Fahrenholz hatte nun dieser Ansicht bildlichen Ausdruck gegeben, wenn auch in etwas ausgeschmückter Weise. Seine Zeichnung stellte die "Deutschland" dar, wie sie bemüht war, unter einem Winkel von 45 Grad die Insel Helgoland zu er- klettern. Die Besatzung des gestrandeten Schiffes schien sich schon salvirt zu haben, denn man sah nur noch zwei Menschen an Bord, den Kapitän und seinen Schatten, den Profoß. Letz- terer war beschäftigt, die Fregatte mit einem Bootshaken von den Klippen, zwischen denen sie festgeklemmt saß, abzuschieben und stand vorn auf der Back, der Commandant aber befand sich auf dem Hinterdeck, hatte die Kapuze seines Mantels über den Kopf gezogen, hielt die Arme gen Himmel ausgebreitet und dem Munde entfloß sein Lieblingsausruf: "Jesus Maria!" Sämmtliche Seejunker waren am Lande aufmarschirt und machten der kletternden Fregatte höchst despectirlich eine lange Nase.
"Nehmen Sie sich in Acht, Fahrenholz," sagt Rosenstock zu diesem, der sich als Respectsperson "Sie" nennen läßt, während er dagegen alle Kameraden duzt. "Wenn der Alte das sieht, könnte ihm doch die Galle überlaufen und Sie kommen unter acht Tagen Kabelgat* nicht fort."
"Ah bah!" äußert der Zeichner nachlässig, "hat nichts auf sich, obgleich ich mir ganz gern einmal wieder vom alten Fölsch eins seiner langen Salzwassergarne vorspinnen ließe. Ich weiß, daß meine "Fliegenden Blätter" dem Commandanten Spaß machen und sein Bursche hat mir gesagt, daß er ein be- sonderes Album für sie angelegt hat."
"Fahrenholz, wollen Sie nicht auch nächstens Meyers be- rühmte Nachtwache verewigen?" fragt Koppen.
* Kabelgat war der zur Aufbewahrung von Tauwerk bestimmte Raum und diente gleichzeitig als Arrestlocal für die Seejunker. Der alte Fölsch war der mit Beaufsichtigung des Kabelgats betraute Unter- officier.
Werner
Fahrenholz hatte nun dieſer Anſicht bildlichen Ausdruck gegeben, wenn auch in etwas ausgeſchmückter Weiſe. Seine Zeichnung ſtellte die „Deutſchland“ dar, wie ſie bemüht war, unter einem Winkel von 45 Grad die Inſel Helgoland zu er- klettern. Die Beſatzung des geſtrandeten Schiffes ſchien ſich ſchon ſalvirt zu haben, denn man ſah nur noch zwei Menſchen an Bord, den Kapitän und ſeinen Schatten, den Profoß. Letz- terer war beſchäftigt, die Fregatte mit einem Bootshaken von den Klippen, zwiſchen denen ſie feſtgeklemmt ſaß, abzuſchieben und ſtand vorn auf der Back, der Commandant aber befand ſich auf dem Hinterdeck, hatte die Kapuze ſeines Mantels über den Kopf gezogen, hielt die Arme gen Himmel ausgebreitet und dem Munde entfloß ſein Lieblingsausruf: „Jeſus Maria!“ Sämmtliche Seejunker waren am Lande aufmarſchirt und machten der kletternden Fregatte höchſt deſpectirlich eine lange Naſe.
„Nehmen Sie ſich in Acht, Fahrenholz,“ ſagt Roſenſtock zu dieſem, der ſich als Reſpectsperſon „Sie“ nennen läßt, während er dagegen alle Kameraden duzt. „Wenn der Alte das ſieht, könnte ihm doch die Galle überlaufen und Sie kommen unter acht Tagen Kabelgat* nicht fort.“
„Ah bah!“ äußert der Zeichner nachläſſig, „hat nichts auf ſich, obgleich ich mir ganz gern einmal wieder vom alten Fölſch eins ſeiner langen Salzwaſſergarne vorſpinnen ließe. Ich weiß, daß meine „Fliegenden Blätter“ dem Commandanten Spaß machen und ſein Burſche hat mir geſagt, daß er ein be- ſonderes Album für ſie angelegt hat.“
„Fahrenholz, wollen Sie nicht auch nächſtens Meyers be- rühmte Nachtwache verewigen?“ fragt Koppen.
