ersten Officier die Jolle für den Nachmittag zum Spazieren- segeln, holten Hannchen gegen zwei Uhr ab, ließen die Boots- gäste an Land zurück, um nicht genirt zu sein, und dachten gegen sechs Uhr nach Glückstadt zurück zu kommen. Alles ging auch sehr schön; das Mädchen war allerliebst, wir amüsirten uns herrlich, tranken in Krautsand bei Hannchens Tante Kaffee und fuhren gegen fünf Uhr vergnügt wieder ab.
Da mußte aber ein unglücklicher Nebel kommen, der so dicht war, daß wir keine Bootslänge vor uns sehen konnten. Der Wind flaute so ab, daß an Segeln nicht weiter zu denken war und so mußten wir zu den Riemen greifen. Wir ruderten, was das Zeug halten wollte, da wir aber keinen Compaß mit uns hatten, war die Sache schlimm, und nach etwa einer Stunde saßen wir denn auch glücklich mit dem Boote fest und zwar so gründlich, daß wir dasselbe nicht wieder abschieben konnten. Wir stiegen aus, um die Jolle zu erleichtern und sie so vom Grunde wieder abzubringen, sanken aber gleich bis an die Brust in den Schlick und mußten schleunigst wieder in das Boot entern, um nicht ganz in dem Morast zu verschwinden. Hannchen weinte, und wir beide saßen naß und schwarz bis fast an den Hals auf der Sitzbank und versuchten, sie zu trösten, wobei uns aber die Zähne bei der Aussicht klapperten, die ganze lange Nacht in diesem Aufzuge verbringen zu müssen. Gegen sieben Uhr waren wir festgekommen; seit einer Stunde lief die Ebbe, und es bot sich deshalb keine Hoffnung, selbst wenn der Nebel auf- klaren sollte, vor dem nächsten Hochwasser am andern Morgen wieder flott zu werden.
Das war eine schöne Bescheerung; aber wir konnten nichts dagegen thun, mußten uns ruhig in unser Schicksal fügen und die Kleider am Leibe trocknen lassen. Ich that alles mög- liche, um Hannchen zu beruhigen und ergriff dabei einmal ihre Hand, aber da hättet Ihr den kleinen Meyer sehen sollen! Er warf mir einen Blick zu, als ob er mich morden wollte,
Werner
erſten Officier die Jolle für den Nachmittag zum Spazieren- ſegeln, holten Hannchen gegen zwei Uhr ab, ließen die Boots- gäſte an Land zurück, um nicht genirt zu ſein, und dachten gegen ſechs Uhr nach Glückſtadt zurück zu kommen. Alles ging auch ſehr ſchön; das Mädchen war allerliebſt, wir amüſirten uns herrlich, tranken in Krautſand bei Hannchens Tante Kaffee und fuhren gegen fünf Uhr vergnügt wieder ab.
Da mußte aber ein unglücklicher Nebel kommen, der ſo dicht war, daß wir keine Bootslänge vor uns ſehen konnten. Der Wind flaute ſo ab, daß an Segeln nicht weiter zu denken war und ſo mußten wir zu den Riemen greifen. Wir ruderten, was das Zeug halten wollte, da wir aber keinen Compaß mit uns hatten, war die Sache ſchlimm, und nach etwa einer Stunde ſaßen wir denn auch glücklich mit dem Boote feſt und zwar ſo gründlich, daß wir daſſelbe nicht wieder abſchieben konnten. Wir ſtiegen aus, um die Jolle zu erleichtern und ſie ſo vom Grunde wieder abzubringen, ſanken aber gleich bis an die Bruſt in den Schlick und mußten ſchleunigſt wieder in das Boot entern, um nicht ganz in dem Moraſt zu verſchwinden. Hannchen weinte, und wir beide ſaßen naß und ſchwarz bis faſt an den Hals auf der Sitzbank und verſuchten, ſie zu tröſten, wobei uns aber die Zähne bei der Ausſicht klapperten, die ganze lange Nacht in dieſem Aufzuge verbringen zu müſſen. Gegen ſieben Uhr waren wir feſtgekommen; ſeit einer Stunde lief die Ebbe, und es bot ſich deshalb keine Hoffnung, ſelbſt wenn der Nebel auf- klaren ſollte, vor dem nächſten Hochwaſſer am andern Morgen wieder flott zu werden.
Das war eine ſchöne Beſcheerung; aber wir konnten nichts dagegen thun, mußten uns ruhig in unſer Schickſal fügen und die Kleider am Leibe trocknen laſſen. Ich that alles mög- liche, um Hannchen zu beruhigen und ergriff dabei einmal ihre Hand, aber da hättet Ihr den kleinen Meyer ſehen ſollen! Er warf mir einen Blick zu, als ob er mich morden wollte,
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Werner
erſten Officier die Jolle für den Nachmittag zum Spazieren-
ſegeln, holten Hannchen gegen zwei Uhr ab, ließen die Boots-
gäſte an Land zurück, um nicht genirt zu ſein, und dachten
gegen ſechs Uhr nach Glückſtadt zurück zu kommen. Alles ging
auch ſehr ſchön; das Mädchen war allerliebſt, wir amüſirten
uns herrlich, tranken in Krautſand bei Hannchens Tante Kaffee
und fuhren gegen fünf Uhr vergnügt wieder ab.
Da mußte aber ein unglücklicher Nebel kommen, der ſo
dicht war, daß wir keine Bootslänge vor uns ſehen konnten.
Der Wind flaute ſo ab, daß an Segeln nicht weiter zu denken
war und ſo mußten wir zu den Riemen greifen. Wir ruderten,
was das Zeug halten wollte, da wir aber keinen Compaß mit
uns hatten, war die Sache ſchlimm, und nach etwa einer Stunde
ſaßen wir denn auch glücklich mit dem Boote feſt und zwar ſo
gründlich, daß wir daſſelbe nicht wieder abſchieben konnten. Wir
ſtiegen aus, um die Jolle zu erleichtern und ſie ſo vom Grunde
wieder abzubringen, ſanken aber gleich bis an die Bruſt in den
Schlick und mußten ſchleunigſt wieder in das Boot entern, um
nicht ganz in dem Moraſt zu verſchwinden. Hannchen weinte,
und wir beide ſaßen naß und ſchwarz bis faſt an den Hals
auf der Sitzbank und verſuchten, ſie zu tröſten, wobei uns aber
die Zähne bei der Ausſicht klapperten, die ganze lange Nacht
in dieſem Aufzuge verbringen zu müſſen. Gegen ſieben Uhr
waren wir feſtgekommen; ſeit einer Stunde lief die Ebbe, und
es bot ſich deshalb keine Hoffnung, ſelbſt wenn der Nebel auf-
klaren ſollte, vor dem nächſten Hochwaſſer am andern Morgen
wieder flott zu werden.
Das war eine ſchöne Beſcheerung; aber wir konnten nichts
dagegen thun, mußten uns ruhig in unſer Schickſal fügen
und die Kleider am Leibe trocknen laſſen. Ich that alles mög-
liche, um Hannchen zu beruhigen und ergriff dabei einmal ihre
Hand, aber da hättet Ihr den kleinen Meyer ſehen ſollen! Er
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/308>, abgerufen am 28.07.2024.
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