblößten Busen mit einem gold-
nen Gürtel umfaßt, in kleinen wallenden Falten zu ih-
ren Füssen herab; ein Kranz von Rosen wand sich um
ihre Loken, wovon ein Theil in kunstloser Anmuth um
ihren Naken schwebte; ihr rechter Arm, auf dessen
Weisse die Homerische Juno eifersüchtig hätte seyn dür-
fen, umfaßte eine Laute von Elfenbein. Die übrigen
Musen, mit verschiednen Sayteninstrumenten versehen,
lagerten sich zu ihren Füssen; sie allein blieb in einer
unnachahmlich reizenden Stellung stehen, und hörte
lächelnd der Aufforderung zu, welche die übermüthigen
Syrenen ihr entgegensangen. Man muß ohne Zweifel
gestehen, daß das Gemählde, welches sich in diesem Au-
genblik unserm Helden darstellte, nicht sehr geschikt
war, weder sein Herz noch seine Sinnen in Ruhe zu
lassen; allein die Absicht der Danae war nur, ihn durch
die Augen zu den Vergnügungen eines andern Sinnes
vorzubereiten, und ihr Stolz verlangte keinen geringern
Triumph, als ein so reizendes Gemählde durch die
Zaubergewalt ihrer Stimme und ihrer Sayten in seiner
Seele auszulöschen. Sie schmeichelte sich nicht zu viel.

Die

Fuͤnftes Buch, ſiedentes Capitel.
len entdekten. Allein kleine Tritonen, blieſen, um ſie her
ſchwimmend, aus krummen Hoͤrnern, und nekten ſie
durch muthwillige Spiele; indeß daß Danae mitten un-
ter den Muſen, an den Rand der kleinen Halbinſel
herabſtieg, und, wie Venus unter den Gratien, oder
Diana unter ihren Nymphen hervorglaͤnzend, dem
Auge keine Freyheit ließ, auf einem andern Gegen-
ſtande zu verweilen. Ein langes ſchneeweiſſes Gewand
floß, unter dem halbentbloͤßten Buſen mit einem gold-
nen Guͤrtel umfaßt, in kleinen wallenden Falten zu ih-
ren Fuͤſſen herab; ein Kranz von Roſen wand ſich um
ihre Loken, wovon ein Theil in kunſtloſer Anmuth um
ihren Naken ſchwebte; ihr rechter Arm, auf deſſen
Weiſſe die Homeriſche Juno eiferſuͤchtig haͤtte ſeyn duͤr-
fen, umfaßte eine Laute von Elfenbein. Die uͤbrigen
Muſen, mit verſchiednen Sayteninſtrumenten verſehen,
lagerten ſich zu ihren Fuͤſſen; ſie allein blieb in einer
unnachahmlich reizenden Stellung ſtehen, und hoͤrte
laͤchelnd der Aufforderung zu, welche die uͤbermuͤthigen
Syrenen ihr entgegenſangen. Man muß ohne Zweifel
geſtehen, daß das Gemaͤhlde, welches ſich in dieſem Au-
genblik unſerm Helden darſtellte, nicht ſehr geſchikt
war, weder ſein Herz noch ſeine Sinnen in Ruhe zu
laſſen; allein die Abſicht der Danae war nur, ihn durch
die Augen zu den Vergnuͤgungen eines andern Sinnes
vorzubereiten, und ihr Stolz verlangte keinen geringern
Triumph, als ein ſo reizendes Gemaͤhlde durch die
Zaubergewalt ihrer Stimme und ihrer Sayten in ſeiner
Seele auszuloͤſchen. Sie ſchmeichelte ſich nicht zu viel.

Die
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[191/0213] Fuͤnftes Buch, ſiedentes Capitel. len entdekten. Allein kleine Tritonen, blieſen, um ſie her ſchwimmend, aus krummen Hoͤrnern, und nekten ſie durch muthwillige Spiele; indeß daß Danae mitten un- ter den Muſen, an den Rand der kleinen Halbinſel herabſtieg, und, wie Venus unter den Gratien, oder Diana unter ihren Nymphen hervorglaͤnzend, dem Auge keine Freyheit ließ, auf einem andern Gegen- ſtande zu verweilen. Ein langes ſchneeweiſſes Gewand floß, unter dem halbentbloͤßten Buſen mit einem gold- nen Guͤrtel umfaßt, in kleinen wallenden Falten zu ih- ren Fuͤſſen herab; ein Kranz von Roſen wand ſich um ihre Loken, wovon ein Theil in kunſtloſer Anmuth um ihren Naken ſchwebte; ihr rechter Arm, auf deſſen Weiſſe die Homeriſche Juno eiferſuͤchtig haͤtte ſeyn duͤr- fen, umfaßte eine Laute von Elfenbein. Die uͤbrigen Muſen, mit verſchiednen Sayteninſtrumenten verſehen, lagerten ſich zu ihren Fuͤſſen; ſie allein blieb in einer unnachahmlich reizenden Stellung ſtehen, und hoͤrte laͤchelnd der Aufforderung zu, welche die uͤbermuͤthigen Syrenen ihr entgegenſangen. Man muß ohne Zweifel geſtehen, daß das Gemaͤhlde, welches ſich in dieſem Au- genblik unſerm Helden darſtellte, nicht ſehr geſchikt war, weder ſein Herz noch ſeine Sinnen in Ruhe zu laſſen; allein die Abſicht der Danae war nur, ihn durch die Augen zu den Vergnuͤgungen eines andern Sinnes vorzubereiten, und ihr Stolz verlangte keinen geringern Triumph, als ein ſo reizendes Gemaͤhlde durch die Zaubergewalt ihrer Stimme und ihrer Sayten in ſeiner Seele auszuloͤſchen. Sie ſchmeichelte ſich nicht zu viel. Die

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/213>, abgerufen am 29.03.2024.