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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Viertes Buch, zweytes Capitel.
keit und deine liebe Gemalin zu hintergehen? Denn ich
glaube kaum, daß unter allen geflügelten, vierfüßigen
und kriechenden Thieren eines ist, das nicht schon einem
Unsterblichen hätte dienen müssen, irgend ein ehrliches
Mädchen zu beschleichen. Jch würde mich nicht lange
besinnen, sagte Hippias; was für eine Gestalt könnte
ich annehmen, die dir angenehmer und mir zu meiner
Absicht bequemer wäre, als dieses Sperlings, der dei-
ne Liebhaber so oft zu einer gerechten Eifersucht reizt;
der, durch die zärtlichsten Namen anfgemuntert, mit solcher
Freyheit um deinen Naken flattert, oder mit muthwilli-
gem Schnabel den schönsten Busen nekt, und die Liebko-
sungen allezeit doppelt wieder empfängt, die er dir ge-
macht hat. Es ist dir leichter wie es scheint, versezte
Danae, einen Sperling an deine Stelle, als dich an
die Stelle eines Sperlings zu sezen; bald könntest du
mir die Schmeicheleyen meines kleinen Lieblings ver-
dächtig machen. Aber genug von den Wundern, die
du meiner Schönheit zutrauest; wir wollen von was
anderm reden. Weissest du, daß ich meinem Liebhaber
den Abschied gegeben habe? "Dem schönen Hiacin-
thus?" Jhm selbst, und was noch mehr ist, mit
dem festen Entschluß, seine Stelle nimmer zu ersezen.
"Das ist eine tragische Entschliessung, schöne Danae"
Nicht so sehr als du denkest. Jch versichre dich, Hip-
pias, meine Gedult reicht nicht mehr zu, alle Thorhei-
ten dieser abgeschmakten Geken auszustehen, welche die
Sprache der Empfindung reden wollen und nichts füh-
len; deren Herz nicht so viel als mit einer Nadelrize

ver-

Viertes Buch, zweytes Capitel.
keit und deine liebe Gemalin zu hintergehen? Denn ich
glaube kaum, daß unter allen gefluͤgelten, vierfuͤßigen
und kriechenden Thieren eines iſt, das nicht ſchon einem
Unſterblichen haͤtte dienen muͤſſen, irgend ein ehrliches
Maͤdchen zu beſchleichen. Jch wuͤrde mich nicht lange
beſinnen, ſagte Hippias; was fuͤr eine Geſtalt koͤnnte
ich annehmen, die dir angenehmer und mir zu meiner
Abſicht bequemer waͤre, als dieſes Sperlings, der dei-
ne Liebhaber ſo oft zu einer gerechten Eiferſucht reizt;
der, durch die zaͤrtlichſten Namen anfgemuntert, mit ſolcher
Freyheit um deinen Naken flattert, oder mit muthwilli-
gem Schnabel den ſchoͤnſten Buſen nekt, und die Liebko-
ſungen allezeit doppelt wieder empfaͤngt, die er dir ge-
macht hat. Es iſt dir leichter wie es ſcheint, verſezte
Danae, einen Sperling an deine Stelle, als dich an
die Stelle eines Sperlings zu ſezen; bald koͤnnteſt du
mir die Schmeicheleyen meines kleinen Lieblings ver-
daͤchtig machen. Aber genug von den Wundern, die
du meiner Schoͤnheit zutraueſt; wir wollen von was
anderm reden. Weiſſeſt du, daß ich meinem Liebhaber
den Abſchied gegeben habe? „Dem ſchoͤnen Hiacin-
thus?„ Jhm ſelbſt, und was noch mehr iſt, mit
dem feſten Entſchluß, ſeine Stelle nimmer zu erſezen.
„Das iſt eine tragiſche Entſchlieſſung, ſchoͤne Danae„
Nicht ſo ſehr als du denkeſt. Jch verſichre dich, Hip-
pias, meine Gedult reicht nicht mehr zu, alle Thorhei-
ten dieſer abgeſchmakten Geken auszuſtehen, welche die
Sprache der Empfindung reden wollen und nichts fuͤh-
len; deren Herz nicht ſo viel als mit einer Nadelrize

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[139/0161] Viertes Buch, zweytes Capitel. keit und deine liebe Gemalin zu hintergehen? Denn ich glaube kaum, daß unter allen gefluͤgelten, vierfuͤßigen und kriechenden Thieren eines iſt, das nicht ſchon einem Unſterblichen haͤtte dienen muͤſſen, irgend ein ehrliches Maͤdchen zu beſchleichen. Jch wuͤrde mich nicht lange beſinnen, ſagte Hippias; was fuͤr eine Geſtalt koͤnnte ich annehmen, die dir angenehmer und mir zu meiner Abſicht bequemer waͤre, als dieſes Sperlings, der dei- ne Liebhaber ſo oft zu einer gerechten Eiferſucht reizt; der, durch die zaͤrtlichſten Namen anfgemuntert, mit ſolcher Freyheit um deinen Naken flattert, oder mit muthwilli- gem Schnabel den ſchoͤnſten Buſen nekt, und die Liebko- ſungen allezeit doppelt wieder empfaͤngt, die er dir ge- macht hat. Es iſt dir leichter wie es ſcheint, verſezte Danae, einen Sperling an deine Stelle, als dich an die Stelle eines Sperlings zu ſezen; bald koͤnnteſt du mir die Schmeicheleyen meines kleinen Lieblings ver- daͤchtig machen. Aber genug von den Wundern, die du meiner Schoͤnheit zutraueſt; wir wollen von was anderm reden. Weiſſeſt du, daß ich meinem Liebhaber den Abſchied gegeben habe? „Dem ſchoͤnen Hiacin- thus?„ Jhm ſelbſt, und was noch mehr iſt, mit dem feſten Entſchluß, ſeine Stelle nimmer zu erſezen. „Das iſt eine tragiſche Entſchlieſſung, ſchoͤne Danae„ Nicht ſo ſehr als du denkeſt. Jch verſichre dich, Hip- pias, meine Gedult reicht nicht mehr zu, alle Thorhei- ten dieſer abgeſchmakten Geken auszuſtehen, welche die Sprache der Empfindung reden wollen und nichts fuͤh- len; deren Herz nicht ſo viel als mit einer Nadelrize ver-

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/161>, abgerufen am 25.04.2024.