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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner
Insel unter den Horizont -- dann ist sie verschwunden. Adieu
Madeira!

Unsere Reise ging nach der Cap Verdischen Insel St.
Vincent, und nach acht Tagen trafen wir wohlbehalten dort ein.
Von der Fahrt selbst waren wir jedoch wenig erbaut. Der
schöne Passatwind, mit dem wir von Madeira absegelten, hatte
keinen Bestand, statt seiner wurden wir von Windstillen und
tropischen Regen heimgesucht.

Wir gingen zwischen den canarischen Inseln durch, sahen
bei der trüben Luft aber kaum ihre Umrisse und das schneebe-
deckte Haupt des Piks von Teneriffa zeigte sich nur auf wenige
Minuten.

Die Witterung war in dieser Gegend jedenfalls eine ganz
außergewöhnliche und das heftige Auf- und Niederschwanken des
Barometers deutete auf eine irgendwo stattfindende bedeutende
atmosphärische Störung. Wie wir später erfuhren, wüthete
zur selben Zeit in der Ostsee ein schwerer Nordoststurm, verur-
sachte dort eine heftige Ueberschwemmung, und wahrscheinlich
empfanden wir den Reflex dieser Lufterschütterung, die, über den
Ocean kommend, nicht fern von uns ihren verheerenden Weg
nach Norden genommen hatte.

Wir liefen St. Vincent lediglich zum Zweck der Kohlen-
ergänzung an, denn sonstiger Anziehungspunkte ist es völlig bar.
Vulkanischen Ursprungs und fast regenlos (es regnet im Jahre
nur ein höchstens zwei Mal), nimmt der Verwitterungsproceß
seiner Felsen einen sehr langsamen Verlauf. Ihre Conturen
sind deshalb fast noch eben so scharf und zerrissen, wie sie einst
durch unterirdische Kräfte aus dem Schooße der Erde empor-
gehoben wurden. Aus demselben Grunde fehlt es an Humus
und an jedweder Vegetation. Die Tropensonne brennt glühend
hernieder auf das bräunlichrothe Gestein und vergebens lechzt
man nach Schatten. Natürliches Trinkwasser, d. h. Quellen,

Werner
Inſel unter den Horizont — dann iſt ſie verſchwunden. Adieu
Madeira!

Unſere Reiſe ging nach der Cap Verdiſchen Inſel St.
Vincent, und nach acht Tagen trafen wir wohlbehalten dort ein.
Von der Fahrt ſelbſt waren wir jedoch wenig erbaut. Der
ſchöne Paſſatwind, mit dem wir von Madeira abſegelten, hatte
keinen Beſtand, ſtatt ſeiner wurden wir von Windſtillen und
tropiſchen Regen heimgeſucht.

Wir gingen zwiſchen den canariſchen Inſeln durch, ſahen
bei der trüben Luft aber kaum ihre Umriſſe und das ſchneebe-
deckte Haupt des Piks von Teneriffa zeigte ſich nur auf wenige
Minuten.

Die Witterung war in dieſer Gegend jedenfalls eine ganz
außergewöhnliche und das heftige Auf- und Niederſchwanken des
Barometers deutete auf eine irgendwo ſtattfindende bedeutende
atmoſphäriſche Störung. Wie wir ſpäter erfuhren, wüthete
zur ſelben Zeit in der Oſtſee ein ſchwerer Nordoſtſturm, verur-
ſachte dort eine heftige Ueberſchwemmung, und wahrſcheinlich
empfanden wir den Reflex dieſer Lufterſchütterung, die, über den
Ocean kommend, nicht fern von uns ihren verheerenden Weg
nach Norden genommen hatte.

Wir liefen St. Vincent lediglich zum Zweck der Kohlen-
ergänzung an, denn ſonſtiger Anziehungspunkte iſt es völlig bar.
Vulkaniſchen Urſprungs und faſt regenlos (es regnet im Jahre
nur ein höchſtens zwei Mal), nimmt der Verwitterungsproceß
ſeiner Felſen einen ſehr langſamen Verlauf. Ihre Conturen
ſind deshalb faſt noch eben ſo ſcharf und zerriſſen, wie ſie einſt
durch unterirdiſche Kräfte aus dem Schooße der Erde empor-
gehoben wurden. Aus demſelben Grunde fehlt es an Humus
und an jedweder Vegetation. Die Tropenſonne brennt glühend
hernieder auf das bräunlichrothe Geſtein und vergebens lechzt
man nach Schatten. Natürliches Trinkwaſſer, d. h. Quellen,

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[318/0330] Werner Inſel unter den Horizont — dann iſt ſie verſchwunden. Adieu Madeira! Unſere Reiſe ging nach der Cap Verdiſchen Inſel St. Vincent, und nach acht Tagen trafen wir wohlbehalten dort ein. Von der Fahrt ſelbſt waren wir jedoch wenig erbaut. Der ſchöne Paſſatwind, mit dem wir von Madeira abſegelten, hatte keinen Beſtand, ſtatt ſeiner wurden wir von Windſtillen und tropiſchen Regen heimgeſucht. Wir gingen zwiſchen den canariſchen Inſeln durch, ſahen bei der trüben Luft aber kaum ihre Umriſſe und das ſchneebe- deckte Haupt des Piks von Teneriffa zeigte ſich nur auf wenige Minuten. Die Witterung war in dieſer Gegend jedenfalls eine ganz außergewöhnliche und das heftige Auf- und Niederſchwanken des Barometers deutete auf eine irgendwo ſtattfindende bedeutende atmoſphäriſche Störung. Wie wir ſpäter erfuhren, wüthete zur ſelben Zeit in der Oſtſee ein ſchwerer Nordoſtſturm, verur- ſachte dort eine heftige Ueberſchwemmung, und wahrſcheinlich empfanden wir den Reflex dieſer Lufterſchütterung, die, über den Ocean kommend, nicht fern von uns ihren verheerenden Weg nach Norden genommen hatte. Wir liefen St. Vincent lediglich zum Zweck der Kohlen- ergänzung an, denn ſonſtiger Anziehungspunkte iſt es völlig bar. Vulkaniſchen Urſprungs und faſt regenlos (es regnet im Jahre nur ein höchſtens zwei Mal), nimmt der Verwitterungsproceß ſeiner Felſen einen ſehr langſamen Verlauf. Ihre Conturen ſind deshalb faſt noch eben ſo ſcharf und zerriſſen, wie ſie einſt durch unterirdiſche Kräfte aus dem Schooße der Erde empor- gehoben wurden. Aus demſelben Grunde fehlt es an Humus und an jedweder Vegetation. Die Tropenſonne brennt glühend hernieder auf das bräunlichrothe Geſtein und vergebens lechzt man nach Schatten. Natürliches Trinkwaſſer, d. h. Quellen,

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/330>, abgerufen am 22.11.2024.