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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Viertes Buch, fünftes Capitel.
jungen Mädchens; eines von denen jungen Mädchen,
versteht sichs, mein lieber Callias, wie man sie in die-
ser materiellen Welt findet. Jch ergebe mich, ver-
sezte Agathon; die Tänzerin hat alles gethan, was man
von ihr fodern konnte, und ich war lächerlich zu er-
warten, daß sie die Jdee ausführen sollte, die ich von
einer Daphne in meiner Phantasie habe. Agathon hatte
dieses kaum gesprochen, als Danae, ohne ein Wort zu
sagen, aufstund, der Tänzerin einen Wink gab, und
mit ihr verschwand. Jn einer kleinen Weile kam die
Tänzerin allein wieder zurük, die Flöten siengen wieder
an, und Apollo und Daphne wiederholten ihre Pan-
tomime. Aber wie erstaunte Agathon als er sah, daß
es Danae selbst war, die in der Kleidung der Tänzerin
die Person der Daphne spielte! Armer Agathon! All-
zureizende Danae! Wer hätte es glauben sollen? Jhr
ganzes Spiel drükte die eigenste Jdee des Agathon aus,
aber mit einer Anmuth, mit einer Zauberey, wovon
ihm seine Phantasie keine Jdee gegeben hatte. Die
Empfindungen, von denen seine Seele in diesen Augen-
bliken überfallen wurde, waren so lebhaft, daß er sich
bemühte, seine Augen von diesem zu sehr bezaubernden
Gegenstand abzuziehen; aber vergeblich! Eine unwi-
derstehliche Gewalt zog sie zurük. Wie edel, wie
schön waren ihre Bewegungen! Mit welch einer rüh-
renden Einfalt drükte sie den Character der Unschuld
aus! Er sah noch in sprachloser Entzükung nach dem
Orte, wo sie zum Lorbeerbaum erstarrte, als sie schon
wieder verschwunden war, ohne das Lob und das Hän-

deklat-

Viertes Buch, fuͤnftes Capitel.
jungen Maͤdchens; eines von denen jungen Maͤdchen,
verſteht ſichs, mein lieber Callias, wie man ſie in die-
ſer materiellen Welt findet. Jch ergebe mich, ver-
ſezte Agathon; die Taͤnzerin hat alles gethan, was man
von ihr fodern konnte, und ich war laͤcherlich zu er-
warten, daß ſie die Jdee ausfuͤhren ſollte, die ich von
einer Daphne in meiner Phantaſie habe. Agathon hatte
dieſes kaum geſprochen, als Danae, ohne ein Wort zu
ſagen, aufſtund, der Taͤnzerin einen Wink gab, und
mit ihr verſchwand. Jn einer kleinen Weile kam die
Taͤnzerin allein wieder zuruͤk, die Floͤten ſiengen wieder
an, und Apollo und Daphne wiederholten ihre Pan-
tomime. Aber wie erſtaunte Agathon als er ſah, daß
es Danae ſelbſt war, die in der Kleidung der Taͤnzerin
die Perſon der Daphne ſpielte! Armer Agathon! All-
zureizende Danae! Wer haͤtte es glauben ſollen? Jhr
ganzes Spiel druͤkte die eigenſte Jdee des Agathon aus,
aber mit einer Anmuth, mit einer Zauberey, wovon
ihm ſeine Phantaſie keine Jdee gegeben hatte. Die
Empfindungen, von denen ſeine Seele in dieſen Augen-
bliken uͤberfallen wurde, waren ſo lebhaft, daß er ſich
bemuͤhte, ſeine Augen von dieſem zu ſehr bezaubernden
Gegenſtand abzuziehen; aber vergeblich! Eine unwi-
derſtehliche Gewalt zog ſie zuruͤk. Wie edel, wie
ſchoͤn waren ihre Bewegungen! Mit welch einer ruͤh-
renden Einfalt druͤkte ſie den Character der Unſchuld
aus! Er ſah noch in ſprachloſer Entzuͤkung nach dem
Orte, wo ſie zum Lorbeerbaum erſtarrte, als ſie ſchon
wieder verſchwunden war, ohne das Lob und das Haͤn-

deklat-
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[159/0181] Viertes Buch, fuͤnftes Capitel. jungen Maͤdchens; eines von denen jungen Maͤdchen, verſteht ſichs, mein lieber Callias, wie man ſie in die- ſer materiellen Welt findet. Jch ergebe mich, ver- ſezte Agathon; die Taͤnzerin hat alles gethan, was man von ihr fodern konnte, und ich war laͤcherlich zu er- warten, daß ſie die Jdee ausfuͤhren ſollte, die ich von einer Daphne in meiner Phantaſie habe. Agathon hatte dieſes kaum geſprochen, als Danae, ohne ein Wort zu ſagen, aufſtund, der Taͤnzerin einen Wink gab, und mit ihr verſchwand. Jn einer kleinen Weile kam die Taͤnzerin allein wieder zuruͤk, die Floͤten ſiengen wieder an, und Apollo und Daphne wiederholten ihre Pan- tomime. Aber wie erſtaunte Agathon als er ſah, daß es Danae ſelbſt war, die in der Kleidung der Taͤnzerin die Perſon der Daphne ſpielte! Armer Agathon! All- zureizende Danae! Wer haͤtte es glauben ſollen? Jhr ganzes Spiel druͤkte die eigenſte Jdee des Agathon aus, aber mit einer Anmuth, mit einer Zauberey, wovon ihm ſeine Phantaſie keine Jdee gegeben hatte. Die Empfindungen, von denen ſeine Seele in dieſen Augen- bliken uͤberfallen wurde, waren ſo lebhaft, daß er ſich bemuͤhte, ſeine Augen von dieſem zu ſehr bezaubernden Gegenſtand abzuziehen; aber vergeblich! Eine unwi- derſtehliche Gewalt zog ſie zuruͤk. Wie edel, wie ſchoͤn waren ihre Bewegungen! Mit welch einer ruͤh- renden Einfalt druͤkte ſie den Character der Unſchuld aus! Er ſah noch in ſprachloſer Entzuͤkung nach dem Orte, wo ſie zum Lorbeerbaum erſtarrte, als ſie ſchon wieder verſchwunden war, ohne das Lob und das Haͤn- deklat-

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/181>, abgerufen am 26.04.2024.