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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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gearbeitetem Acker, blühenden kriechenden
und aufgestengelten Gewächsen, Gruppen
von Citronenbäumen mit goldnen blinken-
den Früchten, zerstreuten kleinen Hüttchen
gleichsam bestreut -- kurz, das herrlichste
lachendste Mosaik der Natur vor ihren Augen.

Belphegor war überrascht, betäubt, über-
wältigt, hingerissen, er staunte, er war sei-
ner Sinnen nicht mächtig; er warf sich vor
Begeisterung auf die Erde und küßte den
Boden, als den Eingang zu einem Heilig-
thume. So bald seine Empfindungen we-
niger gewaltsam wurden, so besahe er die
Gegend um sich mit unersättlicher Begierde,
sahe und hatte nie genug gesehn. Sein Füh-
rer ermahnte ihn zur Eilfertigkeit, wenn er
noch vor Abend bey dem Derwische anlan-
gen wollte, weil seine Wohnung fast an dem
andern Ende des Thales liege und noch viele
Stunden erfodre, wenn sie gleich ihre Schritte
verdoppeln wollten. Belphegor riß sich, wie-
wohl mit einigem Widerstande, von dem
entzückenden Anblicke los, um einem noch
entzückendern zuzueilen.

Kaum waren sie die langgedehute An-
höhe hinuntergestiegen, als sie ein krumm-

laufen-
E 5

gearbeitetem Acker, bluͤhenden kriechenden
und aufgeſtengelten Gewaͤchſen, Gruppen
von Citronenbaͤumen mit goldnen blinken-
den Fruͤchten, zerſtreuten kleinen Huͤttchen
gleichſam beſtreut — kurz, das herrlichſte
lachendſte Moſaik der Natur vor ihren Augen.

Belphegor war uͤberraſcht, betaͤubt, uͤber-
waͤltigt, hingeriſſen, er ſtaunte, er war ſei-
ner Sinnen nicht maͤchtig; er warf ſich vor
Begeiſterung auf die Erde und kuͤßte den
Boden, als den Eingang zu einem Heilig-
thume. So bald ſeine Empfindungen we-
niger gewaltſam wurden, ſo beſahe er die
Gegend um ſich mit unerſaͤttlicher Begierde,
ſahe und hatte nie genug geſehn. Sein Fuͤh-
rer ermahnte ihn zur Eilfertigkeit, wenn er
noch vor Abend bey dem Derwiſche anlan-
gen wollte, weil ſeine Wohnung faſt an dem
andern Ende des Thales liege und noch viele
Stunden erfodre, wenn ſie gleich ihre Schritte
verdoppeln wollten. Belphegor riß ſich, wie-
wohl mit einigem Widerſtande, von dem
entzuͤckenden Anblicke los, um einem noch
entzuͤckendern zuzueilen.

Kaum waren ſie die langgedehute An-
hoͤhe hinuntergeſtiegen, als ſie ein krumm-

laufen-
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[71/0077] gearbeitetem Acker, bluͤhenden kriechenden und aufgeſtengelten Gewaͤchſen, Gruppen von Citronenbaͤumen mit goldnen blinken- den Fruͤchten, zerſtreuten kleinen Huͤttchen gleichſam beſtreut — kurz, das herrlichſte lachendſte Moſaik der Natur vor ihren Augen. Belphegor war uͤberraſcht, betaͤubt, uͤber- waͤltigt, hingeriſſen, er ſtaunte, er war ſei- ner Sinnen nicht maͤchtig; er warf ſich vor Begeiſterung auf die Erde und kuͤßte den Boden, als den Eingang zu einem Heilig- thume. So bald ſeine Empfindungen we- niger gewaltſam wurden, ſo beſahe er die Gegend um ſich mit unerſaͤttlicher Begierde, ſahe und hatte nie genug geſehn. Sein Fuͤh- rer ermahnte ihn zur Eilfertigkeit, wenn er noch vor Abend bey dem Derwiſche anlan- gen wollte, weil ſeine Wohnung faſt an dem andern Ende des Thales liege und noch viele Stunden erfodre, wenn ſie gleich ihre Schritte verdoppeln wollten. Belphegor riß ſich, wie- wohl mit einigem Widerſtande, von dem entzuͤckenden Anblicke los, um einem noch entzuͤckendern zuzueilen. Kaum waren ſie die langgedehute An- hoͤhe hinuntergeſtiegen, als ſie ein krumm- laufen- E 5

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/77>, abgerufen am 29.11.2024.