legenheit, sondern auch auf seine Person, namentlich aber auf seine wirklich sehr kleinen und zarten Hände, die er deshalb auch mit besonderer Sorgfalt pflegte. Sie und die Epauletten mit den glänzenden goldenen Troddeln trug er gar zu gern zur Schau und ging deshalb viel an Land. Selten versäumte er einen Ball, machte allen hübschen Mädchen den Hof, tanzte sehr flott und hielt tapfer bis zuletzt aus, so daß er dann erst spät Nachts an Bord zurückkehrte. Auf diesen Umstand hin war ihm ein unangenehmer Streich gespielt worden.
Bei der Rückkunft in einer bitterkalten Winternacht fand er zu seinem Schrecken in seiner Coje sechs 68pfündige Kugeln fein säuberlich in eine Reihe gelegt. Vergebens gab er sich die erdenklichste Mühe, sie herauszuheben. Seine schönen und sorg- sam gepflegten Hände waren nicht im Staude, die Kolosse zu umspannen und hartnäckig entglitten die letzteren bei jedem Ver- suche. Jemand von der Wache um Hülfe zu bitten, wagte der Doctor nicht, aus Besorgniß, am nächsten Tage der allgemeine Gegenstand kaustischen Matrosenwitzes zu werden; seinen treuen Burschen konnte er nicht wecken, da er dessen Hängematten- nummer im Zwischendeck nicht kannte, und so blieb ihm nichts übrig, als den Rest der Nacht auf einem Stuhle zuzubringen. Ofen hatten die Kammern nicht; wollten die Inhaber sich ein- mal auf eine Viertelstunde die Illusion behaglicher Wärme gönnen, dann wurde in der Küche eine 32-Pfünder-Kugel glühend gemacht, in einen mit Sand gefüllten Eimer gelegt und damit ein Ofen improvisirt. Doch Nachts brannte kein Feuer in der Küche, und so ließen Aerger und Kälte den Doctor kein Auge schließen, bis endlich mit der Reveille der treue Bursche erschien und ihn aus der fatalen Situation befreite.
Kurze Zeit darauf wurde seine Eitelkeit jedoch noch em- pfindlicher bestraft. Ein Messevorstand an Bord hat eine schlimme Stellung; er muß sehr geduldig sein, um sich durch die stets geübte Kritik der übrigen Kameraden nicht den Appe-
Werner
legenheit, ſondern auch auf ſeine Perſon, namentlich aber auf ſeine wirklich ſehr kleinen und zarten Hände, die er deshalb auch mit beſonderer Sorgfalt pflegte. Sie und die Epauletten mit den glänzenden goldenen Troddeln trug er gar zu gern zur Schau und ging deshalb viel an Land. Selten verſäumte er einen Ball, machte allen hübſchen Mädchen den Hof, tanzte ſehr flott und hielt tapfer bis zuletzt aus, ſo daß er dann erſt ſpät Nachts an Bord zurückkehrte. Auf dieſen Umſtand hin war ihm ein unangenehmer Streich geſpielt worden.
Bei der Rückkunft in einer bitterkalten Winternacht fand er zu ſeinem Schrecken in ſeiner Coje ſechs 68pfündige Kugeln fein ſäuberlich in eine Reihe gelegt. Vergebens gab er ſich die erdenklichſte Mühe, ſie herauszuheben. Seine ſchönen und ſorg- ſam gepflegten Hände waren nicht im Staude, die Koloſſe zu umſpannen und hartnäckig entglitten die letzteren bei jedem Ver- ſuche. Jemand von der Wache um Hülfe zu bitten, wagte der Doctor nicht, aus Beſorgniß, am nächſten Tage der allgemeine Gegenſtand kauſtiſchen Matroſenwitzes zu werden; ſeinen treuen Burſchen konnte er nicht wecken, da er deſſen Hängematten- nummer im Zwiſchendeck nicht kannte, und ſo blieb ihm nichts übrig, als den Reſt der Nacht auf einem Stuhle zuzubringen. Ofen hatten die Kammern nicht; wollten die Inhaber ſich ein- mal auf eine Viertelſtunde die Illuſion behaglicher Wärme gönnen, dann wurde in der Küche eine 32-Pfünder-Kugel glühend gemacht, in einen mit Sand gefüllten Eimer gelegt und damit ein Ofen improviſirt. Doch Nachts brannte kein Feuer in der Küche, und ſo ließen Aerger und Kälte den Doctor kein Auge ſchließen, bis endlich mit der Reveille der treue Burſche erſchien und ihn aus der fatalen Situation befreite.
