Nikanor: der Mann war ein geborner Er- oberer; er strebte nach der Universalmonar- chie in dem Reiche des Beifalls so stark als Alexander in der politischen. Alle Mädchen, mit welchem ein Dichter nur zu thun hatte, wäre er gleich von der untersten Klasse gewe- sen, mußte er zu seinen Freundinnen machen; und jeden Poeten, jeden, von dem er nur er- fuhr, daß er in seinem Leben zwo Zeilen zu- sammen gereimt hatte, betrachtete und be- handelte er als seinen Nebenbuhler. Jhre Mädchen, Freundinnen und Gönnerinnen waren seine Spione: sie mußten ihm von jedem verfertigten Verse ihrer Liebhaber Nachricht geben, das neue Produkt in Ab- schrift ausliefern und ihre skandalose Ge- schichte zu wissen thun. Aus diesen drey Ma- terialien machte er sein Pulver, und sein Wiz diente ihm zur Kanone. Wenn er die Ueber- legenheit eines Mannes fühlte, so ließ er ihm sein Manuskript wegstehleu und verbrennen, oder Stellen heimlich einschieben, die es zum Beifalle schlechterdings unfähig machten: die Buchdrucker führte er deswegen insgesamt an seinem Seile. So bald er die Gering- fügigkeit, das Mittelmäßige eines neuen
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Nikanor: der Mann war ein geborner Er- oberer; er ſtrebte nach der Univerſalmonar- chie in dem Reiche des Beifalls ſo ſtark als Alexander in der politiſchen. Alle Maͤdchen, mit welchem ein Dichter nur zu thun hatte, waͤre er gleich von der unterſten Klaſſe gewe- ſen, mußte er zu ſeinen Freundinnen machen; und jeden Poeten, jeden, von dem er nur er- fuhr, daß er in ſeinem Leben zwo Zeilen zu- ſammen gereimt hatte, betrachtete und be- handelte er als ſeinen Nebenbuhler. Jhre Maͤdchen, Freundinnen und Goͤnnerinnen waren ſeine Spione: ſie mußten ihm von jedem verfertigten Verſe ihrer Liebhaber Nachricht geben, das neue Produkt in Ab- ſchrift ausliefern und ihre ſkandaloſe Ge- ſchichte zu wiſſen thun. Aus dieſen drey Ma- terialien machte er ſein Pulver, und ſein Wiz diente ihm zur Kanone. Wenn er die Ueber- legenheit eines Mannes fuͤhlte, ſo ließ er ihm ſein Manuſkript wegſtehleu und verbrennen, oder Stellen heimlich einſchieben, die es zum Beifalle ſchlechterdings unfaͤhig machten: die Buchdrucker fuͤhrte er deswegen insgeſamt an ſeinem Seile. So bald er die Gering- fuͤgigkeit, das Mittelmaͤßige eines neuen
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Nikanor: der Mann war ein geborner Er-
oberer; er ſtrebte nach der Univerſalmonar-
chie in dem Reiche des Beifalls ſo ſtark als
Alexander in der politiſchen. Alle Maͤdchen,
mit welchem ein Dichter nur zu thun hatte,
waͤre er gleich von der unterſten Klaſſe gewe-
ſen, mußte er zu ſeinen Freundinnen machen;
und jeden Poeten, jeden, von dem er nur er-
fuhr, daß er in ſeinem Leben zwo Zeilen zu-
ſammen gereimt hatte, betrachtete und be-
handelte er als ſeinen Nebenbuhler. Jhre
Maͤdchen, Freundinnen und Goͤnnerinnen
waren ſeine Spione: ſie mußten ihm von
jedem verfertigten Verſe ihrer Liebhaber
Nachricht geben, das neue Produkt in Ab-
ſchrift ausliefern und ihre ſkandaloſe Ge-
ſchichte zu wiſſen thun. Aus dieſen drey Ma-
terialien machte er ſein Pulver, und ſein Wiz
diente ihm zur Kanone. Wenn er die Ueber-
legenheit eines Mannes fuͤhlte, ſo ließ er ihm
ſein Manuſkript wegſtehleu und verbrennen,
oder Stellen heimlich einſchieben, die es zum
Beifalle ſchlechterdings unfaͤhig machten: die
Buchdrucker fuͤhrte er deswegen insgeſamt
an ſeinem Seile. So bald er die Gering-
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/183>, abgerufen am 26.11.2024.
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