Meeres verlosch allmälig. Seine aufgeregte Oberfläche glättete sich, bald lag wieder tiefe Nacht auf ihr. Der Riese schlummerte nach dem schweren Kampfe, und unser Schiff schaukelte sich leise auf den Wellen, die sanft und regelmäßig sich hoben und senkten.
Die Linie passirten wir eines Sonntags, d. h. wir glaubten es; denn seit acht Tagen hatten wir weder Sonne noch Mond oder Sterne gesehen und keine Beobachtung gemacht. Unsere Koppelscursrechnung nach dem gesteuerten Curse und der durch- laufenen Distanz war auch sehr unsicher, da sie sich bei dem so häufigen und plötzlichen Wechsel der Richtung und Stärke des Windes schwer führen ließ. Natürlich entging ich nebst den Andern, die den Aequator noch nicht passirt hatten, nicht der üblichen Taufe, jedoch wurde sie, wie auf den meisten Kauffartei- schiffen, in ziemlich roher Weise ausgeführt, die einer näheren Beschreibung nicht werth ist. Man wurde mit einer Mischung von Fett und Theer im Gesicht eingeseift und mit einem Rasir- messer aus Bandeisen rasirt. Dabei verband man dem Be- treffenden die Augen und setzte ihn auf ein Brett, das über einer mit Wasser gefüllten Tonne lag. Nach Beendigung des Rassirens zog man das Brett fort und der Täufling fiel in's Wasser. Das war die ganze Procedur und, wie man sieht, wenig Humor dabei. Eingeweicht wurden wir ohnehin genug bei dem permanenten Regen und das Untertauchen hatte deshalb nicht einmal den Reiz der Neuheit. Das Interessanteste bei der ganzen sogenannten Taufe waren wohl einige Flaschen Rum, die der Kapitän zur Feier des Tages spendete und aus denen ein steifer Grog gebraut wurde, dem dann natürlich Gesang folgte.
Einige Tage darauf sah ich auch zum ersten Male Wasser- hosen und zwar zu gleicher Zeit zwei, während eine dritte sich etwas später bildete. Sie waren einige Meilen entfernt und nahmen ihren Weg seitwärts von uns, so daß wir sie ohne weitere Sorge beobachten konnten. Aus einer dunkelgefärbten und scheinbar sehr tiefziehenden Regenwolke schoß zuerst eine
Eine erſte Seereiſe
Meeres verloſch allmälig. Seine aufgeregte Oberfläche glättete ſich, bald lag wieder tiefe Nacht auf ihr. Der Rieſe ſchlummerte nach dem ſchweren Kampfe, und unſer Schiff ſchaukelte ſich leiſe auf den Wellen, die ſanft und regelmäßig ſich hoben und ſenkten.
Die Linie paſſirten wir eines Sonntags, d. h. wir glaubten es; denn ſeit acht Tagen hatten wir weder Sonne noch Mond oder Sterne geſehen und keine Beobachtung gemacht. Unſere Koppelscursrechnung nach dem geſteuerten Curſe und der durch- laufenen Diſtanz war auch ſehr unſicher, da ſie ſich bei dem ſo häufigen und plötzlichen Wechſel der Richtung und Stärke des Windes ſchwer führen ließ. Natürlich entging ich nebſt den Andern, die den Aequator noch nicht paſſirt hatten, nicht der üblichen Taufe, jedoch wurde ſie, wie auf den meiſten Kauffartei- ſchiffen, in ziemlich roher Weiſe ausgeführt, die einer näheren Beſchreibung nicht werth iſt. Man wurde mit einer Miſchung von Fett und Theer im Geſicht eingeſeift und mit einem Raſir- meſſer aus Bandeiſen raſirt. Dabei verband man dem Be- treffenden die Augen und ſetzte ihn auf ein Brett, das über einer mit Waſſer gefüllten Tonne lag. Nach Beendigung des Raſſirens zog man das Brett fort und der Täufling fiel in’s Waſſer. Das war die ganze Procedur und, wie man ſieht, wenig Humor dabei. Eingeweicht wurden wir ohnehin genug bei dem permanenten Regen und das Untertauchen hatte deshalb nicht einmal den Reiz der Neuheit. Das Intereſſanteſte bei der ganzen ſogenannten Taufe waren wohl einige Flaſchen Rum, die der Kapitän zur Feier des Tages ſpendete und aus denen ein ſteifer Grog gebraut wurde, dem dann natürlich Geſang folgte.
Einige Tage darauf ſah ich auch zum erſten Male Waſſer- hoſen und zwar zu gleicher Zeit zwei, während eine dritte ſich etwas ſpäter bildete. Sie waren einige Meilen entfernt und nahmen ihren Weg ſeitwärts von uns, ſo daß wir ſie ohne weitere Sorge beobachten konnten. Aus einer dunkelgefärbten und ſcheinbar ſehr tiefziehenden Regenwolke ſchoß zuerſt eine
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Eine erſte Seereiſe
Meeres verloſch allmälig. Seine aufgeregte Oberfläche glättete
ſich, bald lag wieder tiefe Nacht auf ihr. Der Rieſe ſchlummerte
nach dem ſchweren Kampfe, und unſer Schiff ſchaukelte ſich leiſe
auf den Wellen, die ſanft und regelmäßig ſich hoben und ſenkten.
Die Linie paſſirten wir eines Sonntags, d. h. wir glaubten
es; denn ſeit acht Tagen hatten wir weder Sonne noch Mond
oder Sterne geſehen und keine Beobachtung gemacht. Unſere
Koppelscursrechnung nach dem geſteuerten Curſe und der durch-
laufenen Diſtanz war auch ſehr unſicher, da ſie ſich bei dem
ſo häufigen und plötzlichen Wechſel der Richtung und Stärke
des Windes ſchwer führen ließ. Natürlich entging ich nebſt den
Andern, die den Aequator noch nicht paſſirt hatten, nicht der
üblichen Taufe, jedoch wurde ſie, wie auf den meiſten Kauffartei-
ſchiffen, in ziemlich roher Weiſe ausgeführt, die einer näheren
Beſchreibung nicht werth iſt. Man wurde mit einer Miſchung
von Fett und Theer im Geſicht eingeſeift und mit einem Raſir-
meſſer aus Bandeiſen raſirt. Dabei verband man dem Be-
treffenden die Augen und ſetzte ihn auf ein Brett, das über
einer mit Waſſer gefüllten Tonne lag. Nach Beendigung des
Raſſirens zog man das Brett fort und der Täufling fiel in’s
Waſſer. Das war die ganze Procedur und, wie man ſieht,
wenig Humor dabei. Eingeweicht wurden wir ohnehin genug
bei dem permanenten Regen und das Untertauchen hatte deshalb
nicht einmal den Reiz der Neuheit. Das Intereſſanteſte bei
der ganzen ſogenannten Taufe waren wohl einige Flaſchen Rum,
die der Kapitän zur Feier des Tages ſpendete und aus denen
ein ſteifer Grog gebraut wurde, dem dann natürlich Geſang folgte.
Einige Tage darauf ſah ich auch zum erſten Male Waſſer-
hoſen und zwar zu gleicher Zeit zwei, während eine dritte ſich
etwas ſpäter bildete. Sie waren einige Meilen entfernt und
nahmen ihren Weg ſeitwärts von uns, ſo daß wir ſie ohne
weitere Sorge beobachten konnten. Aus einer dunkelgefärbten
und ſcheinbar ſehr tiefziehenden Regenwolke ſchoß zuerſt eine
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/99>, abgerufen am 24.11.2024.
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