Kurze Zeit darauf wurde ſeine Eitelkeit jedoch noch em- pfindlicher beſtraft. Ein Meſſevorſtand an Bord hat eine ſchlimme Stellung; er muß ſehr geduldig ſein, um ſich durch die ſtets geübte Kritik der übrigen Kameraden nicht den Appe-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0274"n="262"/><fwplace="top"type="header">Werner</fw><lb/>
legenheit, ſondern auch auf ſeine Perſon, namentlich aber auf<lb/>ſeine wirklich ſehr kleinen und zarten Hände, die er deshalb<lb/>
auch mit beſonderer Sorgfalt pflegte. Sie und die Epauletten<lb/>
mit den glänzenden goldenen Troddeln trug er gar zu gern zur<lb/>
Schau und ging deshalb viel an Land. Selten verſäumte er<lb/>
einen Ball, machte allen hübſchen Mädchen den Hof, tanzte ſehr<lb/>
flott und hielt tapfer bis zuletzt aus, ſo daß er dann erſt ſpät<lb/>
Nachts an Bord zurückkehrte. Auf dieſen Umſtand hin war<lb/>
ihm ein unangenehmer Streich geſpielt worden.</p><lb/><p>Bei der Rückkunft in einer bitterkalten Winternacht fand<lb/>
er zu ſeinem Schrecken in ſeiner Coje ſechs 68pfündige Kugeln<lb/>
fein ſäuberlich in eine Reihe gelegt. Vergebens gab er ſich die<lb/>
erdenklichſte Mühe, ſie herauszuheben. Seine ſchönen und ſorg-<lb/>ſam gepflegten Hände waren nicht im Staude, die Koloſſe zu<lb/>
umſpannen und hartnäckig entglitten die letzteren bei jedem Ver-<lb/>ſuche. Jemand von der Wache um Hülfe zu bitten, wagte der<lb/>
Doctor nicht, aus Beſorgniß, am nächſten Tage der allgemeine<lb/>
Gegenſtand kauſtiſchen Matroſenwitzes zu werden; ſeinen treuen<lb/>
Burſchen konnte er nicht wecken, da er deſſen Hängematten-<lb/>
nummer im Zwiſchendeck nicht kannte, und ſo blieb ihm nichts<lb/>
übrig, als den Reſt der Nacht auf einem Stuhle zuzubringen.<lb/>
Ofen hatten die Kammern nicht; wollten die Inhaber ſich ein-<lb/>
mal auf eine Viertelſtunde die Illuſion behaglicher Wärme<lb/>
gönnen, dann wurde in der Küche eine 32-Pfünder-Kugel glühend<lb/>
gemacht, in einen mit Sand gefüllten Eimer gelegt und damit<lb/>
ein Ofen improviſirt. Doch Nachts brannte kein Feuer in der<lb/>
Küche, und ſo ließen Aerger und Kälte den Doctor kein Auge<lb/>ſchließen, bis endlich mit der Reveille der treue Burſche erſchien<lb/>
und ihn aus der fatalen Situation befreite.</p><lb/><p>Kurze Zeit darauf wurde ſeine Eitelkeit jedoch noch em-<lb/>
pfindlicher beſtraft. Ein Meſſevorſtand an Bord hat eine<lb/>ſchlimme Stellung; er muß ſehr geduldig ſein, um ſich durch<lb/>
die ſtets geübte Kritik der übrigen Kameraden nicht den Appe-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[262/0274]
Werner
legenheit, ſondern auch auf ſeine Perſon, namentlich aber auf
ſeine wirklich ſehr kleinen und zarten Hände, die er deshalb
auch mit beſonderer Sorgfalt pflegte. Sie und die Epauletten
mit den glänzenden goldenen Troddeln trug er gar zu gern zur
Schau und ging deshalb viel an Land. Selten verſäumte er
einen Ball, machte allen hübſchen Mädchen den Hof, tanzte ſehr
flott und hielt tapfer bis zuletzt aus, ſo daß er dann erſt ſpät
Nachts an Bord zurückkehrte. Auf dieſen Umſtand hin war
ihm ein unangenehmer Streich geſpielt worden.
Bei der Rückkunft in einer bitterkalten Winternacht fand
er zu ſeinem Schrecken in ſeiner Coje ſechs 68pfündige Kugeln
fein ſäuberlich in eine Reihe gelegt. Vergebens gab er ſich die
erdenklichſte Mühe, ſie herauszuheben. Seine ſchönen und ſorg-
ſam gepflegten Hände waren nicht im Staude, die Koloſſe zu
umſpannen und hartnäckig entglitten die letzteren bei jedem Ver-
ſuche. Jemand von der Wache um Hülfe zu bitten, wagte der
Doctor nicht, aus Beſorgniß, am nächſten Tage der allgemeine
Gegenſtand kauſtiſchen Matroſenwitzes zu werden; ſeinen treuen
Burſchen konnte er nicht wecken, da er deſſen Hängematten-
nummer im Zwiſchendeck nicht kannte, und ſo blieb ihm nichts
übrig, als den Reſt der Nacht auf einem Stuhle zuzubringen.
Ofen hatten die Kammern nicht; wollten die Inhaber ſich ein-
mal auf eine Viertelſtunde die Illuſion behaglicher Wärme
gönnen, dann wurde in der Küche eine 32-Pfünder-Kugel glühend
gemacht, in einen mit Sand gefüllten Eimer gelegt und damit
ein Ofen improviſirt. Doch Nachts brannte kein Feuer in der
Küche, und ſo ließen Aerger und Kälte den Doctor kein Auge
ſchließen, bis endlich mit der Reveille der treue Burſche erſchien
und ihn aus der fatalen Situation befreite.
Kurze Zeit darauf wurde ſeine Eitelkeit jedoch noch em-
pfindlicher beſtraft. Ein Meſſevorſtand an Bord hat eine
ſchlimme Stellung; er muß ſehr geduldig ſein, um ſich durch
die ſtets geübte Kritik der übrigen Kameraden nicht den Appe-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/274>, abgerufen am 28.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.