Widmann, Adolf: Die katholische Mühle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 161–232. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ein verwittertes Muttergottesbild stand zunächst am Quell; zu dem betete sie unaufmerksam, immer nach dem Walde schauend, ein Ave und ging dann ruhig auf den Stall zu, wo die Kühe in der leeren Krippe schnoberten. Wie sie so ging, sang sie vor sich hin: Der Graf aufm Schloß Und der Jäger in der Höh' Sind schön wie der Maien Und falsch wie der Schnee! Ei was du singst! rief ihr der Jäger herüber, der sich jetzt ganz sorglos ausrichtete und näher. kam. Er riß ein Paar Blumen ab und warf sie im Gehen über die Brücke; -- ei, wie singst du so schön, Ammrey! Ha ja! entgegnete das Mädchen von ferne, ich dächte wohl schön genug für Specht und Guckuck. Denn eben rief der Guckuck. Der Jäger horchte scharf hin und eilte fort. Guten Morgen! rief er schon leise am Bach hinauf; Gott behüt'! antwortete sie so leise, daß er es nicht mehr hören konnte. Aber sie blickte ihm nach, wie er über die Felsblöcke sprang und sich nicht umschaute. Er hätte sonst auch noch einen Mann in der Mühlluke sehen müssen, der rasch zurückfuhr, als er den Weg, den der Jäger einschlug, erkundet hatte. Sie bemerkte den Späher wohl, that aber nicht desgleichen, sondern trillerte weiter: Und weiß ich, daß der Mai nicht bleibt, Ich lieb' ihn halt so sehr; Ein verwittertes Muttergottesbild stand zunächst am Quell; zu dem betete sie unaufmerksam, immer nach dem Walde schauend, ein Ave und ging dann ruhig auf den Stall zu, wo die Kühe in der leeren Krippe schnoberten. Wie sie so ging, sang sie vor sich hin: Der Graf aufm Schloß Und der Jäger in der Höh' Sind schön wie der Maien Und falsch wie der Schnee! Ei was du singst! rief ihr der Jäger herüber, der sich jetzt ganz sorglos ausrichtete und näher. kam. Er riß ein Paar Blumen ab und warf sie im Gehen über die Brücke; — ei, wie singst du so schön, Ammrey! Ha ja! entgegnete das Mädchen von ferne, ich dächte wohl schön genug für Specht und Guckuck. Denn eben rief der Guckuck. Der Jäger horchte scharf hin und eilte fort. Guten Morgen! rief er schon leise am Bach hinauf; Gott behüt'! antwortete sie so leise, daß er es nicht mehr hören konnte. Aber sie blickte ihm nach, wie er über die Felsblöcke sprang und sich nicht umschaute. Er hätte sonst auch noch einen Mann in der Mühlluke sehen müssen, der rasch zurückfuhr, als er den Weg, den der Jäger einschlug, erkundet hatte. Sie bemerkte den Späher wohl, that aber nicht desgleichen, sondern trillerte weiter: Und weiß ich, daß der Mai nicht bleibt, Ich lieb' ihn halt so sehr; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0019"/> Ein verwittertes Muttergottesbild stand zunächst am Quell; zu dem betete sie unaufmerksam, immer nach dem Walde schauend, ein Ave und ging dann ruhig auf den Stall zu, wo die Kühe in der leeren Krippe schnoberten. Wie sie so ging, sang sie vor sich hin:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Der Graf aufm Schloß</l> <l>Und der Jäger in der Höh'</l> <l>Sind schön wie der Maien</l> <l>Und falsch wie der Schnee!</l> </lg> <p>Ei was du singst! rief ihr der Jäger herüber, der sich jetzt ganz sorglos ausrichtete und näher. kam. Er riß ein Paar Blumen ab und warf sie im Gehen über die Brücke; — ei, wie singst du so schön, Ammrey!</p><lb/> <p>Ha ja! entgegnete das Mädchen von ferne, ich dächte wohl schön genug für Specht und Guckuck.</p><lb/> <p>Denn eben rief der Guckuck. Der Jäger horchte scharf hin und eilte fort. Guten Morgen! rief er schon leise am Bach hinauf; Gott behüt'! antwortete sie so leise, daß er es nicht mehr hören konnte. Aber sie blickte ihm nach, wie er über die Felsblöcke sprang und sich nicht umschaute. Er hätte sonst auch noch einen Mann in der Mühlluke sehen müssen, der rasch zurückfuhr, als er den Weg, den der Jäger einschlug, erkundet hatte. Sie bemerkte den Späher wohl, that aber nicht desgleichen, sondern trillerte weiter:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Und weiß ich, daß der Mai nicht bleibt,</l> <l>Ich lieb' ihn halt so sehr;</l><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [0019]
Ein verwittertes Muttergottesbild stand zunächst am Quell; zu dem betete sie unaufmerksam, immer nach dem Walde schauend, ein Ave und ging dann ruhig auf den Stall zu, wo die Kühe in der leeren Krippe schnoberten. Wie sie so ging, sang sie vor sich hin:
Der Graf aufm Schloß Und der Jäger in der Höh' Sind schön wie der Maien Und falsch wie der Schnee!
Ei was du singst! rief ihr der Jäger herüber, der sich jetzt ganz sorglos ausrichtete und näher. kam. Er riß ein Paar Blumen ab und warf sie im Gehen über die Brücke; — ei, wie singst du so schön, Ammrey!
Ha ja! entgegnete das Mädchen von ferne, ich dächte wohl schön genug für Specht und Guckuck.
Denn eben rief der Guckuck. Der Jäger horchte scharf hin und eilte fort. Guten Morgen! rief er schon leise am Bach hinauf; Gott behüt'! antwortete sie so leise, daß er es nicht mehr hören konnte. Aber sie blickte ihm nach, wie er über die Felsblöcke sprang und sich nicht umschaute. Er hätte sonst auch noch einen Mann in der Mühlluke sehen müssen, der rasch zurückfuhr, als er den Weg, den der Jäger einschlug, erkundet hatte. Sie bemerkte den Späher wohl, that aber nicht desgleichen, sondern trillerte weiter:
Und weiß ich, daß der Mai nicht bleibt, Ich lieb' ihn halt so sehr;
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Zitationshilfe: | Widmann, Adolf: Die katholische Mühle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 161–232. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/widmann_muehle_1910/19>, abgerufen am 04.07.2024. |