Dem einst weltbeherrschenden Spanien, dessen Könige sich rühmen konnten, daß die Sonne nicht in ihrem Reiche unter- gehe, ist nur wenig transatlantischer Länderbesitz geblieben, aber in Cuba immer noch eine Colonie, die zu den herrlichsten und ergiebigsten der Welt gehören würde, wenn sie sich in den Händen einer energischeren und thätigeren Nation als die der Spanier befände, wenn die Sclavenfrage auf glückliche Weise gelöst und die Corruption der Bewohner weniger groß wäre, die un- bekümmert um die Zukunft nur dem Augenblicke des Genusses leben und in denen die Schattenseiten der Creolen sich mehr als anderwärts zeigen. Die Insel zählt kaum den zehnten Theil der Bevölkerung, welche sie ernähren könnte, nicht der zwanzigste Theil ihres culturfähigen Bodens ist bebaut; in dem gebirgigen und im Gegensatze zu den Küstengegenden gesunden Innern giebt es Strecken von 5--10,000 Quadratkilometer Ausdehnung, die weder bewohnt noch überhaupt bekannt sind. Wenn trotzdem jährlich allein für weit über hundert Mil- lionen Mark Zucker und Tabak ausgeführt werden, so mag man daraus ermessen, welchen unerschöpflichen Schatz Spanien in Cuba noch aus dem Schiffbruche seiner früheren Macht gerettet hat. Ebenso ist es zu begreifen, daß das Mutterland die ver- zweifeltsten Anstrengungen gemacht und außer vielen Millionen an Geld auch nicht das Opfer von 80,000 Soldaten gescheut hat, um in dem bisherigen zehnjährigen Bürgerkriege die be- drohte Herrschaft zu behaupten. Ob diese Opfer trotzdem nicht vergeblich gebracht sind, ob nicht die Vereinigten Staaten von Nordamerika über kurz oder lang eine Gelegenheit finden oder vom Zaune brechen werden, um die Insel, auf die sich schon so lange ihre begehrlichen Blicke richten, zu annectiren -- wer weiß es?
Wir fanden Kriegsschiffe der verschiedensten Nationen im Hafen vor und es dauerte Stunden lang, ehe die üblichen Be- grüßungssalute ausgetauscht und der Kanonendonner verhallt
Werner
Dem einſt weltbeherrſchenden Spanien, deſſen Könige ſich rühmen konnten, daß die Sonne nicht in ihrem Reiche unter- gehe, iſt nur wenig transatlantiſcher Länderbeſitz geblieben, aber in Cuba immer noch eine Colonie, die zu den herrlichſten und ergiebigſten der Welt gehören würde, wenn ſie ſich in den Händen einer energiſcheren und thätigeren Nation als die der Spanier befände, wenn die Sclavenfrage auf glückliche Weiſe gelöſt und die Corruption der Bewohner weniger groß wäre, die un- bekümmert um die Zukunft nur dem Augenblicke des Genuſſes leben und in denen die Schattenſeiten der Creolen ſich mehr als anderwärts zeigen. Die Inſel zählt kaum den zehnten Theil der Bevölkerung, welche ſie ernähren könnte, nicht der zwanzigſte Theil ihres culturfähigen Bodens iſt bebaut; in dem gebirgigen und im Gegenſatze zu den Küſtengegenden geſunden Innern giebt es Strecken von 5—10,000 Quadratkilometer Ausdehnung, die weder bewohnt noch überhaupt bekannt ſind. Wenn trotzdem jährlich allein für weit über hundert Mil- lionen Mark Zucker und Tabak ausgeführt werden, ſo mag man daraus ermeſſen, welchen unerſchöpflichen Schatz Spanien in Cuba noch aus dem Schiffbruche ſeiner früheren Macht gerettet hat. Ebenſo iſt es zu begreifen, daß das Mutterland die ver- zweifeltſten Anſtrengungen gemacht und außer vielen Millionen an Geld auch nicht das Opfer von 80,000 Soldaten geſcheut hat, um in dem bisherigen zehnjährigen Bürgerkriege die be- drohte Herrſchaft zu behaupten. Ob dieſe Opfer trotzdem nicht vergeblich gebracht ſind, ob nicht die Vereinigten Staaten von Nordamerika über kurz oder lang eine Gelegenheit finden oder vom Zaune brechen werden, um die Inſel, auf die ſich ſchon ſo lange ihre begehrlichen Blicke richten, zu annectiren — wer weiß es?
Wir fanden Kriegsſchiffe der verſchiedenſten Nationen im Hafen vor und es dauerte Stunden lang, ehe die üblichen Be- grüßungsſalute ausgetauſcht und der Kanonendonner verhallt
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Werner
Dem einſt weltbeherrſchenden Spanien, deſſen Könige ſich
rühmen konnten, daß die Sonne nicht in ihrem Reiche unter-
gehe, iſt nur wenig transatlantiſcher Länderbeſitz geblieben, aber
in Cuba immer noch eine Colonie, die zu den herrlichſten und
ergiebigſten der Welt gehören würde, wenn ſie ſich in den
Händen einer energiſcheren und thätigeren Nation als die der
Spanier befände, wenn die Sclavenfrage auf glückliche Weiſe gelöſt
und die Corruption der Bewohner weniger groß wäre, die un-
bekümmert um die Zukunft nur dem Augenblicke des Genuſſes
leben und in denen die Schattenſeiten der Creolen ſich mehr
als anderwärts zeigen. Die Inſel zählt kaum den zehnten
Theil der Bevölkerung, welche ſie ernähren könnte, nicht der
zwanzigſte Theil ihres culturfähigen Bodens iſt bebaut; in dem
gebirgigen und im Gegenſatze zu den Küſtengegenden geſunden
Innern giebt es Strecken von 5—10,000 Quadratkilometer
Ausdehnung, die weder bewohnt noch überhaupt bekannt ſind.
Wenn trotzdem jährlich allein für weit über hundert Mil-
lionen Mark Zucker und Tabak ausgeführt werden, ſo mag man
daraus ermeſſen, welchen unerſchöpflichen Schatz Spanien in
Cuba noch aus dem Schiffbruche ſeiner früheren Macht gerettet
hat. Ebenſo iſt es zu begreifen, daß das Mutterland die ver-
zweifeltſten Anſtrengungen gemacht und außer vielen Millionen
an Geld auch nicht das Opfer von 80,000 Soldaten geſcheut
hat, um in dem bisherigen zehnjährigen Bürgerkriege die be-
drohte Herrſchaft zu behaupten. Ob dieſe Opfer trotzdem nicht
vergeblich gebracht ſind, ob nicht die Vereinigten Staaten von
Nordamerika über kurz oder lang eine Gelegenheit finden oder
vom Zaune brechen werden, um die Inſel, auf die ſich ſchon
ſo lange ihre begehrlichen Blicke richten, zu annectiren — wer
weiß es?
Wir fanden Kriegsſchiffe der verſchiedenſten Nationen im
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/384>, abgerufen am 24.11.2024.
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