Widmann, Adolf: Die katholische Mühle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 161–232. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.tuation lyrisch verklingen, das Ereigniß in ein Lied ausblühen zu lassen. Und doch bedarf es nur eines Blickes in unsere Novelle, um nicht nur jeden Gedanken der Nachahmung zu verscheuchen, sondern auch inne zu werden, daß hier das Stoff- und Stimmungsgebiet der Romantik mit vollster Klarheit für den modernen Realismus erobert worden ist. Landschaften und Staffage, die dort in verschwimmenden Umrissen immer von dem gleichen Sonnenduft oder Mondnebel umflort erscheinen, sind hier in festen Zügen ausgeprägt und mit charakteristischen Localtönen gefärbt, deren Treue gerade unserer Novelle einen ihrer Hauptreize verleiht, wenn es auch nur zu billigen ist, daß der Dichter in dieser späteren Bearbeitung an den schwäbischen Dialekt, den er in der ersten Fassung*) seinen alten Rühs noch in voller Reinheit sprechen läßt, nur in einzelnen Wendungen erinnert. Auch die Geschichten aus kleinen mitteldeutschen Fürstenhöfen und Jagdschlössern, die Widmann mit Vorliebe erzählt, haben im Gegensatz zu Eichendorff's phantastischen Gräfinnen eine memoirenhafte Bestimmtheit, und nur die poetische Vorliebe für jene Welt ist Beiden gemein, in der man immer Zeit zu Herzensgeschichten, Geld zum Reisen und verfallene Jägerhäuschen zum Schauplatz romantischer Abenteuer hatte. Leider hat A. Widmann nur in den Pausen zwischen strengerer politischer und wissenschaftlicher Arbeit sich der Dichtung zugewendet. Sein Roman, "Der Tannhäuser" (Berlin, Franz Duncker 1850), der allerdings empfindlich darunter zu leiden hatte, daß die ihm zu Grunde liegenden Erlebnisse dem Erzähler noch zu nahe standen, um eine volle künstlerische Freiheit zu *) Unter dem Titel "die Wilddiebe" in: Lebensbilder aus Süd und Nord, aus alt und neuer Zeit, herausgegeben von F Röse. Stuttgart 1844. Bd. I.
tuation lyrisch verklingen, das Ereigniß in ein Lied ausblühen zu lassen. Und doch bedarf es nur eines Blickes in unsere Novelle, um nicht nur jeden Gedanken der Nachahmung zu verscheuchen, sondern auch inne zu werden, daß hier das Stoff- und Stimmungsgebiet der Romantik mit vollster Klarheit für den modernen Realismus erobert worden ist. Landschaften und Staffage, die dort in verschwimmenden Umrissen immer von dem gleichen Sonnenduft oder Mondnebel umflort erscheinen, sind hier in festen Zügen ausgeprägt und mit charakteristischen Localtönen gefärbt, deren Treue gerade unserer Novelle einen ihrer Hauptreize verleiht, wenn es auch nur zu billigen ist, daß der Dichter in dieser späteren Bearbeitung an den schwäbischen Dialekt, den er in der ersten Fassung*) seinen alten Rühs noch in voller Reinheit sprechen läßt, nur in einzelnen Wendungen erinnert. Auch die Geschichten aus kleinen mitteldeutschen Fürstenhöfen und Jagdschlössern, die Widmann mit Vorliebe erzählt, haben im Gegensatz zu Eichendorff's phantastischen Gräfinnen eine memoirenhafte Bestimmtheit, und nur die poetische Vorliebe für jene Welt ist Beiden gemein, in der man immer Zeit zu Herzensgeschichten, Geld zum Reisen und verfallene Jägerhäuschen zum Schauplatz romantischer Abenteuer hatte. Leider hat A. Widmann nur in den Pausen zwischen strengerer politischer und wissenschaftlicher Arbeit sich der Dichtung zugewendet. Sein Roman, „Der Tannhäuser“ (Berlin, Franz Duncker 1850), der allerdings empfindlich darunter zu leiden hatte, daß die ihm zu Grunde liegenden Erlebnisse dem Erzähler noch zu nahe standen, um eine volle künstlerische Freiheit zu *) Unter dem Titel „die Wilddiebe“ in: Lebensbilder aus Süd und Nord, aus alt und neuer Zeit, herausgegeben von F Röse. Stuttgart 1844. Bd. I.
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Und doch bedarf es nur eines Blickes in unsere Novelle, um nicht nur jeden Gedanken der Nachahmung zu verscheuchen, sondern auch inne zu werden, daß hier das Stoff- und Stimmungsgebiet der Romantik mit vollster Klarheit für den modernen Realismus erobert worden ist. Landschaften und Staffage, die dort in verschwimmenden Umrissen immer von dem gleichen Sonnenduft oder Mondnebel umflort erscheinen, sind hier in festen Zügen ausgeprägt und mit charakteristischen Localtönen gefärbt, deren Treue gerade unserer Novelle einen ihrer Hauptreize verleiht, wenn es auch nur zu billigen ist, daß der Dichter in dieser späteren Bearbeitung an den schwäbischen Dialekt, den er in der ersten Fassung *) seinen alten Rühs noch in voller Reinheit sprechen läßt, nur in einzelnen Wendungen erinnert. Auch die Geschichten aus kleinen mitteldeutschen Fürstenhöfen und Jagdschlössern, die Widmann mit Vorliebe erzählt, haben im Gegensatz zu Eichendorff's phantastischen Gräfinnen eine memoirenhafte Bestimmtheit, und nur die poetische Vorliebe für jene Welt ist Beiden gemein, in der man immer Zeit zu Herzensgeschichten, Geld zum Reisen und verfallene Jägerhäuschen zum Schauplatz romantischer Abenteuer hatte.
Leider hat A. Widmann nur in den Pausen zwischen strengerer politischer und wissenschaftlicher Arbeit sich der Dichtung zugewendet. Sein Roman, „Der Tannhäuser“ (Berlin, Franz Duncker 1850), der allerdings empfindlich darunter zu leiden hatte, daß die ihm zu Grunde liegenden Erlebnisse dem Erzähler noch zu nahe standen, um eine volle künstlerische Freiheit zu
*) Unter dem Titel „die Wilddiebe“ in: Lebensbilder aus Süd und Nord, aus alt und neuer Zeit, herausgegeben von F Röse. Stuttgart 1844. Bd. I.
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Zitationshilfe: | Widmann, Adolf: Die katholische Mühle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 161–232. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/widmann_muehle_1910/7>, abgerufen am 16.02.2025. |