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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Gewisheit findet, so erblickte sie, aller
Unkenntlichkeit ungeachtet, ungemein vie-
le Aehnlichkeit in den Gesichtszügen
des Mannes mit demjenigen, dem sie
ehemals lahme Hüften gemacht hatte.
Sie hielt es wenigstens der Mühe werth,
einem Versuch mit einer Anfrage zu thun;
und da ihr ehmaliger Liebhaber ein Bettler
war, so konnte sie nichts dabey verlieren,
sich ihn unter den Charakter einer Hure dar-
zustellen. Sie sah ihn immer steifer an,
sagte die ersten Sylben seines Namens, bis
sie ihn ganz heraussprach, und der gute
Mann aus angeborner Aufrichtigkeit es ihr
länger nicht verhelen konnte, daß er es war,
den sie nannte. Beide, obgleich keins vor
dem andern viel voraus hatte, schämten sich
mit ihrem Reste von europäischem Gefühle,
sich in so traurigem erniedrigendem Zustande
widerzufinden. Hätte auch gleich kein Ue-
berbleibsel von Liebe mitgewirkt, so wäre
die Gleichheit des Elends und ihrer Abkunft
schon kräftig genug gewesen, sie für einan-
der anziehend zu machen: doch mitten unter
den Empfindungen, die ihre Wiedererken-
nung begleiteten, konnte Akante nicht

verges-
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Gewisheit findet, ſo erblickte ſie, aller
Unkenntlichkeit ungeachtet, ungemein vie-
le Aehnlichkeit in den Geſichtszuͤgen
des Mannes mit demjenigen, dem ſie
ehemals lahme Huͤften gemacht hatte.
Sie hielt es wenigſtens der Muͤhe werth,
einem Verſuch mit einer Anfrage zu thun;
und da ihr ehmaliger Liebhaber ein Bettler
war, ſo konnte ſie nichts dabey verlieren,
ſich ihn unter den Charakter einer Hure dar-
zuſtellen. Sie ſah ihn immer ſteifer an,
ſagte die erſten Sylben ſeines Namens, bis
ſie ihn ganz herausſprach, und der gute
Mann aus angeborner Aufrichtigkeit es ihr
laͤnger nicht verhelen konnte, daß er es war,
den ſie nannte. Beide, obgleich keins vor
dem andern viel voraus hatte, ſchaͤmten ſich
mit ihrem Reſte von europaͤiſchem Gefuͤhle,
ſich in ſo traurigem erniedrigendem Zuſtande
widerzufinden. Haͤtte auch gleich kein Ue-
berbleibſel von Liebe mitgewirkt, ſo waͤre
die Gleichheit des Elends und ihrer Abkunft
ſchon kraͤftig genug geweſen, ſie fuͤr einan-
der anziehend zu machen: doch mitten unter
den Empfindungen, die ihre Wiedererken-
nung begleiteten, konnte Akante nicht

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K 4
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[149/0155] Gewisheit findet, ſo erblickte ſie, aller Unkenntlichkeit ungeachtet, ungemein vie- le Aehnlichkeit in den Geſichtszuͤgen des Mannes mit demjenigen, dem ſie ehemals lahme Huͤften gemacht hatte. Sie hielt es wenigſtens der Muͤhe werth, einem Verſuch mit einer Anfrage zu thun; und da ihr ehmaliger Liebhaber ein Bettler war, ſo konnte ſie nichts dabey verlieren, ſich ihn unter den Charakter einer Hure dar- zuſtellen. Sie ſah ihn immer ſteifer an, ſagte die erſten Sylben ſeines Namens, bis ſie ihn ganz herausſprach, und der gute Mann aus angeborner Aufrichtigkeit es ihr laͤnger nicht verhelen konnte, daß er es war, den ſie nannte. Beide, obgleich keins vor dem andern viel voraus hatte, ſchaͤmten ſich mit ihrem Reſte von europaͤiſchem Gefuͤhle, ſich in ſo traurigem erniedrigendem Zuſtande widerzufinden. Haͤtte auch gleich kein Ue- berbleibſel von Liebe mitgewirkt, ſo waͤre die Gleichheit des Elends und ihrer Abkunft ſchon kraͤftig genug geweſen, ſie fuͤr einan- der anziehend zu machen: doch mitten unter den Empfindungen, die ihre Wiedererken- nung begleiteten, konnte Akante nicht vergeſ- K 4

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/155>, abgerufen am 04.05.2024.