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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Nach Westindien und dem Mittelmeer
Bodenbeschaffenheit anbetrifft, jedoch ist vorläufig nicht dazu zu
rathen. Die politischen Verhältnisse sind dafür noch zu unsicher
und die Behörden erfreuen sich bis jetzt nicht eines solchen
Rufes, um ihren den Auswanderern gemachten Versprechungen
unbedingt vertrauen zu dürfen. Eine Garantie für Fortkommen
und Prosperität würde nur dann zu erblicken sein, wenn die
Ansiedler so zahlreich hinübergehen, daß sie sich selbst schützen
können. Tausend waffenfähige Männer würden dazu völlig
ausreichen, die natürlich nicht im ganzen Lande zerstreut wohnen
dürften, sondern größere und compactere Gemeinwesen bilden
müßten. Bis jetzt stellt die Regierung solchen Ansiedlungen,
obwol sie das beste Heilmittel gegen die stets wiederkehrenden
Revolutionen sein würden, noch Hindernisse entgegen und des-
halb ist von einer Einwanderung für Deutsche entschieden ab-
zurathen.

Die Streitmacht Venezuela's beläuft sich nominell auf
6000 Soldaten, die auch wirklich vorhanden sein mögen, an
die man jedoch nicht etwa unseren militärischen Maßstab legen
darf. Die Proben, welche wir in Caracas sahen, erinnerten
sehr an Falstaff's Recruten, sowol in Bezug auf Körperbeschaffen-
heit wie Uniform oder vielmehr Nichtuniform -- wie mögen
die Truppen erst in den Provinzen beschaffen gewesen sein! Das
Loos der Soldaten ist ein trauriges, der Sold, noch nicht ein
Groschen pro Tag, bleibt oft Monate lang rückständig; da
ist es dann nicht auffällig, daß es bald diesem bald jenem ehr-
geizigen und geldgierigen "General" gelingt, die Truppen zu
einer Revolution zu verleiten oder daß letztere compagnieweise
marodiren. Die Officiere sind ihren Untergebenen entsprechend
und bei dem geringen Solde kann auch nichts besseres erwartet
werden. Ein activer General steht sich z. B. schlechter, als bei
uns ein Secondelieutenant, und wir bekamen keinen kleinen
Schrecken, als bei Besichtigung der Artilleriekaserne und des
dort aufgestellten verwahrlosten Geschützparkes unser Führer, der

R. Werner, Erinnerungen. 22

Nach Weſtindien und dem Mittelmeer
Bodenbeſchaffenheit anbetrifft, jedoch iſt vorläufig nicht dazu zu
rathen. Die politiſchen Verhältniſſe ſind dafür noch zu unſicher
und die Behörden erfreuen ſich bis jetzt nicht eines ſolchen
Rufes, um ihren den Auswanderern gemachten Verſprechungen
unbedingt vertrauen zu dürfen. Eine Garantie für Fortkommen
und Prosperität würde nur dann zu erblicken ſein, wenn die
Anſiedler ſo zahlreich hinübergehen, daß ſie ſich ſelbſt ſchützen
können. Tauſend waffenfähige Männer würden dazu völlig
ausreichen, die natürlich nicht im ganzen Lande zerſtreut wohnen
dürften, ſondern größere und compactere Gemeinweſen bilden
müßten. Bis jetzt ſtellt die Regierung ſolchen Anſiedlungen,
obwol ſie das beſte Heilmittel gegen die ſtets wiederkehrenden
Revolutionen ſein würden, noch Hinderniſſe entgegen und des-
halb iſt von einer Einwanderung für Deutſche entſchieden ab-
zurathen.

Die Streitmacht Venezuela’s beläuft ſich nominell auf
6000 Soldaten, die auch wirklich vorhanden ſein mögen, an
die man jedoch nicht etwa unſeren militäriſchen Maßſtab legen
darf. Die Proben, welche wir in Caracas ſahen, erinnerten
ſehr an Falſtaff’s Recruten, ſowol in Bezug auf Körperbeſchaffen-
heit wie Uniform oder vielmehr Nichtuniform — wie mögen
die Truppen erſt in den Provinzen beſchaffen geweſen ſein! Das
Loos der Soldaten iſt ein trauriges, der Sold, noch nicht ein
Groſchen pro Tag, bleibt oft Monate lang rückſtändig; da
iſt es dann nicht auffällig, daß es bald dieſem bald jenem ehr-
geizigen und geldgierigen „General“ gelingt, die Truppen zu
einer Revolution zu verleiten oder daß letztere compagnieweiſe
marodiren. Die Officiere ſind ihren Untergebenen entſprechend
und bei dem geringen Solde kann auch nichts beſſeres erwartet
werden. Ein activer General ſteht ſich z. B. ſchlechter, als bei
uns ein Secondelieutenant, und wir bekamen keinen kleinen
Schrecken, als bei Beſichtigung der Artilleriekaſerne und des
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R. Werner, Erinnerungen. 22
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[337/0349] Nach Weſtindien und dem Mittelmeer Bodenbeſchaffenheit anbetrifft, jedoch iſt vorläufig nicht dazu zu rathen. Die politiſchen Verhältniſſe ſind dafür noch zu unſicher und die Behörden erfreuen ſich bis jetzt nicht eines ſolchen Rufes, um ihren den Auswanderern gemachten Verſprechungen unbedingt vertrauen zu dürfen. Eine Garantie für Fortkommen und Prosperität würde nur dann zu erblicken ſein, wenn die Anſiedler ſo zahlreich hinübergehen, daß ſie ſich ſelbſt ſchützen können. Tauſend waffenfähige Männer würden dazu völlig ausreichen, die natürlich nicht im ganzen Lande zerſtreut wohnen dürften, ſondern größere und compactere Gemeinweſen bilden müßten. Bis jetzt ſtellt die Regierung ſolchen Anſiedlungen, obwol ſie das beſte Heilmittel gegen die ſtets wiederkehrenden Revolutionen ſein würden, noch Hinderniſſe entgegen und des- halb iſt von einer Einwanderung für Deutſche entſchieden ab- zurathen. Die Streitmacht Venezuela’s beläuft ſich nominell auf 6000 Soldaten, die auch wirklich vorhanden ſein mögen, an die man jedoch nicht etwa unſeren militäriſchen Maßſtab legen darf. Die Proben, welche wir in Caracas ſahen, erinnerten ſehr an Falſtaff’s Recruten, ſowol in Bezug auf Körperbeſchaffen- heit wie Uniform oder vielmehr Nichtuniform — wie mögen die Truppen erſt in den Provinzen beſchaffen geweſen ſein! Das Loos der Soldaten iſt ein trauriges, der Sold, noch nicht ein Groſchen pro Tag, bleibt oft Monate lang rückſtändig; da iſt es dann nicht auffällig, daß es bald dieſem bald jenem ehr- geizigen und geldgierigen „General“ gelingt, die Truppen zu einer Revolution zu verleiten oder daß letztere compagnieweiſe marodiren. Die Officiere ſind ihren Untergebenen entſprechend und bei dem geringen Solde kann auch nichts beſſeres erwartet werden. Ein activer General ſteht ſich z. B. ſchlechter, als bei uns ein Secondelieutenant, und wir bekamen keinen kleinen Schrecken, als bei Beſichtigung der Artilleriekaſerne und des dort aufgeſtellten verwahrloſten Geſchützparkes unſer Führer, der R. Werner, Erinnerungen. 22

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/349>, abgerufen am 25.11.2024.