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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner
war die Wache alarmirt. Dann hatte er sich ein Tau um den
Leib befestigt, war nach dem Stampfstock hinausgeklettert, hatte
mich in seine Arme genommen, die Beschlagzeising abgeschnitten
und mich an Bord getragen. Zweimal war er mit mir völlig
in der See begraben worden, hatte sich und mich aber mit fast
übermenschlicher Kraft festgehalten und mich glücklich gerettet.

"Und auf welche Weise ist Heinrich geborgen?" fragte ich
den Leichtmatrosen.

"Heinrich?" erwiederte dieser erstaunt "weißt Du denn
nicht, daß er über Bord gegangen ist?"

Ich zuckte erschreckt zusammen. "Aber doch gerettet" rief
ich, "der Bootsmann sagte mir doch heute Nacht, er schliefe."

"Ja, in Gottes Keller, da unten auf dem weißen Sande
schläft er, bis der liebe Gott einmal "alle Mann" ruft. Nein,
zu retten war er nicht. Als wir das "Mann über Bord"
hörten, da ließ der Steuermann sogleich an den Wind luven
und wir braßten im Großtop back*, um beizudrehen. Die
Rettungsboje wurde über Bord geworfen und außer dem Unter-
steuermann traten wir gleich mit vier Freiwilligen vor, um
trotz des schlechten Wetters und der finstern Nacht in das Lee-
boot zu gehen. Aber als wir letzteres halb zu Wasser gelassen
hatten, da holte das Schiff so heftig nach Lee über, daß die
See drei Planken im Boot einschlug und da war natürlich an
Retten nicht mehr zu denken.

"Es hätte uns doch nichts geholfen," fuhr der Leicht-
matrose traurig fort. "Als das Boot wieder geheißt war und
wir Dich in Deine Coje getragen hatten, sollte ich ein im
Wasser schleppendes Tau einholen. Es hackte etwas daran und
ich sah über Bord was es sei[.] Da löste sich eine größere
Masse von der Schiffsseite und trieb langsam sinkend nach

* Die Segel so stellen, daß der Wind von vorn darauf fällt, so daß
das Schiff durch den Gegendruck zum Stillstande gebracht wird.

Werner
war die Wache alarmirt. Dann hatte er ſich ein Tau um den
Leib befeſtigt, war nach dem Stampfſtock hinausgeklettert, hatte
mich in ſeine Arme genommen, die Beſchlagzeiſing abgeſchnitten
und mich an Bord getragen. Zweimal war er mit mir völlig
in der See begraben worden, hatte ſich und mich aber mit faſt
übermenſchlicher Kraft feſtgehalten und mich glücklich gerettet.

„Und auf welche Weiſe iſt Heinrich geborgen?“ fragte ich
den Leichtmatroſen.

„Heinrich?“ erwiederte dieſer erſtaunt „weißt Du denn
nicht, daß er über Bord gegangen iſt?“

Ich zuckte erſchreckt zuſammen. „Aber doch gerettet“ rief
ich, „der Bootsmann ſagte mir doch heute Nacht, er ſchliefe.“

„Ja, in Gottes Keller, da unten auf dem weißen Sande
ſchläft er, bis der liebe Gott einmal „alle Mann“ ruft. Nein,
zu retten war er nicht. Als wir das „Mann über Bord“
hörten, da ließ der Steuermann ſogleich an den Wind luven
und wir braßten im Großtop back*, um beizudrehen. Die
Rettungsboje wurde über Bord geworfen und außer dem Unter-
ſteuermann traten wir gleich mit vier Freiwilligen vor, um
trotz des ſchlechten Wetters und der finſtern Nacht in das Lee-
boot zu gehen. Aber als wir letzteres halb zu Waſſer gelaſſen
hatten, da holte das Schiff ſo heftig nach Lee über, daß die
See drei Planken im Boot einſchlug und da war natürlich an
Retten nicht mehr zu denken.

„Es hätte uns doch nichts geholfen,“ fuhr der Leicht-
matroſe traurig fort. „Als das Boot wieder geheißt war und
wir Dich in Deine Coje getragen hatten, ſollte ich ein im
Waſſer ſchleppendes Tau einholen. Es hackte etwas daran und
ich ſah über Bord was es ſei[.] Da löſte ſich eine größere
Maſſe von der Schiffsſeite und trieb langſam ſinkend nach

* Die Segel ſo ſtellen, daß der Wind von vorn darauf fällt, ſo daß
das Schiff durch den Gegendruck zum Stillſtande gebracht wird.
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[32/0044] Werner war die Wache alarmirt. Dann hatte er ſich ein Tau um den Leib befeſtigt, war nach dem Stampfſtock hinausgeklettert, hatte mich in ſeine Arme genommen, die Beſchlagzeiſing abgeſchnitten und mich an Bord getragen. Zweimal war er mit mir völlig in der See begraben worden, hatte ſich und mich aber mit faſt übermenſchlicher Kraft feſtgehalten und mich glücklich gerettet. „Und auf welche Weiſe iſt Heinrich geborgen?“ fragte ich den Leichtmatroſen. „Heinrich?“ erwiederte dieſer erſtaunt „weißt Du denn nicht, daß er über Bord gegangen iſt?“ Ich zuckte erſchreckt zuſammen. „Aber doch gerettet“ rief ich, „der Bootsmann ſagte mir doch heute Nacht, er ſchliefe.“ „Ja, in Gottes Keller, da unten auf dem weißen Sande ſchläft er, bis der liebe Gott einmal „alle Mann“ ruft. Nein, zu retten war er nicht. Als wir das „Mann über Bord“ hörten, da ließ der Steuermann ſogleich an den Wind luven und wir braßten im Großtop back *, um beizudrehen. Die Rettungsboje wurde über Bord geworfen und außer dem Unter- ſteuermann traten wir gleich mit vier Freiwilligen vor, um trotz des ſchlechten Wetters und der finſtern Nacht in das Lee- boot zu gehen. Aber als wir letzteres halb zu Waſſer gelaſſen hatten, da holte das Schiff ſo heftig nach Lee über, daß die See drei Planken im Boot einſchlug und da war natürlich an Retten nicht mehr zu denken. „Es hätte uns doch nichts geholfen,“ fuhr der Leicht- matroſe traurig fort. „Als das Boot wieder geheißt war und wir Dich in Deine Coje getragen hatten, ſollte ich ein im Waſſer ſchleppendes Tau einholen. Es hackte etwas daran und ich ſah über Bord was es ſei. Da löſte ſich eine größere Maſſe von der Schiffsſeite und trieb langſam ſinkend nach * Die Segel ſo ſtellen, daß der Wind von vorn darauf fällt, ſo daß das Schiff durch den Gegendruck zum Stillſtande gebracht wird.

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/44>, abgerufen am 29.03.2024.