Ziehen wir einen Schleier über das düstere Bild, das glücklicher Weise in der Geschichte der Marine vereinzelt da- steht und wenden wir uns freundlicheren Scenen zu, wie sie z. B. die Officiersmesse des "Barbarossa" bot. Abgesehen da- von, daß das Stillliegen der Schiffe im Hafen dem Einzelnen gestattet hätte, unerquicklichen Reibungen aus dem Wege zu gehen, standen die Messemitglieder trotz der großen Verschieden- heit des Characters, der Lebensanschauungen und des Bildungs- grades auf einem sehr guten kameradschaftlichen Fuße und es herrschte ein sehr gemüthlicher Ton an Bord. Das hauptsäch- lich belebende Element war Fähnrich Mathy. Er hatte ein sehr gewandtes Wesen, besaß Humor und verband damit ein großes Erzählertalent, das die Unterhaltung selten in's Stocken gerathen ließ. Er war ziemlich viel in der Welt umhergekommen und wußte bei jeder Gelegenheit irgend ein Erlebniß anzu- knüpfen, von dem es nur zweifelhaft blieb, ob er es selbst er- lebt, adoptirt oder ganz oder theilweise erfunden hatte. Dabei nahm er es jedoch keineswegs übel, wenn man bisweilen in seine Erzählungen leisen Zweifel setzte, sondern tröstete sich damit, daß er die Lacher stets auf seiner Seite hatte.
Ein ähnlicher Character, wenigstens was das Erzählen an- betraf, war Fähnrich Frank, nur waren seine Geschichten weniger interessant als lang und behandelten vorzugsweise Spukthemata. Wehe dem Unglücklichen, der diesen Erzählungen zum Opfer fiel; unter zwei bis drei Stunden kamen sie nicht zu Ende und unter den Nebenumständen ging überdies regelmäßig die Pointe verloren. An ein Entkommen war gar nicht zu denken, wenn man sich mit ihm allein befand und Lieutenant W., der mit Frank zusammen die Wache hatte, mußte schwer darunter leiden. Keine Unterbrechung half; nach Beseitigung einer Störung setzte Frank genau wieder bei den Worten ein, mit denen er aufgehört, bis der Lieutenant sich in sein Schicksal ergab und ihn zu Ende sprechen ließ.
Werner
Ziehen wir einen Schleier über das düſtere Bild, das glücklicher Weiſe in der Geſchichte der Marine vereinzelt da- ſteht und wenden wir uns freundlicheren Scenen zu, wie ſie z. B. die Officiersmeſſe des „Barbaroſſa“ bot. Abgeſehen da- von, daß das Stillliegen der Schiffe im Hafen dem Einzelnen geſtattet hätte, unerquicklichen Reibungen aus dem Wege zu gehen, ſtanden die Meſſemitglieder trotz der großen Verſchieden- heit des Characters, der Lebensanſchauungen und des Bildungs- grades auf einem ſehr guten kameradſchaftlichen Fuße und es herrſchte ein ſehr gemüthlicher Ton an Bord. Das hauptſäch- lich belebende Element war Fähnrich Mathy. Er hatte ein ſehr gewandtes Weſen, beſaß Humor und verband damit ein großes Erzählertalent, das die Unterhaltung ſelten in’s Stocken gerathen ließ. Er war ziemlich viel in der Welt umhergekommen und wußte bei jeder Gelegenheit irgend ein Erlebniß anzu- knüpfen, von dem es nur zweifelhaft blieb, ob er es ſelbſt er- lebt, adoptirt oder ganz oder theilweiſe erfunden hatte. Dabei nahm er es jedoch keineswegs übel, wenn man bisweilen in ſeine Erzählungen leiſen Zweifel ſetzte, ſondern tröſtete ſich damit, daß er die Lacher ſtets auf ſeiner Seite hatte.
Ein ähnlicher Character, wenigſtens was das Erzählen an- betraf, war Fähnrich Frank, nur waren ſeine Geſchichten weniger intereſſant als lang und behandelten vorzugsweiſe Spukthemata. Wehe dem Unglücklichen, der dieſen Erzählungen zum Opfer fiel; unter zwei bis drei Stunden kamen ſie nicht zu Ende und unter den Nebenumſtänden ging überdies regelmäßig die Pointe verloren. An ein Entkommen war gar nicht zu denken, wenn man ſich mit ihm allein befand und Lieutenant W., der mit Frank zuſammen die Wache hatte, mußte ſchwer darunter leiden. Keine Unterbrechung half; nach Beſeitigung einer Störung ſetzte Frank genau wieder bei den Worten ein, mit denen er aufgehört, bis der Lieutenant ſich in ſein Schickſal ergab und ihn zu Ende ſprechen ließ.
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Werner
Ziehen wir einen Schleier über das düſtere Bild, das
glücklicher Weiſe in der Geſchichte der Marine vereinzelt da-
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z. B. die Officiersmeſſe des „Barbaroſſa“ bot. Abgeſehen da-
von, daß das Stillliegen der Schiffe im Hafen dem Einzelnen
geſtattet hätte, unerquicklichen Reibungen aus dem Wege zu
gehen, ſtanden die Meſſemitglieder trotz der großen Verſchieden-
heit des Characters, der Lebensanſchauungen und des Bildungs-
grades auf einem ſehr guten kameradſchaftlichen Fuße und es
herrſchte ein ſehr gemüthlicher Ton an Bord. Das hauptſäch-
lich belebende Element war Fähnrich Mathy. Er hatte ein
ſehr gewandtes Weſen, beſaß Humor und verband damit ein
großes Erzählertalent, das die Unterhaltung ſelten in’s Stocken
gerathen ließ. Er war ziemlich viel in der Welt umhergekommen
und wußte bei jeder Gelegenheit irgend ein Erlebniß anzu-
knüpfen, von dem es nur zweifelhaft blieb, ob er es ſelbſt er-
lebt, adoptirt oder ganz oder theilweiſe erfunden hatte. Dabei
nahm er es jedoch keineswegs übel, wenn man bisweilen in ſeine
Erzählungen leiſen Zweifel ſetzte, ſondern tröſtete ſich damit, daß
er die Lacher ſtets auf ſeiner Seite hatte.
Ein ähnlicher Character, wenigſtens was das Erzählen an-
betraf, war Fähnrich Frank, nur waren ſeine Geſchichten weniger
intereſſant als lang und behandelten vorzugsweiſe Spukthemata.
Wehe dem Unglücklichen, der dieſen Erzählungen zum Opfer fiel;
unter zwei bis drei Stunden kamen ſie nicht zu Ende und
unter den Nebenumſtänden ging überdies regelmäßig die Pointe
verloren. An ein Entkommen war gar nicht zu denken, wenn
man ſich mit ihm allein befand und Lieutenant W., der mit
Frank zuſammen die Wache hatte, mußte ſchwer darunter leiden.
Keine Unterbrechung half; nach Beſeitigung einer Störung ſetzte
Frank genau wieder bei den Worten ein, mit denen er aufgehört,
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/272>, abgerufen am 22.11.2024.
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