eine Welt ist, wo der Schwächre eben so sehr unter schönen Namen betrogen und tyrannisirt wird als in andern Gesellschaften? -- Glaube mir, es ist so! Ich entsagte dem separatistischen Despotismus und durchlief Königreiche, Herzogthümer und Fürstenthü- mer, Aristokratien und Republiken, allent- halben begegnete ich dem Despotismus im Großen oder im Kleinen, unter dieser oder jener Maske, versteckt oder offenbar. In jedem, auch dem kleinsten Staate lauschte dieß vielköpfichte Ungeheuer, und ganz Eu- ropa schien von ihm verschlungen zu werden. Regierungsgehülfen, denen die Gunst des Fürsten mehr galt als die Glückseligkeit des Volks, untergruben listig die Schutzwehren, die die Monarchie vor den Eingriffen des Despotismus sichern sollten, oder warfen sie aus eigner Herrschsucht mit Gewalt nie- der: sie legten der Nation Lasten auf, daß sie sich unter der Bürde krümmte: und be- schwerten sie, um sie glücklich zu machen.
Um es glücklich zu machen! rief Belphe- gor verwundert. --
Ja, Freund! Man ersann eine Philoso- phie, deren oberster Grundsatz im Grunde
war:
eine Welt iſt, wo der Schwaͤchre eben ſo ſehr unter ſchoͤnen Namen betrogen und tyranniſirt wird als in andern Geſellſchaften? — Glaube mir, es iſt ſo! Ich entſagte dem ſeparatiſtiſchen Deſpotiſmus und durchlief Koͤnigreiche, Herzogthuͤmer und Fuͤrſtenthuͤ- mer, Ariſtokratien und Republiken, allent- halben begegnete ich dem Deſpotismus im Großen oder im Kleinen, unter dieſer oder jener Maſke, verſteckt oder offenbar. In jedem, auch dem kleinſten Staate lauſchte dieß vielkoͤpfichte Ungeheuer, und ganz Eu- ropa ſchien von ihm verſchlungen zu werden. Regierungsgehuͤlfen, denen die Gunſt des Fuͤrſten mehr galt als die Gluͤckſeligkeit des Volks, untergruben liſtig die Schutzwehren, die die Monarchie vor den Eingriffen des Deſpotismus ſichern ſollten, oder warfen ſie aus eigner Herrſchſucht mit Gewalt nie- der: ſie legten der Nation Laſten auf, daß ſie ſich unter der Buͤrde kruͤmmte: und be- ſchwerten ſie, um ſie gluͤcklich zu machen.
Um es gluͤcklich zu machen! rief Belphe- gor verwundert. —
Ja, Freund! Man erſann eine Philoſo- phie, deren oberſter Grundſatz im Grunde
war:
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eine Welt iſt, wo der Schwaͤchre eben ſo
ſehr unter ſchoͤnen Namen betrogen und
tyranniſirt wird als in andern Geſellſchaften?
— Glaube mir, es iſt ſo! Ich entſagte dem
ſeparatiſtiſchen Deſpotiſmus und durchlief
Koͤnigreiche, Herzogthuͤmer und Fuͤrſtenthuͤ-
mer, Ariſtokratien und Republiken, allent-
halben begegnete ich dem Deſpotismus im
Großen oder im Kleinen, unter dieſer oder
jener Maſke, verſteckt oder offenbar. In
jedem, auch dem kleinſten Staate lauſchte
dieß vielkoͤpfichte Ungeheuer, und ganz Eu-
ropa ſchien von ihm verſchlungen zu werden.
Regierungsgehuͤlfen, denen die Gunſt des
Fuͤrſten mehr galt als die Gluͤckſeligkeit des
Volks, untergruben liſtig die Schutzwehren,
die die Monarchie vor den Eingriffen des
Deſpotismus ſichern ſollten, oder warfen
ſie aus eigner Herrſchſucht mit Gewalt nie-
der: ſie legten der Nation Laſten auf, daß
ſie ſich unter der Buͤrde kruͤmmte: und be-
ſchwerten ſie, um ſie gluͤcklich zu machen.
Um es gluͤcklich zu machen! rief Belphe-
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/254>, abgerufen am 22.12.2024.
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