Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776.nen Hauptzüge aller menschlichen Charaktere; so viel ich ihrer aus der Geschichte, aus der Erzählung, aus dem Umgange kenne -- alle, alle hatten stärkre oder schwächre Schattirun- gen davon; oft waren sie freilich mit den übrigen Farben des Charakters so verschmelzt, daß ein feines Auge dazu gehörte, sie zu er- kennen: aber vorhanden waren sie. Wenn die menschliche Thätigkeit von zwo solchen Federn in Bewegung gesezt wird, so ist allge- meiner Krieg in jedem Verstande eine unver- meidliche Folge: jeder will über den andern, und jeder beneidet den andern, wenn er über ihn ist, es sey, worinne es wolle: dies ist ein unläugbares Faktum seit der ersten Existenz der Menschen: allzeit bricht dies freilich nicht in hellen flammenden Krieg aus, weil tau- send andre Rücksichten, ganz unzähliche Nei- gungen und Rücksichten jenem Bestreben, je- nem Neide das Gleichgewicht halten und ihre fürchterlichen Ueberströmungen hindern. Oft reißt aber der Strom nicht den Damm durch, sondern gräbt sich einen Weg an einem weni- ger festen Orte unter dem Boden, ergießt sich durch, und Niemand weis es, als bis er die Ueberschwemmung fühlt. Von diesen beiden Trie-
nen Hauptzuͤge aller menſchlichen Charaktere; ſo viel ich ihrer aus der Geſchichte, aus der Erzaͤhlung, aus dem Umgange kenne — alle, alle hatten ſtaͤrkre oder ſchwaͤchre Schattirun- gen davon; oft waren ſie freilich mit den uͤbrigen Farben des Charakters ſo verſchmelzt, daß ein feines Auge dazu gehoͤrte, ſie zu er- kennen: aber vorhanden waren ſie. Wenn die menſchliche Thaͤtigkeit von zwo ſolchen Federn in Bewegung geſezt wird, ſo iſt allge- meiner Krieg in jedem Verſtande eine unver- meidliche Folge: jeder will uͤber den andern, und jeder beneidet den andern, wenn er uͤber ihn iſt, es ſey, worinne es wolle: dies iſt ein unlaͤugbares Faktum ſeit der erſten Exiſtenz der Menſchen: allzeit bricht dies freilich nicht in hellen flammenden Krieg aus, weil tau- ſend andre Ruͤckſichten, ganz unzaͤhliche Nei- gungen und Ruͤckſichten jenem Beſtreben, je- nem Neide das Gleichgewicht halten und ihre fuͤrchterlichen Ueberſtroͤmungen hindern. Oft reißt aber der Strom nicht den Damm durch, ſondern graͤbt ſich einen Weg an einem weni- ger feſten Orte unter dem Boden, ergießt ſich durch, und Niemand weis es, als bis er die Ueberſchwemmung fuͤhlt. Von dieſen beiden Trie-
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nen Hauptzuͤge aller menſchlichen Charaktere;
ſo viel ich ihrer aus der Geſchichte, aus der
Erzaͤhlung, aus dem Umgange kenne — alle,
alle hatten ſtaͤrkre oder ſchwaͤchre Schattirun-
gen davon; oft waren ſie freilich mit den
uͤbrigen Farben des Charakters ſo verſchmelzt,
daß ein feines Auge dazu gehoͤrte, ſie zu er-
kennen: aber vorhanden waren ſie. Wenn
die menſchliche Thaͤtigkeit von zwo ſolchen
Federn in Bewegung geſezt wird, ſo iſt allge-
meiner Krieg in jedem Verſtande eine unver-
meidliche Folge: jeder will uͤber den andern,
und jeder beneidet den andern, wenn er uͤber
ihn iſt, es ſey, worinne es wolle: dies iſt ein
unlaͤugbares Faktum ſeit der erſten Exiſtenz
der Menſchen: allzeit bricht dies freilich nicht
in hellen flammenden Krieg aus, weil tau-
ſend andre Ruͤckſichten, ganz unzaͤhliche Nei-
gungen und Ruͤckſichten jenem Beſtreben, je-
nem Neide das Gleichgewicht halten und ihre
fuͤrchterlichen Ueberſtroͤmungen hindern. Oft
reißt aber der Strom nicht den Damm durch,
ſondern graͤbt ſich einen Weg an einem weni-
ger feſten Orte unter dem Boden, ergießt ſich
durch, und Niemand weis es, als bis er die
Ueberſchwemmung fuͤhlt. Von dieſen beiden
Trie-
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