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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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hatte. "Siehst du Schweizer", sagte der Bootsmann "ich halte
nicht viel von diesen neumodischen Dingern; ich habe fünfzehn
Reisen nach Grönland und drei nach der Südsee gemacht und
über 50 Wallfische harpunirt, aber wir haben nie einen Baro-
meter gehabt. Wenn man dagegen von Pferden und Frauen-
zimmern träumt, dann kannst Du Dich darauf verlassen, dann
giebt es auch was. Das trügt nie, und je älter und häßlicher
die Frauenzimmer sind, desto toller fängt es an zu wehen --
das ist so sicher wie Amen in der Kirche", dabei flog das
Prümchen nach der andern Seite, fast mit einem hörbaren Ruck,
wie beim Rekruten die Augen nach rechts.

Jedenfalls schien der Kapitän wenigstens mit der Schluß-
folgerung des Bootsmanns, daß es viel Wind gäbe, einver-
standen zu sein, denn er ließ noch vor Abend die Marssegel doppelt
reefen, wodurch sie beinah um die Hälfte verkleinert wurden,
und das war nicht umsonst geschehen. Kurz vor Mitternacht
schoß der Sturm aus Nordwest aus und kam an mit Trom-
meln und Pfeifen. Er fiel in die Segel und legte das Schiff
auf die Seite, daß es ächzte und stöhnte. Er wühlte die See auf,
und der über das ganze Vorschiff sprühende Gischt leuchtete unheimlich
durch die finstere Nacht. Es mußten Segel geborgen werden, um
das Schiff zu erleichtern, das unter ihrem Druck schwer in der
See stampfte und dadurch sehr in seinen Verbänden litt. Das
Großsegel, das unterste am Großmast kam zuerst an die Reihe,
dann der Klüver, ein dreieckiges Segel am Klüverbaum, der
Verlängerung des schräg nach vorn hinausliegenden Bugspriets.
Heinrich und ich wurden hinausgeschickt, um den Klüver fest zu
machen. Es ist das eigentlich Matrosenarbeit, weil viel Kraft
und Geschick dazu gehört und bleibt dennoch bei schwerem Arbeiten
des Schiffes gefährlich. Auf Kriegsschiffen ist deshalb unter
dem Klüverbaum ein Netz ausgespannt, weil die See die Leute
herabschlagen kann. Auf Handelsschiffen nimmt man nicht so
viel Rücksicht und glaubte uns Beiden die schwere Aufgabe

Werner
hatte. „Siehſt du Schweizer“, ſagte der Bootsmann „ich halte
nicht viel von dieſen neumodiſchen Dingern; ich habe fünfzehn
Reiſen nach Grönland und drei nach der Südſee gemacht und
über 50 Wallfiſche harpunirt, aber wir haben nie einen Baro-
meter gehabt. Wenn man dagegen von Pferden und Frauen-
zimmern träumt, dann kannſt Du Dich darauf verlaſſen, dann
giebt es auch was. Das trügt nie, und je älter und häßlicher
die Frauenzimmer ſind, deſto toller fängt es an zu wehen —
das iſt ſo ſicher wie Amen in der Kirche“, dabei flog das
Prümchen nach der andern Seite, faſt mit einem hörbaren Ruck,
wie beim Rekruten die Augen nach rechts.

Jedenfalls ſchien der Kapitän wenigſtens mit der Schluß-
folgerung des Bootsmanns, daß es viel Wind gäbe, einver-
ſtanden zu ſein, denn er ließ noch vor Abend die Marsſegel doppelt
reefen, wodurch ſie beinah um die Hälfte verkleinert wurden,
und das war nicht umſonſt geſchehen. Kurz vor Mitternacht
ſchoß der Sturm aus Nordweſt aus und kam an mit Trom-
meln und Pfeifen. Er fiel in die Segel und legte das Schiff
auf die Seite, daß es ächzte und ſtöhnte. Er wühlte die See auf,
und der über das ganze Vorſchiff ſprühende Giſcht leuchtete unheimlich
durch die finſtere Nacht. Es mußten Segel geborgen werden, um
das Schiff zu erleichtern, das unter ihrem Druck ſchwer in der
See ſtampfte und dadurch ſehr in ſeinen Verbänden litt. Das
Großſegel, das unterſte am Großmaſt kam zuerſt an die Reihe,
dann der Klüver, ein dreieckiges Segel am Klüverbaum, der
Verlängerung des ſchräg nach vorn hinausliegenden Bugſpriets.
Heinrich und ich wurden hinausgeſchickt, um den Klüver feſt zu
machen. Es iſt das eigentlich Matroſenarbeit, weil viel Kraft
und Geſchick dazu gehört und bleibt dennoch bei ſchwerem Arbeiten
des Schiffes gefährlich. Auf Kriegsſchiffen iſt deshalb unter
dem Klüverbaum ein Netz ausgeſpannt, weil die See die Leute
herabſchlagen kann. Auf Handelsſchiffen nimmt man nicht ſo
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[24/0036] Werner hatte. „Siehſt du Schweizer“, ſagte der Bootsmann „ich halte nicht viel von dieſen neumodiſchen Dingern; ich habe fünfzehn Reiſen nach Grönland und drei nach der Südſee gemacht und über 50 Wallfiſche harpunirt, aber wir haben nie einen Baro- meter gehabt. Wenn man dagegen von Pferden und Frauen- zimmern träumt, dann kannſt Du Dich darauf verlaſſen, dann giebt es auch was. Das trügt nie, und je älter und häßlicher die Frauenzimmer ſind, deſto toller fängt es an zu wehen — das iſt ſo ſicher wie Amen in der Kirche“, dabei flog das Prümchen nach der andern Seite, faſt mit einem hörbaren Ruck, wie beim Rekruten die Augen nach rechts. Jedenfalls ſchien der Kapitän wenigſtens mit der Schluß- folgerung des Bootsmanns, daß es viel Wind gäbe, einver- ſtanden zu ſein, denn er ließ noch vor Abend die Marsſegel doppelt reefen, wodurch ſie beinah um die Hälfte verkleinert wurden, und das war nicht umſonſt geſchehen. Kurz vor Mitternacht ſchoß der Sturm aus Nordweſt aus und kam an mit Trom- meln und Pfeifen. Er fiel in die Segel und legte das Schiff auf die Seite, daß es ächzte und ſtöhnte. Er wühlte die See auf, und der über das ganze Vorſchiff ſprühende Giſcht leuchtete unheimlich durch die finſtere Nacht. Es mußten Segel geborgen werden, um das Schiff zu erleichtern, das unter ihrem Druck ſchwer in der See ſtampfte und dadurch ſehr in ſeinen Verbänden litt. Das Großſegel, das unterſte am Großmaſt kam zuerſt an die Reihe, dann der Klüver, ein dreieckiges Segel am Klüverbaum, der Verlängerung des ſchräg nach vorn hinausliegenden Bugſpriets. Heinrich und ich wurden hinausgeſchickt, um den Klüver feſt zu machen. Es iſt das eigentlich Matroſenarbeit, weil viel Kraft und Geſchick dazu gehört und bleibt dennoch bei ſchwerem Arbeiten des Schiffes gefährlich. Auf Kriegsſchiffen iſt deshalb unter dem Klüverbaum ein Netz ausgeſpannt, weil die See die Leute herabſchlagen kann. Auf Handelsſchiffen nimmt man nicht ſo viel Rückſicht und glaubte uns Beiden die ſchwere Aufgabe

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/36>, abgerufen am 26.04.2024.