Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



dies eine so bequeme Gelegenheit war, sich
in die Gunst dieses gefürchteten Gesellschaf-
ters zu setzen; so nuzte sie Fromal, faßte sei-
nen Muth zusammen und näherte sich ihm,
um den Schaden zu besichtigen. Der Löwe
brüllte ihm einen freudigen Dank entgegen,
daß der arme Medardus, dem diese Dankbar-
keit wegen der Nähe in ihrer ganzen Stärke
in die Ohren fuhr, vor Erschrecken vorwärts
niederstürzte und eine Zeitlang glaubte, daß
er wahrhaftig in dem Magen des Löwen
schon verdaut würde: das Thier warf sich
auf die rechte Seite und reichte Fromaln die
kranke Klaue dar. Die Kur war höchstge-
fährlich: denn er hatte sich einen scharfen
Feuerstein so tief in das Fleisch eingetreten,
daß kaum genug hervorragte, um ihn anzu-
fassen; überdieß machte die Furcht die Hand
des Wundarztes zitternd und jeden Hand-
griff unsicher: doch er sezte muthig an und
zog ihn glücklich heraus, nahm etliche
Palmblätter, band sie ihm mit einem Reste
von europäischem Bindfaden, den er eben in
der Tasche fand, darauf, und zog sich demü-
thig in eine bescheidne Ferne zurück. Der
Patient riß die Verbindung ab, und leckte



dies eine ſo bequeme Gelegenheit war, ſich
in die Gunſt dieſes gefuͤrchteten Geſellſchaf-
ters zu ſetzen; ſo nuzte ſie Fromal, faßte ſei-
nen Muth zuſammen und naͤherte ſich ihm,
um den Schaden zu beſichtigen. Der Loͤwe
bruͤllte ihm einen freudigen Dank entgegen,
daß der arme Medardus, dem dieſe Dankbar-
keit wegen der Naͤhe in ihrer ganzen Staͤrke
in die Ohren fuhr, vor Erſchrecken vorwaͤrts
niederſtuͤrzte und eine Zeitlang glaubte, daß
er wahrhaftig in dem Magen des Loͤwen
ſchon verdaut wuͤrde: das Thier warf ſich
auf die rechte Seite und reichte Fromaln die
kranke Klaue dar. Die Kur war hoͤchſtge-
faͤhrlich: denn er hatte ſich einen ſcharfen
Feuerſtein ſo tief in das Fleiſch eingetreten,
daß kaum genug hervorragte, um ihn anzu-
faſſen; uͤberdieß machte die Furcht die Hand
des Wundarztes zitternd und jeden Hand-
griff unſicher: doch er ſezte muthig an und
zog ihn gluͤcklich heraus, nahm etliche
Palmblaͤtter, band ſie ihm mit einem Reſte
von europaͤiſchem Bindfaden, den er eben in
der Taſche fand, darauf, und zog ſich demuͤ-
thig in eine beſcheidne Ferne zuruͤck. Der
Patient riß die Verbindung ab, und leckte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0243" n="223"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
dies eine &#x017F;o bequeme Gelegenheit war, &#x017F;ich<lb/>
in die Gun&#x017F;t die&#x017F;es gefu&#x0364;rchteten Ge&#x017F;ell&#x017F;chaf-<lb/>
ters zu &#x017F;etzen; &#x017F;o nuzte &#x017F;ie Fromal, faßte &#x017F;ei-<lb/>
nen Muth zu&#x017F;ammen und na&#x0364;herte &#x017F;ich ihm,<lb/>
um den Schaden zu be&#x017F;ichtigen. Der Lo&#x0364;we<lb/>
bru&#x0364;llte ihm einen freudigen Dank entgegen,<lb/>
daß der arme Medardus, dem die&#x017F;e Dankbar-<lb/>
keit wegen der Na&#x0364;he in ihrer ganzen Sta&#x0364;rke<lb/>
in die Ohren fuhr, vor Er&#x017F;chrecken vorwa&#x0364;rts<lb/>
nieder&#x017F;tu&#x0364;rzte und eine Zeitlang glaubte, daß<lb/>
er wahrhaftig in dem Magen des Lo&#x0364;wen<lb/>
&#x017F;chon verdaut wu&#x0364;rde: das Thier warf &#x017F;ich<lb/>
auf die rechte Seite und reichte Fromaln die<lb/>
kranke Klaue dar. Die Kur war ho&#x0364;ch&#x017F;tge-<lb/>
fa&#x0364;hrlich: denn er hatte &#x017F;ich einen &#x017F;charfen<lb/>
Feuer&#x017F;tein &#x017F;o tief in das Flei&#x017F;ch eingetreten,<lb/>
daß kaum genug hervorragte, um ihn anzu-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en; u&#x0364;berdieß machte die Furcht die Hand<lb/>
des Wundarztes zitternd und jeden Hand-<lb/>
griff un&#x017F;icher: doch er &#x017F;ezte muthig an und<lb/>
zog ihn glu&#x0364;cklich heraus, nahm etliche<lb/>
Palmbla&#x0364;tter, band &#x017F;ie ihm mit einem Re&#x017F;te<lb/>
von europa&#x0364;i&#x017F;chem Bindfaden, den er eben in<lb/>
der Ta&#x017F;che fand, darauf, und zog &#x017F;ich demu&#x0364;-<lb/>
thig in eine be&#x017F;cheidne Ferne zuru&#x0364;ck. Der<lb/>
Patient riß die Verbindung ab, und leckte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0243] dies eine ſo bequeme Gelegenheit war, ſich in die Gunſt dieſes gefuͤrchteten Geſellſchaf- ters zu ſetzen; ſo nuzte ſie Fromal, faßte ſei- nen Muth zuſammen und naͤherte ſich ihm, um den Schaden zu beſichtigen. Der Loͤwe bruͤllte ihm einen freudigen Dank entgegen, daß der arme Medardus, dem dieſe Dankbar- keit wegen der Naͤhe in ihrer ganzen Staͤrke in die Ohren fuhr, vor Erſchrecken vorwaͤrts niederſtuͤrzte und eine Zeitlang glaubte, daß er wahrhaftig in dem Magen des Loͤwen ſchon verdaut wuͤrde: das Thier warf ſich auf die rechte Seite und reichte Fromaln die kranke Klaue dar. Die Kur war hoͤchſtge- faͤhrlich: denn er hatte ſich einen ſcharfen Feuerſtein ſo tief in das Fleiſch eingetreten, daß kaum genug hervorragte, um ihn anzu- faſſen; uͤberdieß machte die Furcht die Hand des Wundarztes zitternd und jeden Hand- griff unſicher: doch er ſezte muthig an und zog ihn gluͤcklich heraus, nahm etliche Palmblaͤtter, band ſie ihm mit einem Reſte von europaͤiſchem Bindfaden, den er eben in der Taſche fand, darauf, und zog ſich demuͤ- thig in eine beſcheidne Ferne zuruͤck. Der Patient riß die Verbindung ab, und leckte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/243
Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/243>, abgerufen am 03.05.2024.