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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Gefahr mehr zu befürchten war, dampfte die Küste entlang nahe
bei Torre-vieja vorbei, ohne indessen die "Victoria" zu gewahren
und traf am 23. Juli früh vor dem Hafen von Cartagena ein.
Bei unserer Annäherung fielen von dem Eingangsforts zwei
blinde Schüsse. Da ich ihre Bedeutung nicht kannte, hielt ich
mich vorläufig einige Seemeilen von der Küste entfernt und be-
absichtigte zunächst, ein Boot in den Hafen zu schicken, um bei
unserem Consul Erkundigungen über die Lage der Verhältnisse
einzuziehen und danach meine weitere Handlungsweise einzurich-
ten. In Begriff dies anzuordnen, sahen wir um die vor dem
Hafen von Cartagena liegende Insel Escombrero einen Aviso
biegen, der an der Gaffel eine rothe Flagge führte. Ich ver-
legte ihm den Weg und schickte ein unbewaffnetes Boot an
Bord, um anzufragen, was das für eine Flagge sei und wer
das Fahrzeug commandire. Die erste Frage wurde mit "Can-
ton Murcia" beantwortet; ein Commandant konnte jedoch nicht
nachgewiesen werden, vielmehr wurde als befehlende Behörde
eine an Bord befindliche Deputation von fünf Personen be-
zeichnet. Das Fahrzeug war der Tags zuvor von der "Vic-
toria" bei Alicante fortgenommene Aviso "Vigilante", führte
zwei Geschütze, hatte fünfzig bewaffnete Menschen ohne Uniform
oder militärische Organisation als Besatzung und kam von Torre-
vieja, wo es 72,000 Realen erpreßt hatte.

Hier lag nach meiner Auffassung eine dem Begriffe See-
raub zum Verwechseln ähnliche Handlung eines Schiffes vor,
die unter keinen Umständen geduldet werden durfte, da sie allen
Regeln des Völkerrechts widersprach. Die Thatsache ließ keine
verschiedenen Auslegungen zu und fiel unter das Rubrum "See-
polizei", die ex officio von jedem Kriegsschiffe auszuüben ist.
Andererseits hielt ich es aber auch aus dem Grunde für meine
Pflicht, diesem Unwesen sofort und energisch entgegenzutreten, weil
fast in allen spanischen Hafenstädten eine kleinere oder größere
Anzahl Deutsche angesiedelt waren, zu deren Schutz ich mit den

Werner
Gefahr mehr zu befürchten war, dampfte die Küſte entlang nahe
bei Torre-vieja vorbei, ohne indeſſen die „Victoria“ zu gewahren
und traf am 23. Juli früh vor dem Hafen von Cartagena ein.
Bei unſerer Annäherung fielen von dem Eingangsforts zwei
blinde Schüſſe. Da ich ihre Bedeutung nicht kannte, hielt ich
mich vorläufig einige Seemeilen von der Küſte entfernt und be-
abſichtigte zunächſt, ein Boot in den Hafen zu ſchicken, um bei
unſerem Conſul Erkundigungen über die Lage der Verhältniſſe
einzuziehen und danach meine weitere Handlungsweiſe einzurich-
ten. In Begriff dies anzuordnen, ſahen wir um die vor dem
Hafen von Cartagena liegende Inſel Escombrero einen Aviſo
biegen, der an der Gaffel eine rothe Flagge führte. Ich ver-
legte ihm den Weg und ſchickte ein unbewaffnetes Boot an
Bord, um anzufragen, was das für eine Flagge ſei und wer
das Fahrzeug commandire. Die erſte Frage wurde mit „Can-
ton Murcia“ beantwortet; ein Commandant konnte jedoch nicht
nachgewieſen werden, vielmehr wurde als befehlende Behörde
eine an Bord befindliche Deputation von fünf Perſonen be-
zeichnet. Das Fahrzeug war der Tags zuvor von der „Vic-
toria“ bei Alicante fortgenommene Aviſo „Vigilante“, führte
zwei Geſchütze, hatte fünfzig bewaffnete Menſchen ohne Uniform
oder militäriſche Organiſation als Beſatzung und kam von Torre-
vieja, wo es 72,000 Realen erpreßt hatte.

Hier lag nach meiner Auffaſſung eine dem Begriffe See-
raub zum Verwechſeln ähnliche Handlung eines Schiffes vor,
die unter keinen Umſtänden geduldet werden durfte, da ſie allen
Regeln des Völkerrechts widerſprach. Die Thatſache ließ keine
verſchiedenen Auslegungen zu und fiel unter das Rubrum „See-
polizei“, die ex officio von jedem Kriegsſchiffe auszuüben iſt.
Andererſeits hielt ich es aber auch aus dem Grunde für meine
Pflicht, dieſem Unweſen ſofort und energiſch entgegenzutreten, weil
faſt in allen ſpaniſchen Hafenſtädten eine kleinere oder größere
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[388/0400] Werner Gefahr mehr zu befürchten war, dampfte die Küſte entlang nahe bei Torre-vieja vorbei, ohne indeſſen die „Victoria“ zu gewahren und traf am 23. Juli früh vor dem Hafen von Cartagena ein. Bei unſerer Annäherung fielen von dem Eingangsforts zwei blinde Schüſſe. Da ich ihre Bedeutung nicht kannte, hielt ich mich vorläufig einige Seemeilen von der Küſte entfernt und be- abſichtigte zunächſt, ein Boot in den Hafen zu ſchicken, um bei unſerem Conſul Erkundigungen über die Lage der Verhältniſſe einzuziehen und danach meine weitere Handlungsweiſe einzurich- ten. In Begriff dies anzuordnen, ſahen wir um die vor dem Hafen von Cartagena liegende Inſel Escombrero einen Aviſo biegen, der an der Gaffel eine rothe Flagge führte. Ich ver- legte ihm den Weg und ſchickte ein unbewaffnetes Boot an Bord, um anzufragen, was das für eine Flagge ſei und wer das Fahrzeug commandire. Die erſte Frage wurde mit „Can- ton Murcia“ beantwortet; ein Commandant konnte jedoch nicht nachgewieſen werden, vielmehr wurde als befehlende Behörde eine an Bord befindliche Deputation von fünf Perſonen be- zeichnet. Das Fahrzeug war der Tags zuvor von der „Vic- toria“ bei Alicante fortgenommene Aviſo „Vigilante“, führte zwei Geſchütze, hatte fünfzig bewaffnete Menſchen ohne Uniform oder militäriſche Organiſation als Beſatzung und kam von Torre- vieja, wo es 72,000 Realen erpreßt hatte. Hier lag nach meiner Auffaſſung eine dem Begriffe See- raub zum Verwechſeln ähnliche Handlung eines Schiffes vor, die unter keinen Umſtänden geduldet werden durfte, da ſie allen Regeln des Völkerrechts widerſprach. Die Thatſache ließ keine verſchiedenen Auslegungen zu und fiel unter das Rubrum „See- polizei“, die ex officio von jedem Kriegsſchiffe auszuüben iſt. Andererſeits hielt ich es aber auch aus dem Grunde für meine Pflicht, dieſem Unweſen ſofort und energiſch entgegenzutreten, weil faſt in allen ſpaniſchen Hafenſtädten eine kleinere oder größere Anzahl Deutſche angeſiedelt waren, zu deren Schutz ich mit den

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/400>, abgerufen am 17.05.2024.