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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Eine erste Seereise
er etwas ab, aber er blies uns stets hartnäckig in die Zähne.
Wir kreuzten, nach des Bootsmanns Ansicht, das Blaue vom
Himmel herunter und die ewig scharf angebraßten Raaen scheuerten
zu seinem Kummer trotz dickster Bewickelung alle Wanten
und Pardunen, wie die Haltetaue der Bemastung heißen, entzwei,
ohne daß wir deshalb viel weiter gekommen wären. Wir hatten
seit 8 Tagen die Elbe verlassen und erst die Höhe der hollän-
dischen Küste erreicht, worüber des Kapitäns Gesicht um nichts
freundlicher aussah. Die Mannschaft wußte sich jedoch über
die verlängerte Dauer der Reise leichter zu trösten. "Der
Monat dreht und der Koch packt auf" lautet bei solchen Anlässen
ihre Lebensphilosophie, d. h. die Gage läuft fort und an Essen
fehlts auch nicht; das Uebrige kümmert sie nicht, wenigstens
was die nautische Führung des Schiffes anbetrifft.

Der Matrose raisonnirt zwar sehr gern und über alles
mögliche an Bord, wobei stets das letzte Schiff, auf dem er
diente, das höchste Lob erhält, wenn er es auch noch so schlecht
hatte, aber in die Navigation mischt er sich nicht und kritisirt
sie nicht. Er hat einen ungemeinen Respect vor fachlichem
Wissen und beugt sich diesem willig. Sein Vertrauen in die
Fähigkeit des Kapitäns, das Schiff gut und auf dem besten
Wege an den Ort seiner Bestimmung zu führen ist oft wahr-
haft rührend. Mag es bisweilen noch so bedenklich mit der
Sicherheit aussehen, und das Fahrzeug auf Haaresbreite am
Strande vorbeigehen, der Matrose legt sich deshalb ruhig zur
Coje und schläft die wenigen ihm vergönnten Stunden ohne alle
Sorge. "Der Alte wird es schon wissen wie er es macht"
denkt er bei sich und wenn auch in dickem Wetter eine Küste
angesegelt wird, ohne leichtsinniger Weise das Senkblei zu ge-
brauchen, bis das Schiff hoch und trocken auf dem Strand sitzt,
glaubt er deswegen doch nicht an Unfähigkeit oder strafbare
Nachlässigkeit des "Alten", sondern hält es für ein besonderes
Unglück. Mich kümmerte natürlich das langsame Vorwärts-

Eine erſte Seereiſe
er etwas ab, aber er blies uns ſtets hartnäckig in die Zähne.
Wir kreuzten, nach des Bootsmanns Anſicht, das Blaue vom
Himmel herunter und die ewig ſcharf angebraßten Raaen ſcheuerten
zu ſeinem Kummer trotz dickſter Bewickelung alle Wanten
und Pardunen, wie die Haltetaue der Bemaſtung heißen, entzwei,
ohne daß wir deshalb viel weiter gekommen wären. Wir hatten
ſeit 8 Tagen die Elbe verlaſſen und erſt die Höhe der hollän-
diſchen Küſte erreicht, worüber des Kapitäns Geſicht um nichts
freundlicher ausſah. Die Mannſchaft wußte ſich jedoch über
die verlängerte Dauer der Reiſe leichter zu tröſten. „Der
Monat dreht und der Koch packt auf“ lautet bei ſolchen Anläſſen
ihre Lebensphiloſophie, d. h. die Gage läuft fort und an Eſſen
fehlts auch nicht; das Uebrige kümmert ſie nicht, wenigſtens
was die nautiſche Führung des Schiffes anbetrifft.

