Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Ernstes und Heiteres
ein höherer Grad erwartet ihn bei seiner Rückkehr. Auf den
bleichen und abgezehrten Gesichtern der Mannschaft zeigt sich
jedoch kein Freudenstrahl, obwol es heimwärts geht; unheilver-
heißender Ernst lagert auf ihren Zügen und finstere Wuth zieht
ihr Herz krampfhaft zusammen als sie lautlos um das Gang-
spill marschiren, um den Anker zu lichten. Der Kapitän liest
eine unbestimmte Drohung in ihren Mienen und es wird ihm
unheimlich zu Muthe. Er sucht mit den Officieren ein Ge-
spräch anzuknüpfen, doch vergebens; sie befolgen nur stumm die
erhaltenen Befehle, sonst weichen sie ihm scheu aus, wie dem
bösen Feind.

Im Bahamacanal steigt eine Bö auf, eine von jenen, die
der Schrecken der Seefahrer sind und den Orkan in ihrem
Schooße tragen. Der Officier der Wache benachrichtigt den
Kapitän von der nahenden Gefahr; er kommt an Deck und
ertheilt den Befehl, Segel zu kürzen. Der Officier läßt "Alle
Mann" aufpfeifen und wiederholt das erhaltene Commando,
doch die Ausführung unterbleibt. Stumm und drohend steht
die Mannschaft auf dem Vorderdeck, der Bootsmann wirft seine
Signalpfeife über Bord, reißt sich die Abzeichen von der Jacke
und stellt sich schweigend an das Bugspriet. Die Bande der
Disciplin sind gesprengt und der Gehorsam ist gekündigt, wäh-
rend der Sturm heulend über das Wasser daherfährt.

"Gei auf Marssegel," ruft der erschreckte Kapitän, indem
Leichenblässe sein Gesicht überzieht; er fühlt, daß die Nemesis naht.

"Wir werden die Segel nicht fortnehmen," erwidern
hundert Stimmen zugleich.

"Holen Sie Ihre Waffen!" wendet sich der Kapitän zu
den Officieren, "das ist Meuterei!" Der Angstschweiß perlt dem
Feigling von der Stirn.

Die Angeredeten ziehen sich nach dem Hinterdeck zurück;
nur der Wachehabende bleibt auf der Commandobank; sein
glanzloses Auge blickt dem Sturme entgegen, der pfeifend und

R. Werner, Erinnerungen. 17

Ernſtes und Heiteres
ein höherer Grad erwartet ihn bei ſeiner Rückkehr. Auf den
bleichen und abgezehrten Geſichtern der Mannſchaft zeigt ſich
jedoch kein Freudenſtrahl, obwol es heimwärts geht; unheilver-
heißender Ernſt lagert auf ihren Zügen und finſtere Wuth zieht
ihr Herz krampfhaft zuſammen als ſie lautlos um das Gang-
ſpill marſchiren, um den Anker zu lichten. Der Kapitän lieſt
eine unbeſtimmte Drohung in ihren Mienen und es wird ihm
unheimlich zu Muthe. Er ſucht mit den Officieren ein Ge-
ſpräch anzuknüpfen, doch vergebens; ſie befolgen nur ſtumm die
erhaltenen Befehle, ſonſt weichen ſie ihm ſcheu aus, wie dem
böſen Feind.

Im Bahamacanal ſteigt eine Bö auf, eine von jenen, die
der Schrecken der Seefahrer ſind und den Orkan in ihrem
Schooße tragen. Der Officier der Wache benachrichtigt den
Kapitän von der nahenden Gefahr; er kommt an Deck und
ertheilt den Befehl, Segel zu kürzen. Der Officier läßt „Alle
Mann“ aufpfeifen und wiederholt das erhaltene Commando,
doch die Ausführung unterbleibt. Stumm und drohend ſteht
die Mannſchaft auf dem Vorderdeck, der Bootsmann wirft ſeine
Signalpfeife über Bord, reißt ſich die Abzeichen von der Jacke
und ſtellt ſich ſchweigend an das Bugſpriet. Die Bande der
Disciplin ſind geſprengt und der Gehorſam iſt gekündigt, wäh-
rend der Sturm heulend über das Waſſer daherfährt.

„Gei auf Marsſegel,“ ruft der erſchreckte Kapitän, indem
Leichenbläſſe ſein Geſicht überzieht; er fühlt, daß die Nemeſis naht.

„Wir werden die Segel nicht fortnehmen,“ erwidern
hundert Stimmen zugleich.

„Holen Sie Ihre Waffen!“ wendet ſich der Kapitän zu
den Officieren, „das iſt Meuterei!“ Der Angſtſchweiß perlt dem
Feigling von der Stirn.

Die Angeredeten ziehen ſich nach dem Hinterdeck zurück;
nur der Wachehabende bleibt auf der Commandobank; ſein
glanzloſes Auge blickt dem Sturme entgegen, der pfeifend und