* Kabelgat war der zur Aufbewahrung von Tauwerk beſtimmte Raum und diente gleichzeitig als Arreſtlocal für die Seejunker. Der alte Fölſch war der mit Beaufſichtigung des Kabelgats betraute Unter- officier.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0306"n="294"/><fwplace="top"type="header">Werner</fw><lb/><p>Fahrenholz hatte nun dieſer Anſicht bildlichen Ausdruck<lb/>
gegeben, wenn auch in etwas ausgeſchmückter Weiſe. Seine<lb/>
Zeichnung ſtellte die „Deutſchland“ dar, wie ſie bemüht war,<lb/>
unter einem Winkel von 45 Grad die Inſel Helgoland zu er-<lb/>
klettern. Die Beſatzung des geſtrandeten Schiffes ſchien ſich<lb/>ſchon ſalvirt zu haben, denn man ſah nur noch zwei Menſchen<lb/>
an Bord, den Kapitän und ſeinen Schatten, den Profoß. Letz-<lb/>
terer war beſchäftigt, die Fregatte mit einem Bootshaken von<lb/>
den Klippen, zwiſchen denen ſie feſtgeklemmt ſaß, abzuſchieben<lb/>
und ſtand vorn auf der Back, der Commandant aber befand<lb/>ſich auf dem Hinterdeck, hatte die Kapuze ſeines Mantels über<lb/>
den Kopf gezogen, hielt die Arme gen Himmel ausgebreitet und<lb/>
dem Munde entfloß ſein Lieblingsausruf: „Jeſus Maria!“<lb/>
Sämmtliche Seejunker waren am Lande aufmarſchirt und machten<lb/>
der kletternden Fregatte höchſt deſpectirlich eine lange Naſe.</p><lb/><p>„Nehmen Sie ſich in Acht, Fahrenholz,“ſagt Roſenſtock<lb/>
zu dieſem, der ſich als Reſpectsperſon „Sie“ nennen läßt,<lb/>
während er dagegen alle Kameraden duzt. „Wenn der Alte<lb/>
das ſieht, könnte ihm doch die Galle überlaufen und Sie kommen<lb/>
unter acht Tagen Kabelgat<noteplace="foot"n="*">Kabelgat war der zur Aufbewahrung von Tauwerk beſtimmte<lb/>
Raum und diente gleichzeitig als Arreſtlocal für die Seejunker. Der<lb/>
alte Fölſch war der mit Beaufſichtigung des Kabelgats betraute Unter-<lb/>
officier.</note> nicht fort.“</p><lb/><p>„Ah bah!“ äußert der Zeichner nachläſſig, „hat nichts<lb/>
auf ſich, obgleich ich mir ganz gern einmal wieder vom alten<lb/>
Fölſch eins ſeiner langen Salzwaſſergarne vorſpinnen ließe. Ich<lb/>
weiß, daß meine „Fliegenden Blätter“ dem Commandanten<lb/>
Spaß machen und ſein Burſche hat mir geſagt, daß er ein be-<lb/>ſonderes Album für ſie angelegt hat.“</p><lb/><p>„Fahrenholz, wollen Sie nicht auch nächſtens Meyers be-<lb/>
rühmte Nachtwache verewigen?“ fragt Koppen.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[294/0306]
Werner
Fahrenholz hatte nun dieſer Anſicht bildlichen Ausdruck
gegeben, wenn auch in etwas ausgeſchmückter Weiſe. Seine
Zeichnung ſtellte die „Deutſchland“ dar, wie ſie bemüht war,
unter einem Winkel von 45 Grad die Inſel Helgoland zu er-
klettern. Die Beſatzung des geſtrandeten Schiffes ſchien ſich
ſchon ſalvirt zu haben, denn man ſah nur noch zwei Menſchen
an Bord, den Kapitän und ſeinen Schatten, den Profoß. Letz-
terer war beſchäftigt, die Fregatte mit einem Bootshaken von
den Klippen, zwiſchen denen ſie feſtgeklemmt ſaß, abzuſchieben
und ſtand vorn auf der Back, der Commandant aber befand
ſich auf dem Hinterdeck, hatte die Kapuze ſeines Mantels über
den Kopf gezogen, hielt die Arme gen Himmel ausgebreitet und
dem Munde entfloß ſein Lieblingsausruf: „Jeſus Maria!“
Sämmtliche Seejunker waren am Lande aufmarſchirt und machten
der kletternden Fregatte höchſt deſpectirlich eine lange Naſe.
„Nehmen Sie ſich in Acht, Fahrenholz,“ ſagt Roſenſtock
zu dieſem, der ſich als Reſpectsperſon „Sie“ nennen läßt,
während er dagegen alle Kameraden duzt. „Wenn der Alte
das ſieht, könnte ihm doch die Galle überlaufen und Sie kommen
unter acht Tagen Kabelgat * nicht fort.“
„Ah bah!“ äußert der Zeichner nachläſſig, „hat nichts
auf ſich, obgleich ich mir ganz gern einmal wieder vom alten
Fölſch eins ſeiner langen Salzwaſſergarne vorſpinnen ließe. Ich
weiß, daß meine „Fliegenden Blätter“ dem Commandanten
Spaß machen und ſein Burſche hat mir geſagt, daß er ein be-
ſonderes Album für ſie angelegt hat.“
„Fahrenholz, wollen Sie nicht auch nächſtens Meyers be-
rühmte Nachtwache verewigen?“ fragt Koppen.
* Kabelgat war der zur Aufbewahrung von Tauwerk beſtimmte
Raum und diente gleichzeitig als Arreſtlocal für die Seejunker. Der
alte Fölſch war der mit Beaufſichtigung des Kabelgats betraute Unter-
officier.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/306>, abgerufen am 28.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.