Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.balken voll und die Ställe so gut versorgt mit allerhand Vieh, daß eine ganze Dorfschaft daran übergenug gehabt hätte. Ansas hatte einen offenen Kopf; er stellte seine Vergleiche an und legte sich Fragen vor. Es mußte wohl seinen Grund haben, daß einer nach dem andern von den littauischen Höfen verschwand und daß der Deutsche sich immer mehr ausbreitete. Sollte man ihm nicht etwas ablernen können, wenn man genau Acht gab, wie er's machte? Und wenn man seine Wirthschaftsweise nachahmte, sollte nicht auch ein littauischer Bauer zu Wohlstand kommen können? Von dem Augenblick ab, wo unserem Ansas Wanags über diese Dinge, wie man sagt, die Augen aufgingen, behielt er sie auch offen und beobachtete er seinen Herrn genau. Für ihn war es ja gewiß, daß er über kurz oder lang sein Väterliches werde übernehmen müssen und daß es sich dann ausweisen werde, ob er es zu halten vermöge. Mit der den Littauern eigenen Verstecktheit hielt er seine Pläne geheim und sprach am wenigsten dem Gutsherrn davon, der ihm, je mehr er sein größeres Wissen und Können anstaunen mußte, ein desto gefährlicherer Feind schien. Wenn er wüßte, daß ich ihm's nachthun will, dachte Ansas bei sich, würde er mir sofort den Dienst kündigen. Er war daher zwar fleißig hinter jeder Arbeit her, gewöhnte sich aber ein wortkarges, verdrießliches Wesen an, das zu seinen jungen Jahren wenig paßte. Geelhaar, dem balken voll und die Ställe so gut versorgt mit allerhand Vieh, daß eine ganze Dorfschaft daran übergenug gehabt hätte. Ansas hatte einen offenen Kopf; er stellte seine Vergleiche an und legte sich Fragen vor. Es mußte wohl seinen Grund haben, daß einer nach dem andern von den littauischen Höfen verschwand und daß der Deutsche sich immer mehr ausbreitete. Sollte man ihm nicht etwas ablernen können, wenn man genau Acht gab, wie er's machte? Und wenn man seine Wirthschaftsweise nachahmte, sollte nicht auch ein littauischer Bauer zu Wohlstand kommen können? Von dem Augenblick ab, wo unserem Ansas Wanags über diese Dinge, wie man sagt, die Augen aufgingen, behielt er sie auch offen und beobachtete er seinen Herrn genau. Für ihn war es ja gewiß, daß er über kurz oder lang sein Väterliches werde übernehmen müssen und daß es sich dann ausweisen werde, ob er es zu halten vermöge. Mit der den Littauern eigenen Verstecktheit hielt er seine Pläne geheim und sprach am wenigsten dem Gutsherrn davon, der ihm, je mehr er sein größeres Wissen und Können anstaunen mußte, ein desto gefährlicherer Feind schien. Wenn er wüßte, daß ich ihm's nachthun will, dachte Ansas bei sich, würde er mir sofort den Dienst kündigen. Er war daher zwar fleißig hinter jeder Arbeit her, gewöhnte sich aber ein wortkarges, verdrießliches Wesen an, das zu seinen jungen Jahren wenig paßte. Geelhaar, dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0015"/> balken voll und die Ställe so gut versorgt mit allerhand Vieh, daß eine ganze Dorfschaft daran übergenug gehabt hätte. Ansas hatte einen offenen Kopf; er stellte seine Vergleiche an und legte sich Fragen vor. Es mußte wohl seinen Grund haben, daß einer nach dem andern von den littauischen Höfen verschwand und daß der Deutsche sich immer mehr ausbreitete. Sollte man ihm nicht etwas ablernen können, wenn man genau Acht gab, wie er's machte? Und wenn man seine Wirthschaftsweise nachahmte, sollte nicht auch ein littauischer Bauer zu Wohlstand kommen können?</p><lb/> <p>Von dem Augenblick ab, wo unserem Ansas Wanags über diese Dinge, wie man sagt, die Augen aufgingen, behielt er sie auch offen und beobachtete er seinen Herrn genau. Für ihn war es ja gewiß, daß er über kurz oder lang sein Väterliches werde übernehmen müssen und daß es sich dann ausweisen werde, ob er es zu halten vermöge. Mit der den Littauern eigenen Verstecktheit hielt er seine Pläne geheim und sprach am wenigsten dem Gutsherrn davon, der ihm, je mehr er sein größeres Wissen und Können anstaunen mußte, ein desto gefährlicherer Feind schien. Wenn er wüßte, daß ich ihm's nachthun will, dachte Ansas bei sich, würde er mir sofort den Dienst kündigen. Er war daher zwar fleißig hinter jeder Arbeit her, gewöhnte sich aber ein wortkarges, verdrießliches Wesen an, das zu seinen jungen Jahren wenig paßte. Geelhaar, dem<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
balken voll und die Ställe so gut versorgt mit allerhand Vieh, daß eine ganze Dorfschaft daran übergenug gehabt hätte. Ansas hatte einen offenen Kopf; er stellte seine Vergleiche an und legte sich Fragen vor. Es mußte wohl seinen Grund haben, daß einer nach dem andern von den littauischen Höfen verschwand und daß der Deutsche sich immer mehr ausbreitete. Sollte man ihm nicht etwas ablernen können, wenn man genau Acht gab, wie er's machte? Und wenn man seine Wirthschaftsweise nachahmte, sollte nicht auch ein littauischer Bauer zu Wohlstand kommen können?
Von dem Augenblick ab, wo unserem Ansas Wanags über diese Dinge, wie man sagt, die Augen aufgingen, behielt er sie auch offen und beobachtete er seinen Herrn genau. Für ihn war es ja gewiß, daß er über kurz oder lang sein Väterliches werde übernehmen müssen und daß es sich dann ausweisen werde, ob er es zu halten vermöge. Mit der den Littauern eigenen Verstecktheit hielt er seine Pläne geheim und sprach am wenigsten dem Gutsherrn davon, der ihm, je mehr er sein größeres Wissen und Können anstaunen mußte, ein desto gefährlicherer Feind schien. Wenn er wüßte, daß ich ihm's nachthun will, dachte Ansas bei sich, würde er mir sofort den Dienst kündigen. Er war daher zwar fleißig hinter jeder Arbeit her, gewöhnte sich aber ein wortkarges, verdrießliches Wesen an, das zu seinen jungen Jahren wenig paßte. Geelhaar, dem
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Zitationshilfe: | Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910/15>, abgerufen am 16.02.2025. |