R. Werner, Erinnerungen. 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0269" n="257"/><fw place="top" type="header">Ern&#x017F;tes und Heiteres</fw><lb/>
ein höherer Grad erwartet ihn bei &#x017F;einer Rückkehr. Auf den<lb/>
bleichen und abgezehrten Ge&#x017F;ichtern der Mann&#x017F;chaft zeigt &#x017F;ich<lb/>
jedoch kein Freuden&#x017F;trahl, obwol es heimwärts geht; unheilver-<lb/>
heißender Ern&#x017F;t lagert auf ihren Zügen und fin&#x017F;tere Wuth zieht<lb/>
ihr Herz krampfhaft zu&#x017F;ammen als &#x017F;ie lautlos um das Gang-<lb/>
&#x017F;pill mar&#x017F;chiren, um den Anker zu lichten. Der Kapitän lie&#x017F;t<lb/>
eine unbe&#x017F;timmte Drohung in ihren Mienen und es wird ihm<lb/>
unheimlich zu Muthe. Er &#x017F;ucht mit den Officieren ein Ge-<lb/>
&#x017F;präch anzuknüpfen, doch vergebens; &#x017F;ie befolgen nur &#x017F;tumm die<lb/>
erhaltenen Befehle, &#x017F;on&#x017F;t weichen &#x017F;ie ihm &#x017F;cheu aus, wie dem<lb/>&#x017F;en Feind.</p><lb/>
          <p>Im Bahamacanal &#x017F;teigt eine Bö auf, eine von jenen, die<lb/>
der Schrecken der Seefahrer &#x017F;ind und den Orkan in ihrem<lb/>
Schooße tragen. Der Officier der Wache benachrichtigt den<lb/>
Kapitän von der nahenden Gefahr; er kommt an Deck und<lb/>
ertheilt den Befehl, Segel zu kürzen. Der Officier läßt &#x201E;Alle<lb/>
Mann&#x201C; aufpfeifen und wiederholt das erhaltene Commando,<lb/>
doch die Ausführung unterbleibt. Stumm und drohend &#x017F;teht<lb/>
die Mann&#x017F;chaft auf dem Vorderdeck, der Bootsmann wirft &#x017F;eine<lb/>
Signalpfeife über Bord, reißt &#x017F;ich die Abzeichen von der Jacke<lb/>
und &#x017F;tellt &#x017F;ich &#x017F;chweigend an das Bug&#x017F;priet. Die Bande der<lb/>
Disciplin &#x017F;ind ge&#x017F;prengt und der Gehor&#x017F;am i&#x017F;t gekündigt, wäh-<lb/>
rend der Sturm heulend über das Wa&#x017F;&#x017F;er daherfährt.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Gei auf Mars&#x017F;egel,&#x201C; ruft der er&#x017F;chreckte Kapitän, indem<lb/>
Leichenblä&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ein Ge&#x017F;icht überzieht; er fühlt, daß die Neme&#x017F;is naht.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wir werden die Segel nicht fortnehmen,&#x201C; erwidern<lb/>
hundert Stimmen zugleich.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Holen Sie Ihre Waffen!&#x201C; wendet &#x017F;ich der Kapitän zu<lb/>
den Officieren, &#x201E;das i&#x017F;t Meuterei!&#x201C; Der Ang&#x017F;t&#x017F;chweiß perlt dem<lb/>
Feigling von der Stirn.</p><lb/>
          <p>Die Angeredeten ziehen &#x017F;ich nach dem Hinterdeck zurück;<lb/>
nur der Wachehabende bleibt auf der Commandobank; &#x017F;ein<lb/>
glanzlo&#x017F;es Auge blickt dem Sturme entgegen, der pfeifend und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R. <hi rendition="#g">Werner</hi>, Erinnerungen. 17</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/0269] Ernſtes und Heiteres ein höherer Grad erwartet ihn bei ſeiner Rückkehr. Auf den bleichen und abgezehrten Geſichtern der Mannſchaft zeigt ſich jedoch kein Freudenſtrahl, obwol es heimwärts geht; unheilver- heißender Ernſt lagert auf ihren Zügen und finſtere Wuth zieht ihr Herz krampfhaft zuſammen als ſie lautlos um das Gang- ſpill marſchiren, um den Anker zu lichten. Der Kapitän lieſt eine unbeſtimmte Drohung in ihren Mienen und es wird ihm unheimlich zu Muthe. Er ſucht mit den Officieren ein Ge- ſpräch anzuknüpfen, doch vergebens; ſie befolgen nur ſtumm die erhaltenen Befehle, ſonſt weichen ſie ihm ſcheu aus, wie dem böſen Feind. Im Bahamacanal ſteigt eine Bö auf, eine von jenen, die der Schrecken der Seefahrer ſind und den Orkan in ihrem Schooße tragen. Der Officier der Wache benachrichtigt den Kapitän von der nahenden Gefahr; er kommt an Deck und ertheilt den Befehl, Segel zu kürzen. Der Officier läßt „Alle Mann“ aufpfeifen und wiederholt das erhaltene Commando, doch die Ausführung unterbleibt. Stumm und drohend ſteht die Mannſchaft auf dem Vorderdeck, der Bootsmann wirft ſeine Signalpfeife über Bord, reißt ſich die Abzeichen von der Jacke und ſtellt ſich ſchweigend an das Bugſpriet. Die Bande der Disciplin ſind geſprengt und der Gehorſam iſt gekündigt, wäh- rend der Sturm heulend über das Waſſer daherfährt. „Gei auf Marsſegel,“ ruft der erſchreckte Kapitän, indem Leichenbläſſe ſein Geſicht überzieht; er fühlt, daß die Nemeſis naht. „Wir werden die Segel nicht fortnehmen,“ erwidern hundert Stimmen zugleich. „Holen Sie Ihre Waffen!“ wendet ſich der Kapitän zu den Officieren, „das iſt Meuterei!“ Der Angſtſchweiß perlt dem Feigling von der Stirn. Die Angeredeten ziehen ſich nach dem Hinterdeck zurück; nur der Wachehabende bleibt auf der Commandobank; ſein glanzloſes Auge blickt dem Sturme entgegen, der pfeifend und R. Werner, Erinnerungen. 17

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/269
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/269>, abgerufen am 17.05.2024.