Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.das Kaufgeld für eine gute Kuh auf dem Markte. Daß er klüger gehandelt hätte, den Prozeß zu vermeiden, sagte er sich gleichwohl keineswegs; es sei mit unrechten Dingen zugegangen, meinte er, und künftig müsse er sich auf dem Gericht besser vorsehen. Seine älteren Ersparnisse gingen bis auf den letzten Pfennig darauf und reichten doch nicht zu, ihm die Anschaffung einer andern Kuh zu ermöglichen. Dafür nahm er der Altsitzerin die ihrige fort und verkaufte sie trotz aller Lamentationen. Sie habe ja den Prozeß darauf geführt, daß die Kuh ganz unbrauchbar sei, meinte er; wie wolle sie sich darüber beklagen, daß er sie veräußere? -- Dann müsse er ihr aber eine andere Kuh anweisen nach dem gerichtlichen Erkenntniß. -- Das wolle er bei dem nächsten Viehhandel, antwortete er, früher habe er's nicht nöthig. Es sei in Wanagischken seit Menschengedenken nicht anders Sitte gewesen, als daß der Markt abgewartet würde, wo man sich aussuchen könne, was man brauche. -- Ob sie denn so lange hungern solle? -- Seinetwegen auch verhungern, entgegnete er; aber er wolle schon ein Uebriges thun und ihr von seiner eigenen Kuh täglich drei Maß Milch abgeben. Damit wollte sie nicht zufrieden sein; nach dem Contract habe sie eine Kuh für sich, und wenn dieselbe täglich zehn Maß gebe, sei's eben ihr Vortheil. -- Das rothbunte Tuch mit den Verschreibungen wurde wieder hervorgesucht, der alte Secretär bekam Arbeit. das Kaufgeld für eine gute Kuh auf dem Markte. Daß er klüger gehandelt hätte, den Prozeß zu vermeiden, sagte er sich gleichwohl keineswegs; es sei mit unrechten Dingen zugegangen, meinte er, und künftig müsse er sich auf dem Gericht besser vorsehen. Seine älteren Ersparnisse gingen bis auf den letzten Pfennig darauf und reichten doch nicht zu, ihm die Anschaffung einer andern Kuh zu ermöglichen. Dafür nahm er der Altsitzerin die ihrige fort und verkaufte sie trotz aller Lamentationen. Sie habe ja den Prozeß darauf geführt, daß die Kuh ganz unbrauchbar sei, meinte er; wie wolle sie sich darüber beklagen, daß er sie veräußere? — Dann müsse er ihr aber eine andere Kuh anweisen nach dem gerichtlichen Erkenntniß. — Das wolle er bei dem nächsten Viehhandel, antwortete er, früher habe er's nicht nöthig. Es sei in Wanagischken seit Menschengedenken nicht anders Sitte gewesen, als daß der Markt abgewartet würde, wo man sich aussuchen könne, was man brauche. — Ob sie denn so lange hungern solle? — Seinetwegen auch verhungern, entgegnete er; aber er wolle schon ein Uebriges thun und ihr von seiner eigenen Kuh täglich drei Maß Milch abgeben. Damit wollte sie nicht zufrieden sein; nach dem Contract habe sie eine Kuh für sich, und wenn dieselbe täglich zehn Maß gebe, sei's eben ihr Vortheil. — Das rothbunte Tuch mit den Verschreibungen wurde wieder hervorgesucht, der alte Secretär bekam Arbeit. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0026"/> das Kaufgeld für eine gute Kuh auf dem Markte. Daß er klüger gehandelt hätte, den Prozeß zu vermeiden, sagte er sich gleichwohl keineswegs; es sei mit unrechten Dingen zugegangen, meinte er, und künftig müsse er sich auf dem Gericht besser vorsehen.</p><lb/> <p>Seine älteren Ersparnisse gingen bis auf den letzten Pfennig darauf und reichten doch nicht zu, ihm die Anschaffung einer andern Kuh zu ermöglichen. Dafür nahm er der Altsitzerin die ihrige fort und verkaufte sie trotz aller Lamentationen. Sie habe ja den Prozeß darauf geführt, daß die Kuh ganz unbrauchbar sei, meinte er; wie wolle sie sich darüber beklagen, daß er sie veräußere? — Dann müsse er ihr aber eine andere Kuh anweisen nach dem gerichtlichen Erkenntniß. — Das wolle er bei dem nächsten Viehhandel, antwortete er, früher habe er's nicht nöthig. Es sei in Wanagischken seit Menschengedenken nicht anders Sitte gewesen, als daß der Markt abgewartet würde, wo man sich aussuchen könne, was man brauche. — Ob sie denn so lange hungern solle? — Seinetwegen auch verhungern, entgegnete er; aber er wolle schon ein Uebriges thun und ihr von seiner eigenen Kuh täglich drei Maß Milch abgeben. Damit wollte sie nicht zufrieden sein; nach dem Contract habe sie eine Kuh für sich, und wenn dieselbe täglich zehn Maß gebe, sei's eben ihr Vortheil. — Das rothbunte Tuch mit den Verschreibungen wurde wieder hervorgesucht, der alte Secretär bekam Arbeit.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
das Kaufgeld für eine gute Kuh auf dem Markte. Daß er klüger gehandelt hätte, den Prozeß zu vermeiden, sagte er sich gleichwohl keineswegs; es sei mit unrechten Dingen zugegangen, meinte er, und künftig müsse er sich auf dem Gericht besser vorsehen.
Seine älteren Ersparnisse gingen bis auf den letzten Pfennig darauf und reichten doch nicht zu, ihm die Anschaffung einer andern Kuh zu ermöglichen. Dafür nahm er der Altsitzerin die ihrige fort und verkaufte sie trotz aller Lamentationen. Sie habe ja den Prozeß darauf geführt, daß die Kuh ganz unbrauchbar sei, meinte er; wie wolle sie sich darüber beklagen, daß er sie veräußere? — Dann müsse er ihr aber eine andere Kuh anweisen nach dem gerichtlichen Erkenntniß. — Das wolle er bei dem nächsten Viehhandel, antwortete er, früher habe er's nicht nöthig. Es sei in Wanagischken seit Menschengedenken nicht anders Sitte gewesen, als daß der Markt abgewartet würde, wo man sich aussuchen könne, was man brauche. — Ob sie denn so lange hungern solle? — Seinetwegen auch verhungern, entgegnete er; aber er wolle schon ein Uebriges thun und ihr von seiner eigenen Kuh täglich drei Maß Milch abgeben. Damit wollte sie nicht zufrieden sein; nach dem Contract habe sie eine Kuh für sich, und wenn dieselbe täglich zehn Maß gebe, sei's eben ihr Vortheil. — Das rothbunte Tuch mit den Verschreibungen wurde wieder hervorgesucht, der alte Secretär bekam Arbeit.
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Zitationshilfe: | Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910/26>, abgerufen am 16.02.2025. |