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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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niedrigen Stufe des Lebens -- das was ich mir geträumt und
was der Kadett mir wieder so lebhaft in das Gedächtniß rief,
war für mich unerreichbar. Deutschland besaß keine Kriegsflotte,
auf der ich meine Träume verwirklichen konnte, und mir winkte
nur ein untergeordnetes Ziel. In diese trüben Gedanken ver-
sunken stand ich an der Verschanzung, als ich mich an der
Schulter berührt fühlte. Ich drehte mich um und blickte in
das Gesicht des Bootsmanns, dessen treuherzige Augen mit fast
väterlichem Wohlwollen auf mir ruhten. Er mochte wohl ahnen,
was in mir vorging und wollte mich auf seine Art trösten.

"Nicht mit losen Segeln liegen, Schweizer, damit kommt
man nicht vorwärts und treibt nur nach Lee. Immer hübsch
voll halten, mein Junge, dann kreuzt es sich gut auf gegen
conträren Wind."

Ich verstand, was er meinte, und indem ich ihm dankbar
zunickte, wischte ich mir die Thräne aus dem Auge, die meinen
Blick verschleiert hatte. Ich gedachte meines Vorsatzes auf der
ersten Nachtwache im Hamburger Hafen und wollte muthig
gegen eine traurige Stimmung ankämpfen. "Es ist nichts
werth, immer so an Bord zu hocken," fuhr der Bootsmann
fort, "Du kannst heute Abend mit mir an Land gehen; ich
habe den Alten schon um Erlaubniß gefragt und er hat nichts
dagegen. Da kommst Du in anständige Gesellschaft und auf
andere Gedanken. Es sind zwar meistens Holländer, aber ich
denke, Du wirst sie schon verstehen."

Bald nachher rief mich der Kapitän in die Cajüte und
fragte mich, ob ich etwas Geld haben wollte, ich hätte mir schon
eine Monatsgage verdient. Er war nicht mehr so barsch und
unfreundlich gegen mich, wie früher, sondern sprach wohlwollend
zu mir. Die schwere Zeit, welche wir kürzlich mit einander
verlebt, hatte ihn uns Allen wohl etwas näher gebracht. Gemein-
sam bestandene Gefahren knüpfen ja gewöhnlich zwischen Menschen
ein engeres Band und außerdem hatte er auch wohl dabei die Ueber-

Werner
niedrigen Stufe des Lebens — das was ich mir geträumt und
was der Kadett mir wieder ſo lebhaft in das Gedächtniß rief,
war für mich unerreichbar. Deutſchland beſaß keine Kriegsflotte,
auf der ich meine Träume verwirklichen konnte, und mir winkte
nur ein untergeordnetes Ziel. In dieſe trüben Gedanken ver-
ſunken ſtand ich an der Verſchanzung, als ich mich an der
Schulter berührt fühlte. Ich drehte mich um und blickte in
das Geſicht des Bootsmanns, deſſen treuherzige Augen mit faſt
väterlichem Wohlwollen auf mir ruhten. Er mochte wohl ahnen,
was in mir vorging und wollte mich auf ſeine Art tröſten.

„Nicht mit loſen Segeln liegen, Schweizer, damit kommt
man nicht vorwärts und treibt nur nach Lee. Immer hübſch
voll halten, mein Junge, dann kreuzt es ſich gut auf gegen
conträren Wind.“

Ich verſtand, was er meinte, und indem ich ihm dankbar
zunickte, wiſchte ich mir die Thräne aus dem Auge, die meinen
Blick verſchleiert hatte. Ich gedachte meines Vorſatzes auf der
erſten Nachtwache im Hamburger Hafen und wollte muthig
gegen eine traurige Stimmung ankämpfen. „Es iſt nichts
werth, immer ſo an Bord zu hocken,“ fuhr der Bootsmann
fort, „Du kannſt heute Abend mit mir an Land gehen; ich
habe den Alten ſchon um Erlaubniß gefragt und er hat nichts
dagegen. Da kommſt Du in anſtändige Geſellſchaft und auf
andere Gedanken. Es ſind zwar meiſtens Holländer, aber ich
denke, Du wirſt ſie ſchon verſtehen.“

Bald nachher rief mich der Kapitän in die Cajüte und
fragte mich, ob ich etwas Geld haben wollte, ich hätte mir ſchon
eine Monatsgage verdient. Er war nicht mehr ſo barſch und
unfreundlich gegen mich, wie früher, ſondern ſprach wohlwollend
zu mir. Die ſchwere Zeit, welche wir kürzlich mit einander
verlebt, hatte ihn uns Allen wohl etwas näher gebracht. Gemein-
ſam beſtandene Gefahren knüpfen ja gewöhnlich zwiſchen Menſchen
ein engeres Band und außerdem hatte er auch wohl dabei die Ueber-

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[40/0052] Werner niedrigen Stufe des Lebens — das was ich mir geträumt und was der Kadett mir wieder ſo lebhaft in das Gedächtniß rief, war für mich unerreichbar. Deutſchland beſaß keine Kriegsflotte, auf der ich meine Träume verwirklichen konnte, und mir winkte nur ein untergeordnetes Ziel. In dieſe trüben Gedanken ver- ſunken ſtand ich an der Verſchanzung, als ich mich an der Schulter berührt fühlte. Ich drehte mich um und blickte in das Geſicht des Bootsmanns, deſſen treuherzige Augen mit faſt väterlichem Wohlwollen auf mir ruhten. Er mochte wohl ahnen, was in mir vorging und wollte mich auf ſeine Art tröſten. „Nicht mit loſen Segeln liegen, Schweizer, damit kommt man nicht vorwärts und treibt nur nach Lee. Immer hübſch voll halten, mein Junge, dann kreuzt es ſich gut auf gegen conträren Wind.“ Ich verſtand, was er meinte, und indem ich ihm dankbar zunickte, wiſchte ich mir die Thräne aus dem Auge, die meinen Blick verſchleiert hatte. Ich gedachte meines Vorſatzes auf der erſten Nachtwache im Hamburger Hafen und wollte muthig gegen eine traurige Stimmung ankämpfen. „Es iſt nichts werth, immer ſo an Bord zu hocken,“ fuhr der Bootsmann fort, „Du kannſt heute Abend mit mir an Land gehen; ich habe den Alten ſchon um Erlaubniß gefragt und er hat nichts dagegen. Da kommſt Du in anſtändige Geſellſchaft und auf andere Gedanken. Es ſind zwar meiſtens Holländer, aber ich denke, Du wirſt ſie ſchon verſtehen.“ Bald nachher rief mich der Kapitän in die Cajüte und fragte mich, ob ich etwas Geld haben wollte, ich hätte mir ſchon eine Monatsgage verdient. Er war nicht mehr ſo barſch und unfreundlich gegen mich, wie früher, ſondern ſprach wohlwollend zu mir. Die ſchwere Zeit, welche wir kürzlich mit einander verlebt, hatte ihn uns Allen wohl etwas näher gebracht. Gemein- ſam beſtandene Gefahren knüpfen ja gewöhnlich zwiſchen Menſchen ein engeres Band und außerdem hatte er auch wohl dabei die Ueber-

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/52>, abgerufen am 23.11.2024.