sezen; wenn er in dieser den Sieg erhält, so muß er -- ja, so will ich meine Nymphen entlassen, mein Haus den Prieftern der Cybele vermachen, und an den Gan- ges ziehen, und in der Höle eines alten Palmbaums, mit geschloßnen Augen und den Kopf zwischen den Knien, so lange in der nehmlichen Postur sizen bleiben, biß ich, allen meinen Sinnen zu troz, mir einbilde, daß ich nicht mehr bin! -- Diß war ein hartes Ge- lübde; auch hielt sich Hippias sehr überzeugt, daß es so weit nicht kommen würde, und damit er keine Zeit versäumen möchte; so machte er noch an dem- selbigen Tag Anstalt, seinen Anschlag auszuführen.
Zweytes Capitel. Hippias stattet einer Dame einen Besuch ab.
Die Damen zu Smyrna hatten damals eine Gewohn- heit, welche ihrer Schönheit mehr Ehre machte als ihrer Sittsamkeit. Sie pflegten sich in den warmen Monaten gemeiniglich alle Nachmittage eines kühlenden Bades zu bedienen, und, um keine lange Weile zu ha- ben, nahmen sie um diese Zeit die Besuche derjenigen Mannspersonen an, die das Recht eines freyen Zu- tritts in ihren Häusern hatten. Diese Gewohnheit war in Smyrna eben so unschuldig als es der Gebrauch bey unsern westlichen Nachbarinnen ist, Mannspersonen bey der Toilette um sich zu haben; auch kam diese Frey-
heit
J 4
Viertes Buch, zweytes Capitel.
ſezen; wenn er in dieſer den Sieg erhaͤlt, ſo muß er ‒‒ ja, ſo will ich meine Nymphen entlaſſen, mein Haus den Prieftern der Cybele vermachen, und an den Gan- ges ziehen, und in der Hoͤle eines alten Palmbaums, mit geſchloßnen Augen und den Kopf zwiſchen den Knien, ſo lange in der nehmlichen Poſtur ſizen bleiben, biß ich, allen meinen Sinnen zu troz, mir einbilde, daß ich nicht mehr bin! ‒‒ Diß war ein hartes Ge- luͤbde; auch hielt ſich Hippias ſehr uͤberzeugt, daß es ſo weit nicht kommen wuͤrde, und damit er keine Zeit verſaͤumen moͤchte; ſo machte er noch an dem- ſelbigen Tag Anſtalt, ſeinen Anſchlag auszufuͤhren.
Zweytes Capitel. Hippias ſtattet einer Dame einen Beſuch ab.
Die Damen zu Smyrna hatten damals eine Gewohn- heit, welche ihrer Schoͤnheit mehr Ehre machte als ihrer Sittſamkeit. Sie pflegten ſich in den warmen Monaten gemeiniglich alle Nachmittage eines kuͤhlenden Bades zu bedienen, und, um keine lange Weile zu ha- ben, nahmen ſie um dieſe Zeit die Beſuche derjenigen Mannsperſonen an, die das Recht eines freyen Zu- tritts in ihren Haͤuſern hatten. Dieſe Gewohnheit war in Smyrna eben ſo unſchuldig als es der Gebrauch bey unſern weſtlichen Nachbarinnen iſt, Mannsperſonen bey der Toilette um ſich zu haben; auch kam dieſe Frey-
heit
J 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0157"n="135"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Viertes Buch, zweytes Capitel.</hi></fw><lb/>ſezen; wenn er in dieſer den Sieg erhaͤlt, ſo muß er ‒‒<lb/>
ja, ſo will ich meine Nymphen entlaſſen, mein Haus<lb/>
den Prieftern der Cybele vermachen, und an den Gan-<lb/>
ges ziehen, und in der Hoͤle eines alten Palmbaums,<lb/>
mit geſchloßnen Augen und den Kopf zwiſchen den<lb/>
Knien, ſo lange in der nehmlichen Poſtur ſizen bleiben,<lb/>
biß ich, allen meinen Sinnen zu troz, mir einbilde,<lb/>
daß ich nicht mehr bin! ‒‒ Diß war ein hartes Ge-<lb/>
luͤbde; auch hielt ſich Hippias ſehr uͤberzeugt, daß<lb/>
es ſo weit nicht kommen wuͤrde, und damit er keine<lb/>
Zeit verſaͤumen moͤchte; ſo machte er noch an dem-<lb/>ſelbigen Tag Anſtalt, ſeinen Anſchlag auszufuͤhren.</p></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Zweytes Capitel.</hi><lb/>
Hippias ſtattet einer Dame einen<lb/>
Beſuch ab.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>ie Damen zu Smyrna hatten damals eine Gewohn-<lb/>
heit, welche ihrer Schoͤnheit mehr Ehre machte als<lb/>
ihrer Sittſamkeit. Sie pflegten ſich in den warmen<lb/>
Monaten gemeiniglich alle Nachmittage eines kuͤhlenden<lb/>
Bades zu bedienen, und, um keine lange Weile zu ha-<lb/>
ben, nahmen ſie um dieſe Zeit die Beſuche derjenigen<lb/>
Mannsperſonen an, die das Recht eines freyen Zu-<lb/>
tritts in ihren Haͤuſern hatten. Dieſe Gewohnheit war<lb/>
in Smyrna eben ſo unſchuldig als es der Gebrauch<lb/>
bey unſern weſtlichen Nachbarinnen iſt, Mannsperſonen<lb/>
bey der Toilette um ſich zu haben; auch kam dieſe Frey-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">J 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">heit</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[135/0157]
Viertes Buch, zweytes Capitel.
ſezen; wenn er in dieſer den Sieg erhaͤlt, ſo muß er ‒‒
ja, ſo will ich meine Nymphen entlaſſen, mein Haus
den Prieftern der Cybele vermachen, und an den Gan-
ges ziehen, und in der Hoͤle eines alten Palmbaums,
mit geſchloßnen Augen und den Kopf zwiſchen den
Knien, ſo lange in der nehmlichen Poſtur ſizen bleiben,
biß ich, allen meinen Sinnen zu troz, mir einbilde,
daß ich nicht mehr bin! ‒‒ Diß war ein hartes Ge-
luͤbde; auch hielt ſich Hippias ſehr uͤberzeugt, daß
es ſo weit nicht kommen wuͤrde, und damit er keine
Zeit verſaͤumen moͤchte; ſo machte er noch an dem-
ſelbigen Tag Anſtalt, ſeinen Anſchlag auszufuͤhren.
Zweytes Capitel.
Hippias ſtattet einer Dame einen
Beſuch ab.
Die Damen zu Smyrna hatten damals eine Gewohn-
heit, welche ihrer Schoͤnheit mehr Ehre machte als
ihrer Sittſamkeit. Sie pflegten ſich in den warmen
Monaten gemeiniglich alle Nachmittage eines kuͤhlenden
Bades zu bedienen, und, um keine lange Weile zu ha-
ben, nahmen ſie um dieſe Zeit die Beſuche derjenigen
Mannsperſonen an, die das Recht eines freyen Zu-
tritts in ihren Haͤuſern hatten. Dieſe Gewohnheit war
in Smyrna eben ſo unſchuldig als es der Gebrauch
bey unſern weſtlichen Nachbarinnen iſt, Mannsperſonen
bey der Toilette um ſich zu haben; auch kam dieſe Frey-
heit
J 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/157>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.