Der Matroſe raiſonnirt zwar ſehr gern und über alles
mögliche an Bord, wobei ſtets das letzte Schiff, auf dem er
diente, das höchſte Lob erhält, wenn er es auch noch ſo ſchlecht
hatte, aber in die Navigation miſcht er ſich nicht und kritiſirt
ſie nicht. Er hat einen ungemeinen Reſpect vor fachlichem
Wiſſen und beugt ſich dieſem willig. Sein Vertrauen in die
Fähigkeit des Kapitäns, das Schiff gut und auf dem beſten
Wege an den Ort ſeiner Beſtimmung zu führen iſt oft wahr-
haft rührend. Mag es bisweilen noch ſo bedenklich mit der
Sicherheit ausſehen, und das Fahrzeug auf Haaresbreite am
Strande vorbeigehen, der Matroſe legt ſich deshalb ruhig zur
Coje und ſchläft die wenigen ihm vergönnten Stunden ohne alle
Sorge. „Der Alte wird es ſchon wiſſen wie er es macht“
denkt er bei ſich und wenn auch in dickem Wetter eine Küſte
angeſegelt wird, ohne leichtſinniger Weiſe das Senkblei zu ge-
brauchen, bis das Schiff hoch und trocken auf dem Strand ſitzt,
glaubt er deswegen doch nicht an Unfähigkeit oder ſtrafbare
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Unglück. Mich kümmerte natürlich das langſame Vorwärts-

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[21/0033] Eine erſte Seereiſe er etwas ab, aber er blies uns ſtets hartnäckig in die Zähne. Wir kreuzten, nach des Bootsmanns Anſicht, das Blaue vom Himmel herunter und die ewig ſcharf angebraßten Raaen ſcheuerten zu ſeinem Kummer trotz dickſter Bewickelung alle Wanten und Pardunen, wie die Haltetaue der Bemaſtung heißen, entzwei, ohne daß wir deshalb viel weiter gekommen wären. Wir hatten ſeit 8 Tagen die Elbe verlaſſen und erſt die Höhe der hollän- diſchen Küſte erreicht, worüber des Kapitäns Geſicht um nichts freundlicher ausſah. Die Mannſchaft wußte ſich jedoch über die verlängerte Dauer der Reiſe leichter zu tröſten. „Der Monat dreht und der Koch packt auf“ lautet bei ſolchen Anläſſen ihre Lebensphiloſophie, d. h. die Gage läuft fort und an Eſſen fehlts auch nicht; das Uebrige kümmert ſie nicht, wenigſtens was die nautiſche Führung des Schiffes anbetrifft. Der Matroſe raiſonnirt zwar ſehr gern und über alles mögliche an Bord, wobei ſtets das letzte Schiff, auf dem er diente, das höchſte Lob erhält, wenn er es auch noch ſo ſchlecht hatte, aber in die Navigation miſcht er ſich nicht und kritiſirt ſie nicht. Er hat einen ungemeinen Reſpect vor fachlichem Wiſſen und beugt ſich dieſem willig. Sein Vertrauen in die Fähigkeit des Kapitäns, das Schiff gut und auf dem beſten Wege an den Ort ſeiner Beſtimmung zu führen iſt oft wahr- haft rührend. Mag es bisweilen noch ſo bedenklich mit der Sicherheit ausſehen, und das Fahrzeug auf Haaresbreite am Strande vorbeigehen, der Matroſe legt ſich deshalb ruhig zur Coje und ſchläft die wenigen ihm vergönnten Stunden ohne alle Sorge. „Der Alte wird es ſchon wiſſen wie er es macht“ denkt er bei ſich und wenn auch in dickem Wetter eine Küſte angeſegelt wird, ohne leichtſinniger Weiſe das Senkblei zu ge- brauchen, bis das Schiff hoch und trocken auf dem Strand ſitzt, glaubt er deswegen doch nicht an Unfähigkeit oder ſtrafbare Nachläſſigkeit des „Alten“, ſondern hält es für ein beſonderes Unglück. Mich kümmerte natürlich das langſame Vorwärts-

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/33>, abgerufen am 24.04.2024.