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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
ben; allein in dieser war ein flüchtiger Blik alles, was
er auszuhalten hatte. Die Unterredung wurde fort-
gesezt, niemand zischelte dem andern ins Ohr, oder
schien das Erstaunen zu bemerken, mit der seine Au-
gen die schöne Danae zu verschlingen schienen; kurz,
man ließ ihm alle Zeit die er brauchte um wieder zu sich
selbst zu kommen, wofern sich anders dieser Ausdruk
für die Verfassung schikt, in der er sich diesen ganzen
Abend durch befand. Vielleicht erwartet man, daß
wir eine nähere Erläuterung über diesen ausserordentli-
chen Eindruk geben sollen, welchen Danae auf unsern
allzureizbaren Helden machte; allein wir sehen uns
noch ausser Stand, die Neugierde des Lesers über einen
Punct zu befriedigen, wovon Agathon selbst noch nicht
fähig gewesen wäre, Rechenschaft zu geben: Soviel
können wir inzwischen sagen, daß diese Dame dem An-
schein nach niemals weniger erwarten konnte, eine sol-
che Würkung zu machen; so wenig Mühe hatte sie sich
gegeben, durch einen schlauen Puz ihre Reizungen in ein
günstiges Licht zu sezen. Ein Kleid von weissem Taft,
mit kleinen Streiffen von Purpur, und eine halberöf-
nete Rose in ihrem schwarzen Haar, machte ihren gan-
zen Staat aus; und von der Durchsichtigkeit, wodurch
die Kleidung der Cyane den Augen unsers Helden an-
stößig gewesen, war die ihrige so weit entfernt, daß
man mit besserm Recht an ihr hätte aussezen können,
daß sie zu sehr verhüllt sey. Es ist wahr, sie hatte
Sorge getragen, daß ein kleiner niedlicher Fuß, der an
Weisse den Alabaster übertraf, dem Auge nicht immer

entzo-

Agathon.
ben; allein in dieſer war ein fluͤchtiger Blik alles, was
er auszuhalten hatte. Die Unterredung wurde fort-
geſezt, niemand ziſchelte dem andern ins Ohr, oder
ſchien das Erſtaunen zu bemerken, mit der ſeine Au-
gen die ſchoͤne Danae zu verſchlingen ſchienen; kurz,
man ließ ihm alle Zeit die er brauchte um wieder zu ſich
ſelbſt zu kommen, wofern ſich anders dieſer Ausdruk
fuͤr die Verfaſſung ſchikt, in der er ſich dieſen ganzen
Abend durch befand. Vielleicht erwartet man, daß
wir eine naͤhere Erlaͤuterung uͤber dieſen auſſerordentli-
chen Eindruk geben ſollen, welchen Danae auf unſern
allzureizbaren Helden machte; allein wir ſehen uns
noch auſſer Stand, die Neugierde des Leſers uͤber einen
Punct zu befriedigen, wovon Agathon ſelbſt noch nicht
faͤhig geweſen waͤre, Rechenſchaft zu geben: Soviel
koͤnnen wir inzwiſchen ſagen, daß dieſe Dame dem An-
ſchein nach niemals weniger erwarten konnte, eine ſol-
che Wuͤrkung zu machen; ſo wenig Muͤhe hatte ſie ſich
gegeben, durch einen ſchlauen Puz ihre Reizungen in ein
guͤnſtiges Licht zu ſezen. Ein Kleid von weiſſem Taft,
mit kleinen Streiffen von Purpur, und eine halberoͤf-
nete Roſe in ihrem ſchwarzen Haar, machte ihren gan-
zen Staat aus; und von der Durchſichtigkeit, wodurch
die Kleidung der Cyane den Augen unſers Helden an-
ſtoͤßig geweſen, war die ihrige ſo weit entfernt, daß
man mit beſſerm Recht an ihr haͤtte ausſezen koͤnnen,
daß ſie zu ſehr verhuͤllt ſey. Es iſt wahr, ſie hatte
Sorge getragen, daß ein kleiner niedlicher Fuß, der an
Weiſſe den Alabaſter uͤbertraf, dem Auge nicht immer

entzo-
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[154/0176] Agathon. ben; allein in dieſer war ein fluͤchtiger Blik alles, was er auszuhalten hatte. Die Unterredung wurde fort- geſezt, niemand ziſchelte dem andern ins Ohr, oder ſchien das Erſtaunen zu bemerken, mit der ſeine Au- gen die ſchoͤne Danae zu verſchlingen ſchienen; kurz, man ließ ihm alle Zeit die er brauchte um wieder zu ſich ſelbſt zu kommen, wofern ſich anders dieſer Ausdruk fuͤr die Verfaſſung ſchikt, in der er ſich dieſen ganzen Abend durch befand. Vielleicht erwartet man, daß wir eine naͤhere Erlaͤuterung uͤber dieſen auſſerordentli- chen Eindruk geben ſollen, welchen Danae auf unſern allzureizbaren Helden machte; allein wir ſehen uns noch auſſer Stand, die Neugierde des Leſers uͤber einen Punct zu befriedigen, wovon Agathon ſelbſt noch nicht faͤhig geweſen waͤre, Rechenſchaft zu geben: Soviel koͤnnen wir inzwiſchen ſagen, daß dieſe Dame dem An- ſchein nach niemals weniger erwarten konnte, eine ſol- che Wuͤrkung zu machen; ſo wenig Muͤhe hatte ſie ſich gegeben, durch einen ſchlauen Puz ihre Reizungen in ein guͤnſtiges Licht zu ſezen. Ein Kleid von weiſſem Taft, mit kleinen Streiffen von Purpur, und eine halberoͤf- nete Roſe in ihrem ſchwarzen Haar, machte ihren gan- zen Staat aus; und von der Durchſichtigkeit, wodurch die Kleidung der Cyane den Augen unſers Helden an- ſtoͤßig geweſen, war die ihrige ſo weit entfernt, daß man mit beſſerm Recht an ihr haͤtte ausſezen koͤnnen, daß ſie zu ſehr verhuͤllt ſey. Es iſt wahr, ſie hatte Sorge getragen, daß ein kleiner niedlicher Fuß, der an Weiſſe den Alabaſter uͤbertraf, dem Auge nicht immer entzo-

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/176>, abgerufen am 29.03.2024.