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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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heit meistens nur gelegentlich über mich
ausgossen: keins hängt mit dem andern zu
einem gewissen Zwecke zusammen, sondern
ich wurde gequält, weil die Menschen nun
einmal so gemacht sind, daß sie nach ihren
Gesinnungen und Leidenschaften, die auch
nicht ihr Werk sind, nicht anders als mich
quälen mußten. Die Barbaren, die mich
und Akanten nach einer langsamen Marter
fressen, oder die uns ihren Göttern opfern
wollten -- was können diese dazu, daß sie
dieß nicht eben so sehr, wie wir, für die
schrecklichste Grausamkeit halten? Eine fort-
gesetzte Reihe von Begebenheiten, nebst ih-
ren ursprünglichen natürlichen Anlagen,
Trieben und Neigungen, stellten ihnen all-
mählich jenes als zuläßig und dieses als
vortreflich vor, so wie uns eine andre lange
Reihe von Begebenheiten die Handlung,
einen Menschen zu schlachten, als abscheulich
abmalte. Was für ein Plan ist es aber,
Menschen so anzulegen, daß aus ihrem er-
sten Triebe der Selbsterhaltung Leidenschaf-
ten aufwachsen müssen, die solche barbari-
sche Grundsätze erzeugen? Was sind diese in
jenem vorgeblichen Plane? Zweck oder Mit-

tel?

heit meiſtens nur gelegentlich uͤber mich
ausgoſſen: keins haͤngt mit dem andern zu
einem gewiſſen Zwecke zuſammen, ſondern
ich wurde gequaͤlt, weil die Menſchen nun
einmal ſo gemacht ſind, daß ſie nach ihren
Geſinnungen und Leidenſchaften, die auch
nicht ihr Werk ſind, nicht anders als mich
quaͤlen mußten. Die Barbaren, die mich
und Akanten nach einer langſamen Marter
freſſen, oder die uns ihren Goͤttern opfern
wollten — was koͤnnen dieſe dazu, daß ſie
dieß nicht eben ſo ſehr, wie wir, fuͤr die
ſchrecklichſte Grauſamkeit halten? Eine fort-
geſetzte Reihe von Begebenheiten, nebſt ih-
ren urſpruͤnglichen natuͤrlichen Anlagen,
Trieben und Neigungen, ſtellten ihnen all-
maͤhlich jenes als zulaͤßig und dieſes als
vortreflich vor, ſo wie uns eine andre lange
Reihe von Begebenheiten die Handlung,
einen Menſchen zu ſchlachten, als abſcheulich
abmalte. Was fuͤr ein Plan iſt es aber,
Menſchen ſo anzulegen, daß aus ihrem er-
ſten Triebe der Selbſterhaltung Leidenſchaf-
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[226/0232] heit meiſtens nur gelegentlich uͤber mich ausgoſſen: keins haͤngt mit dem andern zu einem gewiſſen Zwecke zuſammen, ſondern ich wurde gequaͤlt, weil die Menſchen nun einmal ſo gemacht ſind, daß ſie nach ihren Geſinnungen und Leidenſchaften, die auch nicht ihr Werk ſind, nicht anders als mich quaͤlen mußten. Die Barbaren, die mich und Akanten nach einer langſamen Marter freſſen, oder die uns ihren Goͤttern opfern wollten — was koͤnnen dieſe dazu, daß ſie dieß nicht eben ſo ſehr, wie wir, fuͤr die ſchrecklichſte Grauſamkeit halten? Eine fort- geſetzte Reihe von Begebenheiten, nebſt ih- ren urſpruͤnglichen natuͤrlichen Anlagen, Trieben und Neigungen, ſtellten ihnen all- maͤhlich jenes als zulaͤßig und dieſes als vortreflich vor, ſo wie uns eine andre lange Reihe von Begebenheiten die Handlung, einen Menſchen zu ſchlachten, als abſcheulich abmalte. Was fuͤr ein Plan iſt es aber, Menſchen ſo anzulegen, daß aus ihrem er- ſten Triebe der Selbſterhaltung Leidenſchaf- ten aufwachſen muͤſſen, die ſolche barbari- ſche Grundſaͤtze erzeugen? Was ſind dieſe in jenem vorgeblichen Plane? Zweck oder Mit- tel?

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/232>, abgerufen am 04.05.2024.